Das Poltergeist-Phänomen
07.12.2013 um 22:46
"Wieder auf der Straße angelangt, beschlossen die beiden den ihnen bekannten Poracer Oberlehrer Kanuczak aufzusuchen, um bei ihm Rat und Hilfe zu suchen. Dieser wußte zwar keine Aufklärung zu geben, ging aber ein Stück des Weges mit. Als er aber selbst von einigen dieser unheimlichen Steine getroffen wurde, trat er den Rückweg an und so standen nun die beiden einsam und hilflos in der Dunkelheit da. Sie fingen wieder an zu laufen, aber jetzt erst setzte der Steinhagel mit aller Wucht wieder ein. Dieser letzte Teil des Weges bleibt besonders dem älteren Koszänyi in schrecklicher Erinnerung.
(Ich ging am nächsten Morgen mit Lazy die Straße ab, auf welcher in der Nacht die Flucht erfolgt war. Sie war Schritt für Schritt mit Gesteintrümmern übersät, an deren Aussehen und frischen Bruchflächen man genau konstatieren konnte, daß sie erst vor kurzer Zeit auf die Straße aufgefallen sein mußten. Viele davon hatten die Größe eines Kindskopfes und hoben sich deutlich auf der wohlgepflegten Straße von den kleinen Schottersteinen ab, die wohlgeschichtet hie und da eine Vertiefung der Straße ausfüllten.) So erfolgte die Ankunft im Forsthause. Aber auch hier war keine Rettung zu finden, kaum hatten die beiden die Türe hinter sich geschlossen und wollten gerade mit der Schilderung des Erlebten beginnen, so fielen auch schon die Steine ins Wohnzimmer. Man flüchtete ins Speisezimmer, ins Schlafzimmer, immer kamen die Steine nachgeflogen. Wenn man sich vergegenwärtigt, welchen dröhnenden Aufschlag solche Steine im Zimmer verursachen, kann man sich leicht vorstellen, daß besonders die Frauen beständig Angst- und Hilferufe ausstießen.
Am ersten Tage waren die meisten Erscheinungen ungestüm, so daß auch einzelne Fensterscheiben zertrümmert wurden, so z. B. eine kleine Scheibe im Zimmer und zwei Scheiben in der Küchentüre. Der knapp anliegende, an dem Fensterrahmen mit Reißnägeln befestigte feine Vorhang blieb gänzlich unversehrt, ein deutlicher Beweis, daß der Stein in entmaterialisiertem Zustande beim Durchdringen eines Gegenstandes diesen in keiner Weise beschädigt, sobald er aber seine Materie zurückgewinnt, wie jeder andere Stein ein Fenster zerschlägt. Der kleine Vorhang schloß das Fenster so dicht ab, daß in den seitlichen Fügen kaum ein Samenkorn, geschweige denn ein faustgroßer Stein durchkommen konnte.
Am ersten Abend beteiligten sich an dem Treiben hauptsächlich Steine sowie auch Kohlenstücke aus der Küche. Auch diese wanderten durch alle Türen bis ins Schlafzimmer und fielen dort nieder. Sie zerschlugen dabei auch zwei Fenster in der Küchentüre. Die Steine nahmen den Weg sowohl ins Zimmer hinein als auch aus demselben hinaus. Auch die im Zimmer sich befindende Mineraliensammlung wurde in das Treiben mit hineingerissen: die einzelnen Stücke wandelten von Zimmer zu Zimmer. Da man die Befürchtung hegte, die Gläser und Porzellangegenstände würden in Trümmer geschlagen, so warf man die Steine und Kohlenstücke aus der Wohnung hinaus. Es flogen aber immer wieder andere herein.
Endlich kam man auf den Gedanken, der 13-jährige Tibor habe das Unheil über die Familie gebracht und es wurde beschlossen ihn noch in der Nacht aus dem Forsthaus zu entfernen. Der 28-jährige Lazy, dem der eben auf der Straße überstandene Schrecken noch in dm Gliedern saß, weigerte sieh, den schwierigen Gang in der Nacht noch einmal zu machen. Er meldete sich dazu die
23-jährige Cousine Anika, die den Knaben sehr gerne hatte. Dies war die zweite dem Medium sympathische Persönlichkeit. Auf dem Wege zum Kotterbacher Lehrer Graviansky begleitete beide der gleiche Steinhagel wie auf dem Wege von Porac, Es gereicht dem Fräulein sehr zur Ehre, daß sie tapfer an der Seite des Knaben aushielt, während z. B. der Poracer Gemeindevorsteher und der dortige Oberlehrer davonliefen.
Die Veranda des Lehrers Graviansky zeigte sieh am nächsten Morgen mit faust- und kopfgroßen Steinen besät, welche dort hingefallen waren, als die beiden vor der Tür standen und Einlaß begehrten. Kaum schloß der Lehrer ein Fenster auf, als er auch schon von einem Stein getroffen wurde, dem weitere folgten. Er nötige daher die beiden Flüchtlinge, zu ihm ins Zimmer zu kommen.
Im Forsthause war unterdessen Ruhe eingetreten und der Forstverwalter holte die Kinder ab. Der Lehrer begleitete sie dann auf der Straße und bekam auch seinen Teil zu verspüren. Er, der den ganzen Weltkrieg mitgemacht hat, verglich diesen Gang mit einem Marsch im Trommelfeuer. Als der Forstverwalter wieder die gleichen Erscheinungen sah, schickte er den Knaben mit dem Lehrer ins Lehrerhaus zurück, Anika begleitete ihren Vater und dann erst trat Ruhe ein.
Als Tibor am Morgen in das Forsthaus zurückkehrte, also wieder in die Nähe der sympathischen Verwandten kam, nahmen die Erscheinungen ihren Fortgang.
Dies alles ist mir durch die Erzählung der beteiligten Personen bekannt geworden. Am zweiten Tage setzten meine persönlichen Beobachtungen ein. Ich traf in der Frühe zuerst mit Lazy zusammen und ließ mir von den Erscheinungen der Vornacht erzählen. Er zeigte dabei auf den Knaben, der unweit auf der Straße mit seiner Cousine Anika stand. Auf einmal hörte ich den Knaben schreien „Schon wieder einer!" Ich trat näher und es dauerte nicht lange, so wurde auch ich von dem ersten Stein getroffen. Ich hob ihn auf, er fühlte sich warm an. Der Stein ging von Hand zu Hand. Jeder überzeugte sich, daß derselbe eine höhere Temperatur hatte als alle übrigen Steine der Umgebung.
Später kühlte er sich ab. Auch der Wasserstrahl, der einige Tage später beobachtet wurde, war warm. Das Wasser wurde plötzlich in Höhe von etwa einem halben Meter über dem Boden sichtbar.
Man könnte annehmen, daß beim Materialisieren, wie beim Dematerialisieren und der damit verbundenen Aenderung des Aggregatzustandes ähnlich wie bei anderen physikalischen Vorgängen Wärme erzeugt wird.
Von welcher Seite der Stein gekommen war, konnte ich beim ersten nicht feststellen, weil das Ganze zu überraschend und unerwartet kam. Ich untersuchte zunächst die ganze Umgebung. Es war aber kein Mensch zu erblicken. Solange man der sonderbaren Art des Auffliegens nicht auf die Spur gekommen war, war man geneigt, zu glauben, es könnte jemand werfen. Als ich später den leisen Aufschlag dieser bis faustgroßen Steine verspürte, kam ich zu der festen Ueberzeugung: so kann kein Mensch werfen. Der Stein war im Augenblick der Berührung gewichtslos, erst später bekam er seine Schwere wieder. Um genauer beobachten zu können, setzte ich den Knaben samt seiner Cousine vor mich auf einen sonnigen Rasen und beobachtete den ganzen Vormittag. Ich hatte das Glück, eine ganze Reihe von Steinen sehen zu können, darunter auch einige während des gewichtslosen Fluges. Diese Flugbahn war nicht wie die eines jeden Körpers parabolisch, sondern vollständig wagerecht. Manche bekamen zuerst Farbe und Form und dann das Gewicht zurück, waren also einen Teil des Weges sichtbar, als sie noch kein Gewicht hatten. Manche bekamen ihr Gewicht zurück, ohne einen der Anwesenden zu berühren. Mitten in ihrer wagerechten Flugbahn wurden sie wieder vollgewichtig und brachen diese Bahn rechtwinklig nach abwärts ab.
Frau Koszanyi trieb die Kinder in der Frühe, als der Steinhagel mit dem Eintreffen Tibors wieder begann, hinaus vor das Haus und sperrte die Zimmer ab. Plötzlich hörten wir durch die geöffneten Fenster das Geklirr von auffallenden Porzellangegenständen. Wir öffneten das Zimmer, in welchem sich niemand befand. Die ganzen Nippsachen lagen auf dem Fußboden, keines aber war beschädigt. Wir stellten alles wieder an Ort und Steile. Ich nahm einzelne Stücke zur Hand und versuchte festzustellen, aus welcher Entfernung vom Fußboden diese Gegenstände ein ähnliches Geklirr verursachen könnten, wie das soeben gehörte. Das Resultat meiner Untersuchung war, daß die Gegenstände etwa in einer Entfernung von einem halben bis einem Zentimeter vom Fußboden ihr volles Gewicht wieder erlangt haben konnten. Aus einer Entfernung von fünf bis zehn Zentimeter mit vollem Gewicht auffallend, würden die zarten Nippsachen in hundert Stücke zerschellen. Aehnlich könnte es sich sich mit den Steinen verhalten haben. Ein Aufschlag von mehr als einem Zentimeter Entfernung müßte unbedingt Verletzungen zur Folge haben, welche aber nicht zu verzeichnen waren. Erst als der Knabe ohne Strümpfe einherging und ihn einer der bereits materialisierten Steine am Fuße streifte, war eine gewöhnliche Abschürfung zu sehen.
Man empfand die Berührung durch die einzelnen Steine übrigens nicht in gleicher Weise, bei manchen schien der Schlag schon etwas empfindlicher, bei anderen war die Berührung wie mit einem Papierwürfel, je nach der Entfernung vom Körper, in welcher der Stein sein volles Gewicht zurückbekam. Den Weg, welchen die einzelnen Steine wahrscheinlich in wagerechter Flugbahn zurückgelegt hatten, konnte ich am besten an den einzelnen Stücken der Mineraliensammlung feststellen, von denen jedes Stück der Besitzerin bekannt war. Wie erwähnt wurden am Abend alle Steine aus dem Forsthaus durch die Bewohner in den Garten befördert, um endlich die Bewegung dieser Gegenstände zum Stillstand zu bringen. Das Fräulein erzählte mir dieses und zeigte mir einzelne im Garten verstreut liegende wertvolle Stücke. Als wir dann etwa hundert Schritte von der Wohnung entfernt in einem anderen Hause eine Besorgung machen wollten, flogen uns auf der Straße einzelne Steine nach, von denen Anika die Stücke ihrer Sammlung erkannte. Auch von diesen behielt ich mir einige als Andenken zurück. Etliche derselben sah ich zwischen dem Fräulein und mir in Brusthöhe daherkommen und als sie das volle Gewicht zurückerlangt hatten, im rechten Winkel plötzlich abbiegen und zu Boden fallen.
Aus diesem Beispiel konnte man untrüglich feststellen, daß die Steine, welche im Garten verstreut lagen, von der uns noch unbekannten Kraft entmaterialisiert, in diesem Zustande über einen Weg von hundert bis zweihundert Schritt wahrscheinlich in wagerechter Flugbahn weiterbefördert wurden und erst gegen Schluß ihres Weges, also in unserer Nähe Farbe und Form, und zuletzt meist erst das Gewicht zurückerlangten, so daß man bei einigen derselben einen halben bis einen ganzen Meter ihrer Flugbahn wahrnahm.
Am nächsten Tage konnte eine ganze Reihe von Personen die Erscheinungen beobachten. Sie waren Zeugen der Tatsache, daß Gegenstände durch zwei bis drei geschlossene Räumlichkeiten in entlegene Zimmer getragen wurden. So flog ein zartes Parfümfläschchen aus dem Salon ins Speisezimmer und wurde sichtbar, als es etwa in Kniehöhe das Bein eines Herrn berührte, dann fiel es mit leisem Aufschlag zu Boden.
Wenn der zurückzulegende Weg ein kurzer war, so unterblieb oft die Unsichtbarmachung und man konnte den ganzen Flug des Gegenstandes verfolgen. So kam ich in die Lage, gemeinsam mit Anika den Weg einer Porzellanschale vom Tisch herab auf den Fußboden beobachten zu können. Das Bild ließe sich etwa mit einer langsamen Kinoaufnahme vergleichen. Weitere Erscheinungen bestanden in dem Ausbreiten von Karten. Den Weg, den dieselben vom Spieltisch bis zu den Füßen einer Frau am entgegengesetzten Ende des Zimmers zurücklegten, hat niemand gesehen. Die Karten wurden dort eine nach der anderen sichtbar.
Wir gingen dann wieder von Zimmer zu Zimmer, um neue Veränderungen festzustellen. Im Speisezimmer lag auf dem Boden das Tintenfaß, daneben eine geöffnete Zigarettendose, links davon eine umgestülpte Aschenschale. Die Asche war merkwürdigerweise nicht verschüttet, sondern sie lag geordnet unter der Schale. Ebenso war kein Tropfen Tinte verschüttet, nicht einmal die Federstiele auf der Schale waren verschoben.
In der Speisekammer lag ein frischer Gugelhupf, der vorher auf der obersten Stellage stand, samt dem Teller auf dem Boden, daneben rechts und links statt Messer und Gabel zwei Damenschuhe aus dem Schlafzimmer, welche den Weg durch vier Räumlichkeiten zurücklegen mußten, um in die Speisekammer zu gelangen. Auf dem Sitzbrett des Klosetts fanden wir schon längst vermißte Gegenstände: Gewichte der Wage, eine Seifenschale mit Seife und ein Reibsackl aus der Küche, alles symmetrisch aufgestellt.
Versuche, die Ereignisse in einem uns günstigen Sinne zu beeinflussen, machten weiter keinen Eindruck. Aber am nächsten Tage kam auf dem Kirchgang Geld geflogen. Es flatterten Geldstücke sowie auch Papiernoten den Kirchgängern vor die Füße, aber niemand meldete sich auf Nachfrage als Verlustträger. Das Geld wurde der Kirche gespendet. Geld wanderte auch von einer Börse in die andere, Schlüssel verschwanden und kamen wieder.
Während ich mit den von zu Hause fortgeschickten Kindern im Bade weilte und versuchte, eventuelle Erscheinungen mit meinem photographischen Apparat aufzunehmen, geschah überhaupt nichts, aber der alte Koszänyi kam nach einer Viertelstunde und teilte mit, daß im Forsthause die Erscheinungen sich fortgesetzt hätten.
Als der Knabe schon drei Tage in seiner Heimat Topolcany weilte, also abgereist war, ereignete sich noch ein Fall, der wohl als vereinzelte Nachwirkung anzusehen ist. Während mir nämlich Anika erzählte, sie und Tibor würden bezichtigt, Geld aus der Warenhalle herausgelockt zu haben, flogen in derselben Halle, 2 km von unserem Standort entfernt, bei geschlossenen Türen und Fenstern Steine herein, und zwar auch in den Raum der Kassiererin, die hinter einer allseits geschlossenen Glaswand sitzt. Niemand weilte in der Halle, als das Geschäftspersonal.
Soweit der Fall Kotterbach. Leider konnte ich keinerlei weitere Mitteilungen mehr erhalten, trotzdem ich mit der Familie auf gutem Fuße stehe, denn die Leute verschließen sich vor der Welt, da sie das Gespött der Leute fürchten."