[at_user schrieb:off-peak[/at_user] @Dogmatix Dogmatix id=19263953]off-peak schrieb:Und ich kann nur raten, bevor man vorschnell ein Phänomen postuliert, die Behauptungen dieser Zeugenaussagen zu prüfen. Und nicht einfach davon auszugehen, dass Zeugen immer Dinge und Geschehnisse fotografisch genau wieder geben oder davon auszugehen, dass das Gedächtnis wie eine Videokamera arbeiten würde.
Richtig, darauf hatte @anonyheathen verwiesen, genau hier:anonyheathen schrieb:(Betrug, Einbildung, Missverständnis natürlicher Phänomene
Grundsätzlich ist natürlich immer die
Möglichkeit gegeben, dass eine Wahrnehmung vom Gehirn falsch interpretiert wird, dass man sich falsch erinnert oder dass sogar Betrüger am Werk sind, die das Ganze regelrecht inszenieren. Aber das heißt ja nun nicht, dass es in jedem Fall auch
tatsächlich so ist, dass jede Wahrnehmung grotesk verzerrt, jede Erinnerung falsch und überall super geschickte Zauberkünstler am Werk sind.
Man muss sich dieser Möglichkeiten ständig bewusst sein, dann aber eben auch prüfen, ob sie im jeweils gegebenen Einzelfall, möglich, wahrscheinlich oder vielleicht sogar nachgewiesen sind – oder eben doch eher unwahrscheinlich, unmöglich oder „an den Haaren herbei gezogen“. Eine kritische Einschätzung jeden einzelnen Falles und sogar jeden Details ist notwendig – aber keine Pauschalurteile von vorneherein.
Auch die Falluntersucher wie William Roll oder Maurice Grosse – aber das kann man eben nur wissen, wenn man deren Berichte kennt– sind ja ständig auf dem Quivive, suchen nach Betrugsmöglichkeiten und naturalistischen Erkärungen und wollen sich nur ungern „ins Bockshorn jagen“ lassen. Wenn man zum Beispiel ein Buch liest wie „This House Is Haunted“ von Guy Lyon Playfair über den Enfield-Potergeist, wird bei der Schilderung einzelner Vorfälle darauf geachtet, ob Betrug möglich gewesen wäre oder nicht, wer was gesehen hat, ob nur eine Person über eine bestimmte Erscheinung berichtet oder mehrere usw.
Und auch die Betroffenen selbst gehen ja zunächst davon aus, dass sie da was falsch gesehen haben oder von jemandem reingelegt werden: Da schreit keiner gleich: „Huch! Ein Poltergeist!“, sondern die erste Reaktion ist: „Wer hat den Stein geworfen? Komm raus, du Lausbub! Na warte, ich erwische dich!“ Erst wenn man sich dann auf die Lauer legt, um den vermeindlichen versteckten „Lausbuben“ zu finden, aber, trotz aller Bemühungen, einfach kein Urheber auszumachen ist, und die Steine fallen und fallen, erst dann wird man perplex und bekommt es mit der Angst zu tun.
Gerade weil die Vorfälle so absurd und so beängstigend sind, versuchen die Menschen verzweifelt eine „logische“ Erklärung zu finden. Und deshalb muss man auch mit angeblichen Geständnissen und Aufdeckungen ebenso kritisch sein: Weil die Leute verzweifelt nach einer „logischen“ Erklärung suchen, sind sie auch schnell mit einer solchen bei der Hand, um wieder Normalität herstellen zu können – egal, ob die Erklärung wirklich zu den beobachteten Phänomenen passt oder nicht. Schnell ist dann zum Beispiel ein vermeintlich Schuldiger gefunden, der es gewesen sein „muss“. „Na los, Du Bengel, gib schon zu, dass Du es warst. Wenn Du gestehst, dann passiert dir nix; aber wenn nicht ...“ - „Okay, okay, ich geb's zu: Ich war's. Ich habe den Stein geworfen.“ Dann ist alles wieder „gut“ und alle sind zufrieden, denn die vermeintlich „rationale“ Erklärung ist gefunden und alle können wieder beruhigt sein. Normalität wieder hergestellt.
Deshalb ist es auch so, dass in Erinnerungen mit der Zeit nicht etwa weitere absurde Details hinzu erfunden werden, sondern eher das Gegenteil der Fall ist, dass „absurde“ Details, die man nicht in die Alltagserfahrung integrieren kann, eher verdrängt werden. Die Ereignisse werden in der Erinnerung „auf ein Normalmaß“ zurückgestutzt. „Weißt Du noch: Der Spuk damals auf dem Maierhof!“ - „Ja, Maiers Bubi hat ja alles gestanden. Man, müssen die damals leichtgläubig gewesen sein!“ - „Hihihi!“
Auch der Begriff „Poltergeist“ selbst ist in der Tat schon der Versuch einer rationalen Erklärung. Klingt vielleicht auf den erste Blick komisch, ist aber so: Die Menschen sehen, wie sich Gegenstände bewegen, als würden sie geworfen oder getragen. Aber da ist niemand, der sie wirft oder trägt oder auch nur in der Lage wäre, dies zu tun. (Weil zum Beispiel da, wo der Gegenstand herkommt, niemand ist, der ihn werfen könnte; oder weil der Stein so schwer ist, dass man ihn nur mit einem Katapult so weit und so präzise schleudern könnte etc. pp.) Oft scheinen diese Phänomene auch intelligent, indem sie zum Beispiel auf Fragen oder Aufforderungen reagieren. Da ist also etwas offensichtlich Unsichtbares („wie Sie sehen, sehen Sie nichts“), dass aber dennoch intelligent zu handeln scheint. Okay, was gibt es, was unsichtbar, aber intelligent ist? Genau: Geister! (Voraussetzung: Man glaubt an Geister oder Dämonen. Aber das haben die meisten Menschen zur Zeit Martin Luthers, als das Wort „Poltergeist“ entstand, ja noch getan.) Ergo: der da so rumpoltert, muss ein Geist sein – ein Poltergeist!