WladimirP schrieb:Emmerich schrieb:
Ein erfahrener Skiwanderer […] gefragt, wie oft er in dreißig Jahren sein Zelt am Hang aufgeschlagen habe statt unter der Waldgrenze in der Nähe eines Flußlaufes, Antwort: nie.
Warum wurde "Ein erfahrener Skiwanderer" gefragt, und nicht die Akten nachgeschaut?
Es stimmt, daß Teddy einen erheblichen Anteil ihrer Argumentationsmittel aus allen möglichen Herkunftsorten und Quellen bezieht, anstatt einfach in die Akten zu schauen. Wir sagen auf deutsch, „etwas ist weit hergeholt“, far fetched, auf russisch gibt’s diesen Ausdruck sicher auch. Es sieht so aus, als sei die Lieblingshypothese intuitiv, vorwissenschaftlich gewonnen. Es war ein Baum – aber sie können keinen Baum vorweisen. Sie können jedoch Solotarjews und Dubininas Verletzungen mit modernen Autopsien vergleichen. Und zu diesem Zweck wurde mit aller Gewalt Beweismaterial aus allen Ecken des Globus herangekarrt. Als Beweismaterial dienen zahlreich beigebrachte forensische Vergleichsfälle aus neuerer Zeit (also Unfälle mit Bäumen, die sehr ähnliche Verletzungen hinterließen wie die Dubininas und Solotarjews). Ich Laien-Leser nehme dieses Material als quantitativ ganz schön großen Haufen
;) und auch nicht völlig von der Hand zu weisen wahr. Ein ernsthafter Wissenschaftler wäre da wohl nicht so leicht zu beeindrucken. Wäre er überhaupt bereit, Teddys Werk als für voll zu nehmende wissenschaftliche Veröffentlichung zu akzeptieren, würde er wahrscheinlich mit einer methodologischen Kritik beginnen. Es könnte übrigens sein, daß diese Neigung zu vergleichenden Methoden direkt mit dem Input der Pathologen zu tun hat, die Teddy konsultiert hat. Denn auf diesem Gebiet sind nach meinem (sehr begrenzten
;)) Wissen vergleichende Methoden Standard.
Auf der anderen Seite müssen wir uns fragen, wie wir aus den kreisenden, immergleichen Denkmustern zum Djatlow-Fall herauskommen. Der Djatlow-Fall hat nicht viel, aber ein wenig mit Archäologie zu tun. Nehmen wir an, ein Archäologenteam findet in Thrakien eine Grabstätte mit neun Leichen. Die einen sehen auf einen Blick, das Grab ist slawisch, die andern wenden ein, es könnte auch byzantinisch sein oder noch was anderes. Sie finden nur spärlich Grabbeigaben und Artefakte. Ein Autopsiebericht ist nicht dabei. Zeugenaussagen? Keine. Tagebücher, Fotos, die Handys der Toten? Auch nichts. Dann bieten sich vergleichende Methoden an, um den Fund archäologisch korrekt einzuordnen. Was sonst?
Und in die Akten schauen, wie du vorschlägst, führt einen nicht zuverlässig auf festen Boden. Du weißt, daß die Djatlow-Akte das Datum 6. Februar 1959 trägt, die Hinterbliebenen der Neun aber erst um den 17. Februar sich besorgt an die Behörden wandten. Iwanow selber entschuldigte sich bei den Hinterbliebenen später in der Glasnostzeit… Man gibt selber zu, das an den Akten etwas faul war. Das hat zurecht viele Djatlow-Forscher vorsichtig gestimmt im Umgang mit den Akten und den Anfangsverdacht erhärtet, daß daran herumgedoktort wurde. Wenn du mich fragst, versteckt sich die Lösung des Djatlow-Rätsels in den Akten, aber in den Akten, in die wir nicht zu sehen kriegen.
WladimirP schrieb:Klar, unten gabs jede Menge Vorteile. Aber dafür müsten sie runer gehen, und ca.300 Meter in der Höhe verlieren. Und Morgens wieder die 300 Meter hoch steigen mit allem was sie hatten. Dass kostet Zeit und Kraft. Dass wolten sie sparen und dass ist nicht ungewönlich.
Dieses Argument, sie wollten keine Höhenmeter verlieren, ist einleuchtend. Es bedeutet aber, daß sie vom Kholat dem Verlauf des Bergrückens folgen wollten, alles kahles Gelände. In dem Fall mußten sie dann für zwei Tage Feuerholz mitnehmen, müßten sonst absteigen, um welches zu holen. Oder sie machten Abstriche beim Feuerholz – ist ja schließlich der höchste Schwierigkeitsgrad, und sie sind keine Weicheier. Von letzterem können wir ausgehen. Das Höhenmeterargument ist auch unter dem Aspekt einleuchtend, daß sie den Otorten nicht wie auf einer Matterhorn-Postkarte aus der Ferne sehen und einfach drauf zu latschen konnten. Im Angesicht der sich stetig verschlechternden Wetterverhältnisse waren sie auf ihr Kartenmaterial angewiesen. Daraus konnten sie entnehmen: Der Kholat und der Otorten sind Gipfel einer miteinander verbundenen Bergformation. Man kann also den Sattel, den Bergrücken, die Höhe, als unmittelbare Orientierungshilfe ausnutzen, auch bei einer Sicht von dreißig Metern. An dem Bergrücken konnten sie sich auch bei Schneegestöber, Schneegraupel und Schneesturm orientieren. Wladimir, sag du mir, ob das praxisnah gedacht ist, du bist der Polarwanderer. Ich wandere zwar auch gern, aber nicht bei minus 30 Grad. Wär mir zu kalt.
Original anzeigen (0,6 MB)© DYATLOVPASS.COMWladimirP schrieb:Erfahren nicht unbedingt. Jeder von den hatte insgesammt 4-5 Winterwandertouren 1. und 2. Kategorien. Nur Dyatlow hatte ein Wintertour 3. Kategorie. Ist es genug um Erfahren zu sein?
Die einen sagen so, die andern sagen so.
WladimirP schrieb:Ich verstehe, dass Pavlow die Ungereimtheiten erklären wollte. Aber es geht auch mit anderen Argumenten.
Die Gruppe geht dem Flüss Auspija entlang (sagen wir einfach von Ost nach West). Ihr Lager (Labaz) wolten sie an der Auspijaseite machen, damit sie mit wenig Gepäck über den Pass und in die Berge gehen konnten. Labaz soll ünbedingt in der Nähe des Passes gemacht werden, weil nach der Kurztour Pass-Otorten-Pass (von Süd nach Nord und zurück), gehen sie weiter richtung West und Süd(rote Pfeil).
Am 31.02.59 kamm die Gruppe an ca. Punkt 1. Sie wollten Labaz machen und weiter (2) so weit wie möglich richtung Otorten gehen. Aber oberhalb der Waldgrenze haben sie keine Möglichkeit gefunden ein Labaz zu machen. Es war auch sehr windig da. Deswegen haben sie entschieden runter nach Süden in den Wald zu gehen um da ein Labaz zu machen und übernachten. Am nächsten Tag haben sie bestimmt ein paar Leute richtung Pass geschickt um die Wetterbedienungen zu erfahren. Wetterbedienungen waren schlecht und sie müsten warten. Nachmittag haben sich die Wetterbedienungen verbessert, und sie sind gestartet. Aber je höhe man ging, desto schlechter wurde die Sicht und der Schneesturm. Sie sind angehalten und haben den Zelt aufgebaut.
So einfach ist dass.
Das ist genau, wohin einen der gesunde Menschenverstand führt. Und was die Warte des Skiwanderers bestätigt. Meteorologische Daten, wohl im Zuge der Neuaufnahme der Ermittlungen 2019 bekannt gewordenen (oder früher?), scheinen ja die Temperaturen und die Windstärke herunterzuspielen (Meß-Ort zu weit vom Kholat entfernt?). Ich halte mich lieber an Djatlows letzten Tagebucheintrag und die Zeugenaussagen, die auf eine zunehmende Wetterverschlechterung hindeuten.
Wenn
Günter Wolf eine Windstärke von 20 km/h angibt, ist das laut Beaufort-Skala: eine Brise. Ich meine, ohne Schneesturm kein Grund, am 1. Februar den halben Tag im Tal herum zu gammeln. Die Annahme des "späten Aufbruchs" soll laut einem finnischen User in Teddys Forum als Gerücht in einem russischen Forum geboren sein, das sich dank unserer aufgeklärten, modernen Online-Kultur zu einem überall nachgeplapperten Fakt verselbständigt hat. Weißt du etwas darüber, Wladimir?