@elfi:
Der österreichische Extra-Dienst, ein Fach-Info-Dienst der Werbebranche schrieb allerdings schon vor vier Jahren:
Die Zeiten werden individueller, die Werbung zielgruppenorientierter! In den letzten Jahren werden dabei auch Zielgruppen erfasst, die einem vielleicht nicht spontan einfallen würden: Ausländer, Senioren und - Homosexuelle. Warum es sich lohnt, auf die Kaufkraft letzterer zu setzen, hat ED für Sie recherchiert.
Ist eine gezielte Werbeansprache an Schwule und Lesben notwendig? Sie gehören zur Dinky-Gruppe ("Double income, no kids"), haben meist einen guten und teuren Geschmack und sind sehr markenorientiert. Für viele Anbieter sind dies die besten Argumente, ihre Produkt- und Dienstleistungswerbung auf eine maßgeschneiderte Zielgruppe zu richten: die Kaufkraft Homosexueller.
American Express, Ford, Kraft Foods, Unilever: Immer mehr namhafte Unternehmen umwerben Homosexuelle als potenzielle Kunden. Trotz des Outings vieler österreichischer Prominenter und ständiger Präsenz in den Medien hat die rosarote Welle die Werbung noch nicht wirklich erreicht. Da konzentriert sich so manches Unternehmen lieber auf den Life Ball, der einmal im Jahr die Sponsoren die rosa Brille aufsetzen lässt.
Ist die Zielgruppe vielleicht zu klein? Der prozentuale Anteil von Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung Österreichs soll immerhin 390.000 Erwachsene umfassen, wie 28 internationale Studien nach Angaben von mi.st Consulting darlegen. In den westlichen Industrienationen sollen sechs bis zehn Prozent der Menschen homosexuell veranlagt sein.
Durch den Yankelovich MONITOR - eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, die auf Stichproben basiert - wurde ebenso ermittelt, dass Schwule und Lesben eher eine Hochschule besucht haben, selbständig sind und in städtischen Großräumen wohnen. Stereotypen, die uns geläufig sind - wie Schwulen sind affektiert, modisch, wohlhabend, Lesben sind maskulin und alternativ angehaucht etc. -, resultieren oft daraus, dass Personen, die sich durch ein auffälliges Erscheinungsbild und Verhalten als schwul oder lesbisch identifizieren, diese Merkmale aufweisen. Da der Großteil der Schwulen unerkannt bleibt, werden für viele Menschen diese Stereotypen zu "Erkennungsmerkmalen" für Schwule und Lesben.
Generation Q ungelöst
In ihren Verhaltensmustern sind Homosexuelle ebenso inhomogen wie Heterosexuelle auch. Dennoch kann ein Lifestyle-Ansatz gewählt werden, um die Schwulen und Lesben zu umwerben. So werden in den USA die selbstbewussten, spaß- und konsumorientierten Homosexuellen unter 40 Jahren als "Generation Q" bezeichnet.
Auch wenn nicht alle Homosexuellen angesprochen werden, so wird damit doch ein Zeichen gesetzt. Bei der Wahl der Generation Q als Zielgruppe wird vermittelt: "Wir diskriminieren nicht" und "Wir sprechen dynamische Trendsetter an". Die Akzeptanz von Homosexualität ist auch hierzulande deutlich gewachsen. Aktuelle Studien zeigen ein deutliches Ergebnis: Zu fast 100 Prozent lehnt die Bevölkerung eine Ausgrenzung Homosexueller am Arbeitsplatz ab.
Dass Markenwerbung in verstärktem Maße Einzug in die Homosexuellen-Medien hält, scheint aufgrund der neuen Offenheit nur konsequent. Widerlegt ist das Vorurteil, diese Art von Werbung könnte zu einem negativen Image der angebotenen Waren und Dienstleistungen führen. Dagegen werden speziell im Bereich der Lifestyle-Produkte (Wohnen und Einrichten, Körperpflege, Tourismus etc.) Homosexuelle auch vom Mainstream als Trendsetter anerkannt. Vor allem schwule Männer werden verstärkt im Massenmarketing als Werbeträger eingesetzt werden.
Homosexuelle sind eine Zielgruppe mit eigener Ästhetik und Lifestyle. Unternehmen treten als Sponsor für schwule Veranstaltungen, "schwule" CDs oder Ähnliches auf und werben gezielt in einschlägigen Magazinen. Selbst der Reisemarkt hat Schwule als attraktive und zahlungskräftige Kunden im Visier. Schwule also einmal nicht als Problem-, sondern als Special-Interest-Gruppe (wie Mountain-Biker, Taucher oder weibliche Fans von Boygroups).
Telegene Reinwaschung
Auch in Film und Fernsehen - ein weiterer Gradmesser für die gesellschaftliche Akzeptanz - geben Schwule ein zunehmend positives Bild ab. Früher waren Schwule, wenn Homosexualität überhaupt thematisiert wurde, die problembeladenen Außenseiter und zum Scheitern verurteilt. In den 70ern durften sie für komische, schrille Farbtupfer auf der Leinwand sorgen.
Große Hollywood-Legenden wie Rock Hudson, bekannt und verehrt als gut aussehender Frauenheld, verbargen ihre Neigung tunlichst vor der Öffentlichkeit. Erst als der beliebte Darsteller an AIDS erkrankte und schließlich daran starb, gelangte die Wahrheit ans Licht. Was der Liebe der Fans allerdings keinen Abbruch getan hat. Heute machen viele Schauspieler von vornherein aus ihrer Neigung gar keinen Hehl mehr.
Beispiele für positivere Rollenbilder lassen sich spätestens seit den 80ern auf den Kinoleinwänden finden. Für seine Leistung in "Philadelphia" (1993), in dem die AIDS-Thematik aus der Sicht eines Betroffenen aufgegriffen wird, erhielt Tom Hanks sogar einen Oscar. In der "Hochzeit meines besten Freundes" (1998) mimte Rupert Everett den charmanten und witzigen Vertrauten an der Seite von Julia Roberts. Bekennende schwule TV-Moderatoren und Entertainer wie Matthias Frings ("Liebe Sünde"), Günter Tolar und Alfons Haider trugen ebenfalls ihren Teil dazu bei, dass das Thema Homosexualität sein aufgepfropftes Schmuddel-Image mehr und mehr ablegte.
"Fashionistas"
Mittlerweile ist Homosexualität unter Männern zu einem Synonym für gehobenen Lifestyle im Allgemeinen geworden. Diverse schwule Designer von Luxuslabels, Schauspieler oder so genannte VIPs tragen mit ihrem Auftreten, ihrem Outfit und ihrem Lifestyle dazu bei. Homosexuelle sind Trendsetter. Was sie heute kaufen, weiß die Werbewirtschaft, wird morgen von allen konsumiert. In den USA haben die Homosexuellen-Haushalte ein um etwa 24 Prozent höheres Einkommen als die Haushalte Heterosexueller.
Auch bei unseren deutschen Nachbarn gilt die Devise: Schwul ist gleich 'double income, no kids'! Immerhin handelt es sich dort um eine Zielgruppe von zwei bis drei Millionen Menschen. Die deutsche Agentur Remy & Marcuse war eine der ersten, die die "reiche, gebildete und konsumfreudige" Zielgruppe entdeckte.
Soziodemographische Erhebungen bestätigten dieses Bild. Bereits 1995 hatte sie im Auftrag der Szeneblätter Magnus und Männer aktuell 2000 Leser befragt: Schwule gehen dreimal öfter ins Restaurant als heterosexuelle Männer und machen Urlaub in Key West statt in Kärnten. Shopping gaben 42 Prozent der schwulen Männer als Lieblingsbeschäftigung an; Marken und Qualität spielen eine große Rolle.
Der Hamburger Zigarettenkonzern Reemtsma hat bereits 1992/93 für seine Marke West bewusst Homosexuelle angesprochen und auch eine "Hochzeit" von zwei Männern gesponsert. "Homosexuelle gehören zu unserer Zielgruppe wie jeder andere Raucher auch", behauptete bereits damals eine Unternehmenssprecherin.
Der US-Modemacher Calvin Klein erkannte den Trend als einer der ersten - wohl, weil er selbst eher auf Männer steht - und präsentierte seine Männerunterwäsche mit homoerotischen Bildern. Denn schwule Männer geben, so die Untersuchung von Remy & Marcuse, im Schnitt ab 15 Euro pro Unterhose aus, während Heterosexuelle kaum die Hälfte investieren.
Apropos Unterhose: Die italienische Luxusmarke Gucci verkauft ihre sündteuren, in schwarze Plastikboxen verpackten Unterhosen en gros an ihre schwule Klientel. Doch nicht nur Umsatz oder Gewinn von Markenartikeln lassen sich mit Homosexuellen offenbar steigern, man kann auch die Konkurrenz trefflich ärgern. In den Jahren, als West die Schwulenkampagne startete, hatte Konkurrent Marlboro Ärger mit dieser Zielgruppe. Marlboro-Hersteller Philip Morris war ins Gerede gekommen, weil das Unternehmen einen US-Politiker sponserte, der eine antihomosexuelle Einstellung vertrat. Viele Schwule wollten ihre Zigarettenmarke wechseln. Da bot sich West zur richtigen Zeit an.
Im Kampf um verlorene Marktanteile hatte sich auch der US-Jeanshersteller Levi Strauss bewusst an homosexuelle Männer und Frauen als Kunden gewandt. Mehrseitige Kampagnen mit homosexuellen Männern und Frauen wurden in Szeneblättern geschaltet, um die Jeans "Dockers Khaki" zu promoten. Schwule als Werbeträger sind für Levi's kein Einzelfall - bereits seit 15 Jahren unterstützt die Firma finanziell auch den Kampf gegen Aids.
Nix wie ran!
Eine differenzierte Werbeansprache für Männer und Frauen ist in vielen Produktbereichen bereits akzeptiert. Doch es gibt Bereiche, in denen dies auch für Schwule und Lesben sinnvoll sein kann, da die traditionelle Werbung hier nicht ihre volle Wirkung entfaltet; im Rahmen einer (Mehr-) Nischen-Strategie können Schwule und Lesben ebenso angesprochen werden. Im Tourismus-Bereich ist dies teilweise schon umgesetzt. Da gerade Homosexuelle es gewohnt sind, mit Skepsis behandelt zu werden, ist eine auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt aufbauende Kundenbeziehung wichtig.
Das Konzept des Relationship-Marketing ist dazu eine gute Grundlage. Im Prinzip haben Homosexuelle dieselben Bedürfnisse wie alle anderen auch. Dazu gehören auch soziale Bedürfnisse wie Zugehörigkeitsgefühl, Anerkennung oder Respekt. Schwule und Lesben bieten quantitativ wie qualitativ ein Kaufpotential, das es lohnend erscheinen lässt, sie gezielt zu umwerben.
In puncto Marktforschung muss da allerdings noch viel getan werden. Werbetreibende sollten durch ihr Verhalten zu einer Reduzierung der Diskriminierung beitragen. So sollte Marketing-Kommunikation auch Homosexuelle in die Werbung integrieren. Kann ein Werbetreibender diese Bedürfnisse erfüllen, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein Kaufmotiv für sein Produkt entsteht.
Letztlich zeigen alle Bemühungen in Richtung "Gay Marketing" eines ganz deutlich: Homosexuelle sind in der Normalität angekommen. Nicht nur als Politiker, Talkmaster und Soap-Stars, sondern auch als Zielgruppe, mit der sich gutes Geld verdienen lässt. Also, nichts wie ran an die Männer bzw. die Frauen!
Autor: Romana Kanzian