Das Poltergeist-Phänomen
17.11.2013 um 13:37Aus der Geschichte des Poltergeistphänomens (I)
Vielleicht interessiert sich ja jemand für die Geschichte des Poltergeistphänomens. In den folgenden Wochen möchte ich einen kleinen Einblick geben. (Im Vergleich zur Masse der Berichte - Cornell und Gauld haben 1979 rund 500 schriftlich überlieferter Fälle zusammengestellt - ist das alles nur ein kleiner Ausschnitt.)
Interessanter Weise sind aus der Antike meines Wissens keine Poltergeist-Fälle überliefert. Zwar soll es angeblich Berichte aus dem alten Ägypten über regnende Steine und sich bewegende Betten geben, doch habe ich dafür noch keine Quelle benannt gefunden. Die oft zitierte Gespenstergeschichte, die Plinius der Jüngere (ca. 61-113 n.Chr.) in einem Brief an Licinius Sura schildert (Epistulae VII, 27), ist eigentlich keine Poltergeistgeschichte, auch wenn sie in dem katastrophal schlechten Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Poltergeist“ als solche angeführt wird. (In der Diskussion zum Artikel ist unter dem Stichwort „Notwendige Überarbeitung 2013“ einiges – bei weitem nicht alles – angeführt, was mit dem Artikel „nicht stimmt“). Trotzdem will ich die Geschichte hier zitieren, weil sie die klassische europäische Gespenstergeschichte schlechthin ist (vor allem das Klischee vom „kettenrasselnden“ Gespenst geht wohl auf diesen Brief des Plinius zurück):
In Athen gab es ein großes Haus, in dem man in der Nacht Eisen klirren und Ketten rasseln hörte. Es erschien ein Gespenst, ein alter Mann, abgemagert, mit langem Bart und struppigen Haaren. An den Beinen trug er Fußfesseln, an den Händen Ketten, die er schüttelte. Die Bewohner des Hauses durchwachten grausige Nächte; die Schlaflosigkeit führte zu Krankheiten und bei zunehmender Angst zum Tod. Schließlich wurde das Haus zur Vermietung ausgeschrieben, falls es jemand in Unkenntnis jener Schrecknisse kaufen oder mieten wollte.
Jetzt Plinius wörtlich (die Übersetzung aus dem Lateinischen ist darum bemüht, das Original so wörtlich wie möglich wiederzugeben, so dass sie stellenweise ein wenig ungelenk klingt):
„Plinius grüßt seinen Sura
(...)
Es kam der Philosoph Athenodorus nach Athen, las das Angebot und nachdem er den Preis gehört hatte, erkundigte er sich, da er ihm verdächtig niedrig vorkam, erfuhr alles und mietete es trotzdem, ja umso mehr. Sobald es zu dämmern begonnen hatte, ließ er sich im vorderen Teil des Hauses ein Lager bereiten, verlangte Schreibtafeln, Griffel, eine Lampe; seinen Geist, die Augen und seine Hand konzentrierte er aufs Schreiben, damit ihm sein unbeschäftigtes Hirn nicht Trugbilder, von denen er gehört hatte, und unwirkliche Schreckbilder vorgaukle.
Am Anfang (herrschte) Stille der Nacht wie überall, hierauf wurde Eisen zusammengeschlagen und Ketten bewegt; jener hob die Augen nicht, sondern fasste sich ein Herz und ließ den Geist [damit ist nicht das Gespenst gemeint, sondern des Philosophen eigener Geist („anima“)] stärker sein als die Ohren. Dann wuchs das Getöse, kam näher und wurde schon wie auf der Schwelle und schon wie innerhalb des Hauses gehört. Er blickte auf, sah und erkannte das ihm beschriebene Gespenst („videt agnoscitque narratam sibi effigiem“). Es stand da und winkte mit dem Finger gleich einem Rufenden. Dieser dagegen deutet ihm mit der Hand, ein wenig zu warten und wandte sich wieder den Wachstafeln und dem Griffel zu. Jenes klirrte mit den Ketten über dem Haupt des Schreibenden. Er sah es wieder auf dieselbe Weise, wie vorher, winken, ohne zu verweilen hob er das Licht auf und folgte. Jenes ging mit langsamen Schritt gleichsam von Ketten beschwert. Nachdem es in den Hof des Hauses abgebogen war, verschwand es plötzlich und verließ den Begleiter. Nachdem er allein gelassen worden war, legte er Pflanzen und zusammengeraffte Blätter als Kennzeichen auf den Platz.
Am nächsten Tag wandte er sich an die Behörde („adit magistratus“) und ersuchte, dass man jenen Platz aufgraben lasse. Es wurden in Ketten gelegte und umwundene Gebeine gefunden, die der von der Zeit und der Erde verweste Leichnam nackt und zerfressen in den Ketten zurückgelassen hatte. Die Gebeine wurden gesammelt und auf Staatskosten bestattet. Nachdem die Totengeister in feierlicher Form bestattet worden war, war das Haus fortan frei von Geistererscheinungen.
Lebe wohl!“
Das ist aber, wie gesagt, kein klassischer „Poltergeist“, da außer vom Gerassel der Ketten („catenis insonabat“) von keinerlei physischen Manifestationen die Rede ist.
Der älteste mir bekannte Bericht über ein „Poltergeist-Phänomen“ stammt aus der Lebensbeschreibung des Heiligen Germanus von Auxerre (St. Germain, 378-448) durch Constantius von Lyon (De Vita sancti Germani, um 480).
Bischof Germanus und seine Begleiter, so erzählt Constantius, seien eines Winters (Constantius Lebensbeschreibung enthält keine Jahreszahlen) unterwegs gewesen, als sie müde und erschöpft eine Unterkunft suchten und schließlich in einem verlassenen und halbverfallenen Haus Unterschlupf fanden. Zwei alte Leute, die in der Nähe wohnten, hatten sie bereits zuvor gewarnt, dass keiner in dem Haus wohnen wolle wegen der „schrecklichen Angriffe/Beunruhigungen“ („infestatione terribili“), die dort die Ruhe und den Frieden stören würden. Das schreckt Germanus aber nicht ab – im Gegenteil. Er und seine Gefährden übernachten in einem noch bewohnbaren Raum des verfallenen Hauses. Nach einem kargen Mahl (Germanus selbst isst nichts), schläft der Bischof erschöpft ein, während ihm einer seiner Gefährten vorliest. „Plötzlich („subitum“) erschien ein schreckliches Gespenst („umbra terribilis“ wörtlich: „schrecklicher Schatten“) vor dem Gesicht des Vorlesers und stand allmählich, während er es ansah, aufrecht. Zugleich wurden die Wände mit einem Schauer von Steinen zerschlagen („parietes etiam saxorum imbribus conliduntur“). Der erschreckte Vorleser weckt den Bischof, der dem Gespenst im Namen Christi gebietet, zu sagen wer er sei und was er hier tue. Der Schatten lässt daraufhin seine schreckenerregenden Schein („terrifica vanitate“) fallen und erzählt, dass er und sein Freund zu Lebzeiten schlimme Verbrechen begangen hätten und dass ihre Leichen nun unbegraben in einem Teil des Hauses liegen würden und Leute belästigten, da sie selbst keine Ruhe fänden. Das Gespenst führt den Heiligen zu einem Trümmerhaufen. Am nächsten Tag ruft Germanus einige Nachbarn zusammen und lässt die Trümmer wegräumen, unter denen man zwei in Ketten liegende Skelette findet. Nachdem diese ein christliches Begräbnis erhalten, hört der Spuk auf.
Ein Teil der Geschichte hört sich verdächtig nach Plinius an, den Constantius von Lyon höchst wahrscheinlich kannte. Aber außer den Details der Ketten und der unbegrabenen Leichen sind die Geschichten doch ziemlich unterschiedlich. Neu und in unserem Zusammenhang bedeutend sind natürlich die gegen die Wände fliegenden Steine, die das ganze überhaupt erst – im Gegensatz zu Plinius – zu einer „Poltergeist“-Geschichte machen. Ähnliche Steinwürfe, die dann aber von den sie berichtenden Autoren nicht unbegrabenen Toten, sondern dem „Teufel“ oder „Dämonen“ zugeschrieben werden, tauchen dann später etwa im „Leben des heiligen Romanus von Condat“ (geschrieben um 520) oder im „Leben der Väter“ (vor 594) des Gregor von Tours auf. Aber natürlich kann ich nicht auf jede Geschichte einzeln eingehen, deshalb als nächstes die erste überlieferten Poltergeistphänomene aus dem deutschen Raum. Aber für heute ist erstmal genug.
Vielleicht interessiert sich ja jemand für die Geschichte des Poltergeistphänomens. In den folgenden Wochen möchte ich einen kleinen Einblick geben. (Im Vergleich zur Masse der Berichte - Cornell und Gauld haben 1979 rund 500 schriftlich überlieferter Fälle zusammengestellt - ist das alles nur ein kleiner Ausschnitt.)
Interessanter Weise sind aus der Antike meines Wissens keine Poltergeist-Fälle überliefert. Zwar soll es angeblich Berichte aus dem alten Ägypten über regnende Steine und sich bewegende Betten geben, doch habe ich dafür noch keine Quelle benannt gefunden. Die oft zitierte Gespenstergeschichte, die Plinius der Jüngere (ca. 61-113 n.Chr.) in einem Brief an Licinius Sura schildert (Epistulae VII, 27), ist eigentlich keine Poltergeistgeschichte, auch wenn sie in dem katastrophal schlechten Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Poltergeist“ als solche angeführt wird. (In der Diskussion zum Artikel ist unter dem Stichwort „Notwendige Überarbeitung 2013“ einiges – bei weitem nicht alles – angeführt, was mit dem Artikel „nicht stimmt“). Trotzdem will ich die Geschichte hier zitieren, weil sie die klassische europäische Gespenstergeschichte schlechthin ist (vor allem das Klischee vom „kettenrasselnden“ Gespenst geht wohl auf diesen Brief des Plinius zurück):
In Athen gab es ein großes Haus, in dem man in der Nacht Eisen klirren und Ketten rasseln hörte. Es erschien ein Gespenst, ein alter Mann, abgemagert, mit langem Bart und struppigen Haaren. An den Beinen trug er Fußfesseln, an den Händen Ketten, die er schüttelte. Die Bewohner des Hauses durchwachten grausige Nächte; die Schlaflosigkeit führte zu Krankheiten und bei zunehmender Angst zum Tod. Schließlich wurde das Haus zur Vermietung ausgeschrieben, falls es jemand in Unkenntnis jener Schrecknisse kaufen oder mieten wollte.
Jetzt Plinius wörtlich (die Übersetzung aus dem Lateinischen ist darum bemüht, das Original so wörtlich wie möglich wiederzugeben, so dass sie stellenweise ein wenig ungelenk klingt):
„Plinius grüßt seinen Sura
(...)
Es kam der Philosoph Athenodorus nach Athen, las das Angebot und nachdem er den Preis gehört hatte, erkundigte er sich, da er ihm verdächtig niedrig vorkam, erfuhr alles und mietete es trotzdem, ja umso mehr. Sobald es zu dämmern begonnen hatte, ließ er sich im vorderen Teil des Hauses ein Lager bereiten, verlangte Schreibtafeln, Griffel, eine Lampe; seinen Geist, die Augen und seine Hand konzentrierte er aufs Schreiben, damit ihm sein unbeschäftigtes Hirn nicht Trugbilder, von denen er gehört hatte, und unwirkliche Schreckbilder vorgaukle.
Am Anfang (herrschte) Stille der Nacht wie überall, hierauf wurde Eisen zusammengeschlagen und Ketten bewegt; jener hob die Augen nicht, sondern fasste sich ein Herz und ließ den Geist [damit ist nicht das Gespenst gemeint, sondern des Philosophen eigener Geist („anima“)] stärker sein als die Ohren. Dann wuchs das Getöse, kam näher und wurde schon wie auf der Schwelle und schon wie innerhalb des Hauses gehört. Er blickte auf, sah und erkannte das ihm beschriebene Gespenst („videt agnoscitque narratam sibi effigiem“). Es stand da und winkte mit dem Finger gleich einem Rufenden. Dieser dagegen deutet ihm mit der Hand, ein wenig zu warten und wandte sich wieder den Wachstafeln und dem Griffel zu. Jenes klirrte mit den Ketten über dem Haupt des Schreibenden. Er sah es wieder auf dieselbe Weise, wie vorher, winken, ohne zu verweilen hob er das Licht auf und folgte. Jenes ging mit langsamen Schritt gleichsam von Ketten beschwert. Nachdem es in den Hof des Hauses abgebogen war, verschwand es plötzlich und verließ den Begleiter. Nachdem er allein gelassen worden war, legte er Pflanzen und zusammengeraffte Blätter als Kennzeichen auf den Platz.
Am nächsten Tag wandte er sich an die Behörde („adit magistratus“) und ersuchte, dass man jenen Platz aufgraben lasse. Es wurden in Ketten gelegte und umwundene Gebeine gefunden, die der von der Zeit und der Erde verweste Leichnam nackt und zerfressen in den Ketten zurückgelassen hatte. Die Gebeine wurden gesammelt und auf Staatskosten bestattet. Nachdem die Totengeister in feierlicher Form bestattet worden war, war das Haus fortan frei von Geistererscheinungen.
Lebe wohl!“
Das ist aber, wie gesagt, kein klassischer „Poltergeist“, da außer vom Gerassel der Ketten („catenis insonabat“) von keinerlei physischen Manifestationen die Rede ist.
Der älteste mir bekannte Bericht über ein „Poltergeist-Phänomen“ stammt aus der Lebensbeschreibung des Heiligen Germanus von Auxerre (St. Germain, 378-448) durch Constantius von Lyon (De Vita sancti Germani, um 480).
Bischof Germanus und seine Begleiter, so erzählt Constantius, seien eines Winters (Constantius Lebensbeschreibung enthält keine Jahreszahlen) unterwegs gewesen, als sie müde und erschöpft eine Unterkunft suchten und schließlich in einem verlassenen und halbverfallenen Haus Unterschlupf fanden. Zwei alte Leute, die in der Nähe wohnten, hatten sie bereits zuvor gewarnt, dass keiner in dem Haus wohnen wolle wegen der „schrecklichen Angriffe/Beunruhigungen“ („infestatione terribili“), die dort die Ruhe und den Frieden stören würden. Das schreckt Germanus aber nicht ab – im Gegenteil. Er und seine Gefährden übernachten in einem noch bewohnbaren Raum des verfallenen Hauses. Nach einem kargen Mahl (Germanus selbst isst nichts), schläft der Bischof erschöpft ein, während ihm einer seiner Gefährten vorliest. „Plötzlich („subitum“) erschien ein schreckliches Gespenst („umbra terribilis“ wörtlich: „schrecklicher Schatten“) vor dem Gesicht des Vorlesers und stand allmählich, während er es ansah, aufrecht. Zugleich wurden die Wände mit einem Schauer von Steinen zerschlagen („parietes etiam saxorum imbribus conliduntur“). Der erschreckte Vorleser weckt den Bischof, der dem Gespenst im Namen Christi gebietet, zu sagen wer er sei und was er hier tue. Der Schatten lässt daraufhin seine schreckenerregenden Schein („terrifica vanitate“) fallen und erzählt, dass er und sein Freund zu Lebzeiten schlimme Verbrechen begangen hätten und dass ihre Leichen nun unbegraben in einem Teil des Hauses liegen würden und Leute belästigten, da sie selbst keine Ruhe fänden. Das Gespenst führt den Heiligen zu einem Trümmerhaufen. Am nächsten Tag ruft Germanus einige Nachbarn zusammen und lässt die Trümmer wegräumen, unter denen man zwei in Ketten liegende Skelette findet. Nachdem diese ein christliches Begräbnis erhalten, hört der Spuk auf.
Ein Teil der Geschichte hört sich verdächtig nach Plinius an, den Constantius von Lyon höchst wahrscheinlich kannte. Aber außer den Details der Ketten und der unbegrabenen Leichen sind die Geschichten doch ziemlich unterschiedlich. Neu und in unserem Zusammenhang bedeutend sind natürlich die gegen die Wände fliegenden Steine, die das ganze überhaupt erst – im Gegensatz zu Plinius – zu einer „Poltergeist“-Geschichte machen. Ähnliche Steinwürfe, die dann aber von den sie berichtenden Autoren nicht unbegrabenen Toten, sondern dem „Teufel“ oder „Dämonen“ zugeschrieben werden, tauchen dann später etwa im „Leben des heiligen Romanus von Condat“ (geschrieben um 520) oder im „Leben der Väter“ (vor 594) des Gregor von Tours auf. Aber natürlich kann ich nicht auf jede Geschichte einzeln eingehen, deshalb als nächstes die erste überlieferten Poltergeistphänomene aus dem deutschen Raum. Aber für heute ist erstmal genug.