Noch ein paar weitere Infos zu gesundheitlichen Handschriften, die ich mal mit dem VM abgleiche.
Einen ausgebildeten Arzt zu konsultieren oder Bücher über Gesundheit und Ernährung zu kaufen, konnten sich nur Mitglieder der Oberschicht (Adel, hohe Kleriker, gehobene Bürger) leisten, an deren Lebensstil sich auch die Bücher inhaltlich ausrichteten, so Murray Jones.
Nicht alle Abhandlungen, die sich mit Regimen und Diätetik befassen, sind illustriert, aber wenn sie es sind, dann in einer Weise, wie es sich für ein Buch schickt, das für einen Mann von hoher Geburt und großem Vermögen gedacht ist.
Quelle: Peter Murray Jones, Heilkunst des Mittelalters in illustrierten Handschriften, S. 103
Das trifft auf das VM eindeutig nicht zu, denn die Qualität seiner Abbildungen ist niedrig. Zum Vergleich mal eine Badeszene. Hier sind auch Dinge wie Wanne und Tuch oder die Interaktion der beiden Personen eindeutig erkennbar, was in diesen Szenen beim VM nicht der Fall ist.
Courtesy British Library, Sloane 1977, f.8v
https://imagesonline.bl.uk/asset/4822/Original anzeigen (0,1 MB)Nun zu Christine Jakobi-Mirwald, "Das mittelalterliche Buch, Funktion und Ausstattung". Das Thema wird hier mit Schwerpunkt auf der Funktion und Rezeption der Bücher behandelt und bezieht auch die Spätantike, Renaissance und den Beginn des Buchdrucks mit ein.
Ob im Einzelfall eine Handschrift wirklich als Handbuch etwa eines Mediziners fungierte oder ob sie ein Sammlerstück war, erhellt sich üblicherweise aus ihrem Ausstattungsniveau und vor allem ihrem Erhaltungszustand. - Jakobi-Mirwald, S. 92
Das Austattungsniveau passt beim VM nicht zu einem vermögenden Sammler als Auftraggeber, aber wenn andererseits das VM wirklich ein Handbuch für die Praxis gewesen wäre, sollten Gebrauchsspuren zu erkennen sein.
Mittelalterliche Fachliteratur scheint oft nicht für den Fachmann bestimmt gewesen zu sein, sondern diente einem Sammler zur Erbauung oder zum Prestigegewinn. - Jakobi-Mirwald, S. 92
Prestigeträchtig sieht das VM wirklich nicht aus. Über seine Erbaulichkeit lässt sich streiten, aber ein Unterhaltungszweck bzw. Kuriosum bleibt möglich.
Besonders interessant finde ich die Details zur Herstellungstechnik. Jakobi-Mirwald (S. 132) schreibt, dass in Codices
immer zuerst der Text geschrieben wurde, Flächen für die Abbildungen frei blieben und diese erst in einem eigenen Arbeitsgang eingefügt wurden. Auch gebunden wurden die Seiten in aller Regel erst nach dem Beschreiben und Bemalen. Bei aufwändigen Büchern konnten dadurch mehrere Leute gleichzeitig daran arbeiten. Das bestätigt auch dieser Artikel aus dem "Virtuellen Museum" der Uni Trier:
https://dhmuseum.uni-trier.de/node/359Das normale Vorgehen war also umgekehrt wie beim VM. Bei diesem entstanden zuerst die Bilder und dann der Text. Die Seiten waren dabei zumindest teilweise schon gebunden, das kann man an diesem Detail erkennen, wo die noch frische Farbe auf der Seite gegenüber einen Abdruck hinterlassen hat.
Original anzeigen (0,2 MB)Quelle:
https://collections.library.yale.edu/catalog/2002046