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07.09.2012 um 14:05
Ethnomarketing ist ein alter Hut:
Schwieriges Geschäft: Ethnomarketing
31.03.2010 | Von Sandra Goetz
Es ist erst wenige Jahre her, dass Ethnomarketing als neue Spezialdisziplin von Werbung, Vertrieb und Medienkommunikation umgarnt und gehypt wurde. Endlich hatte man sie als zahlungskräftige Konsumenten entdeckt, die Migranten türkischer, russischer oder anderer Herkunft. Endlich hatte man begriffen, dass das Einwandererland Deutschland eine gezielte werbliche Ansprache dieser Kunden unter Berücksichtigung ihrer sprachlichen und kulturellen Eigenheiten benötigt.
Schnell war auch ein Zauberwort namens „Ethnomarketing“ gefunden, das heute jedoch nicht nur arg konstruiert erscheint, sondern ebenso eine konnotative Grundschwingung hat. Vorreiter in Sachen Ethnomarketing waren die Versicherungsdienstleister Wüstenrot und Hamburg-Mannheimer. Mit türkischen Vertretern köderten sie die umworbene Klientel. Volkswagen, Postbank, Bild, sämtliche Mobilfunker und Deutsche Bank, Hamburger Sparkasse und Hypovereinsbank zogen nach. „Daimler-Benz hat neue Werbekonzepte entwickelt, um die umworbenen Deutschtürken besser zu erreichen“, weiß Jan Heumüller vom internationalen Werbenetzwerk Oridian. Trotz einiger positiver Beispiele ist die anfängliche Euphorie dennoch einer Ernüchterung gewichen. Es gibt zwar zig Diplom- und Doktorarbeiten in den verschiedensten Fachbereichen über Ethnomarketing, das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die hochfliegenden Träume der Realität stark hinterherhinken.
Werbung in fremdsprachigen Tageszeitungen und TV-Programmen, eine angepasste Werbeästhetik sowie eine Verkaufskultur, die den Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe entspricht, lässt sich zwar gut in Charts darstellen, aber mit der Umsetzung ist das so eine Sache. Vor allem, wenn es um Branding- und Performancemarketing geht. „Wir stoßen in Vertrieb und Mediaagenturen auf interessierte Ohren, aber das, was letzten Endes umgesetzt wird ist ein Bruchteil vom dem, was möglich ist“, sagt Heumüller. Klassische Ethnomarketer sind vor allem die Mobilfunkunternehmen und Fluggesellschaften. „Germanwings hat jetzt die Destination Tel Aviv im Angebot und wir sprechen mit unserer Kampagne gezielt israelische Mitbürger und Geschäftsreisende in Deutschland an“, so Heumüller.
Auch Andreas Küenle von Netpoint Media weiß um das harte Geschäft in Sachen Ethnomarketing. Erst vor einem Jahr hat der Online-Werbevermarkter Ethnomarketing mit über 20 Titeln in die Themenrotation aufgenommen und vermarktet in Kooperation mit der CoAdvertise GmbH und dem türkischen Vermarkter Bir Medya türkische Webseiten als Cross Border Traffic. Hierfür werden die User über IP-Targeting länderspezifisch zugeordnet. Die passende Banner-Werbung wird – in diesem Fall deutsche Banner-Werbung auf türkischen Webseiten – eingeblendet.
In dem Portfolio befinden sich die reichweitenstarken Webseiten der TV-Sender Kanal D, CNN Türk sowie die Ableger der auflagenstarken türkischen Tageszeitungen Hürriyet, Milliyet oder auch Vatan. Special-Interest-Portale mit den Schwerpunkten Autos, Motorrad und Video sind ebenso im Portfolio wie das beliebte deutsch-türkische Webportal Gezegen.de, eine Community, in der „Frauen sehr aktiv sind und eine Nutzerschaft von vierzig Prozent ausmachen“, so Küenle. Wenn man allerdings auf die Onlineseiten der türkischen Tageszeitungen geht, finden sich – mit Ausnahme von LIDL – sehr wenige Kampagnen von Markenartiklern. Andreas Küenle: „Die Kampagnen lassen sich noch an einer Hand abzählen. In Sachen Markenaufbau passiert hier augenblicklich zu wenig; das wird noch einige Jahre dauern bis übergreifende Kampagnen geplant werden.“
Das ist schade, denn in Zeiten fehlenden Werbeinventars in Deutschland wird diese Art von Traffic für viele Werbekunden zunehmend interessanter. Im Agenturbereich wird man erst langsam auf diesen Traffic aufmerksam; hier fehlt es Mediaplanern oft noch am Verständnis für diese Möglichkeit der Bannerwerbung. Über die Performance dieses Traffics lässt sich sagen, dass im Normalfall die Conversion- und Klickraten etwas niedriger sind als bei vergleichbarem deutschem Traffic. Allerdings ist der Cross Border Traffic meist auch günstiger.
Gut im Ethnobusiness ist e-plus mit seinen Submarken „base“ und „Ay Yildiz“. Das Mobilfunkunternehmen hat es im Februar geschafft: Mit 23 Prozent ist es Marktführer im deutsch-türkischen Mobilfunkmarkt und hat Vodafone (21 %) vom ersten Platz verdrängt. Zum Erfolg steuert base 3,7 % und „Ay Yildiz“ 6,7 % Marktanteil bei. Somit telefonieren rund ein Drittel der ca. drei Millionen türkischstämmigen Migranten in Deutschland über das Mobilnetz des Düsseldorfer Konzerns, wie eine Umfrage des Berliner Marktforschungsinstituts Data 4 U unter 1.032 repräsentativ ausgewählten türkischstämmigen Verbrauchern ab 14 Jahre ergeben hat.
Uns ist aufgefallen, dass der Trend hin zu kleineren Anbietern und Submarken geht“, so Umut Karakas von Data 4 U. „Insgesamt erreichen die kleineren Marken aktuell einen Anteil von 25 Prozent. Gegenüber früheren Studien wachsen diese damit sehr deutlich: In 2007 hatte der Anteil der kleineren Mobilfunkanbieter und Submarken bei 11 und 2005 bei 2 Prozent gelegen.“ Den Grund des Erfolgs sieht die Betriebswirtin in einer gelungenen Zielgruppenansprache im Bereich Ethnomarketing. Die Frau weiß, wovon sie spricht, denn sie ist vom Fach. Ist das Marktforschungsinstitut doch erfolgreich auf Ethnomarketing spezialisiert und zählt neben Unternehmen wie Daimler, Johnson & Johnson, Procter & Gamble, Sony Deutschland oder auch Deutsche Post alle großen Unternehmensberatungen zu ihren Kunden.
Um Ethnomarketing attraktiver und verständlicher zu machen, hob das Institut, das bereits seit 25 Jahren auf dem Markt ist, im Frühjahr 2009 den „Türken-Bus“ aus der Taufe. Monatlich wird eine telefonische Mehrthemenuntersuchung (CATI) realisiert – repräsentativ im türkischstämmigen Bevölkerungssegment in Deutschland. „Und wenn der Kunde möchte, realisieren wir auch einen Russen-Bus“, so Karakas schmunzelnd. „Dies ist eine preiswerte Möglichkeit, in die Ethnomarktforschung einzusteigen und mehr über seine türkischen oder russischen Kunden zu erfahren.“
Kenntnisse über den Kunden zu haben, vor allem über die Vorlieben, ist die Grundvoraussetzung, die man haben muss, um überhaupt Kampagnen fahren zu können, die Erfolg versprechend sein sollen. Im Onlinegeschäft heißt der Schritt zum Erfolg Ethnotargeting. Hintergrund: Fast jeder fünfte Einwohner in Deutschland, knapp 15 Millionen Menschen, hat einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen nutzen Internetangebote und Webseiten intensiv in deutscher oder der Landessprache. Um die kaufkräftige Zielgruppe der Türken, Russen, Italiener, Griechen, Bosnier etc. im Netz effektiv zu erreichen, wird Ethnotargeting eingesetzt. Diese Werbeform ist nichts anderes, als für bestimmte Angebote auf bestimmten Seiten im Internet zu werben, und zwar für Menschen mit Migrationshintergrund. Mithilfe von Geo-Targeting, das inzwischen schon zum Standard-Tool großer Werbenetzwerke zählt, kann man die Werbung zudem auf bestimmte Regionen eingrenzen. So können gezielt angelegte Werbemittel direkt für die gewünschte Zielgruppe angezeigt werden. „Klassische Werbeprodukte sind Flüge, Reisen, Finanzdienstleistungen, spezielle Telekommunikationsangebote, aber auch die Bewerbung von klassischen Produkten wie z. B. Kraftfahrzeugen über eine auf die Zielgruppe abgestimmten Ansprache“, sagt Jan Heumüller.
Damit die Werbeansprache nicht danebengeht, wäre es für das Ethnomarketing wünschenswert, im Vorfeld eine Kulturanalyse zu machen und gemeinsame Nenner in der ausgewählten Gruppe zu finden. Denn eines sollte klar sein: Ob Türken, Russen, Bosnier oder Marokkaner – diese sind genauso viel oder wenig homogen wie Deutsche, Italiener, Holländer, Chinesen oder US-Amerikaner. Die Kenntnis der Feiertage wäre so ein kleiner gemeinsamer Nenner. Moslems feiern beispielsweise Ramadan und Opferfest auch hier im Land. Ostern und Pfingsten feiern alle christlichen Konfessionen am selben Tag – im Gegensatz zu Weihnachten. In Russland ist der Heilige Abend der 6. Januar. Und das ist er auch für Russlanddeutsche oder Deutschrussen. Die Tatsache, dass jemand einen Migrationshintergrund hat, heißt nicht automatisch, dass dieser Mensch Experte ist und die Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppen bestens kennt. Auch Mehrsprachigkeit ist kein Garant für eine tiefe Kulturexpertise.
Ob sich Ethnomarketing 2.0 etablieren wird, hängt nicht allein vom Mediennutzungsverhalten ab – Menschen mit Migrationshintergrund unterscheiden sich hier nur bedingt von der deutschstämmigen Bevölkerung –, sondern wie sich die klassische Werbung in den nächsten Jahren in Deutschland entwickeln wird. Die Werbebotschaften sind seit Ende der 1990er-Jahre zunehmend wertkonservativer geworden. Das Bild der glücklichen heilen Welt der Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern könnte – so haben es auch mediensoziologische Untersuchungen ergeben – aus den 1950er-Jahren stammen.
Die Werbung spiegelt noch nicht einmal ansatzweise die Multikulti-Gesellschaft wider, in der wir uns befinden. Das tut das Netz – und das macht die Kluft zwischen Print/TV und Online nicht unbedingt kleiner. Wer weiß, vielleicht wird die Fußball-WM in Südafrika auch eher eine WM, die das Internet als Alternative in vielfacher Hinsicht erreicht. „Wir sind in der Planung, haben bereits Pakete sowohl für türkische als auch deutsche Sites geschnürt. Noch ist es aber zu früh, eine Prognose abzugeben. Das wäre was anderes, wenn die WM in der Türkei stattfinden würde“, erzählt Andreas Küenle. Also sozusagen vor der Haustür. So muss das Ethnomarketing noch kräftig weiterüben: Südafrika, Polen und Ukraine sowie London sind die Schauplätze der kommenden sportlichen internationalen Großereignisse. Bis Brasilien sollte das Marketingtool selbsterklärend sein.
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