DerMüller71 schrieb am 03.12.2017:Die Frage ist, was würde passieren, wenn man die PKV abschafft.
Ich bin über einige Sichtweisen überrascht, da ich als Mitarbeiterin des Gesundheitssystems bisher gesehen habe, dass die PKV in unserem derzeitigen Gesundheitssystem für alle Menschen (also auch GKV-Versicherte!) einen Benefit erbringt und das Gesundheitssystem ohne die PKV für GKV-Versicherte
derzeit eine wesentlich schlechtere Versorgung bedeuten würde!
Würde man die PKV abschaffen, wird argumentiert, würde dass die Beiträge für die GKV-PatientInnen senken – logisch, dass man die PKVler bei sich aufnehmen möchte. Ob das nun wirklich eine „solidarische“ Betrachtungsweise ist oder nicht eher ein Politikum, und unser Gesundheitssystem strukturell (v.a. die Arztpraxen) davon profitieren würde, da bin ich garnicht so sicher;
Es wird argumentiert, dass sich die PKV-Versicherten „der Solidarität entziehen“ würden, hier wird interessanterweise fast schon die Moralkeule rausgeholt (Disclaimer: ich beziehe mich nicht auf Menschen mit Beamtenstatus, diesen finde ich in dieser Hinsicht tatsächlich kritisch).
Wenn man sich die Zahlen anschaut, frage ich mich allerdings, weshalb immer wieder dargestellt wird, dass die PKVler die Profiteure sind, da aus meiner Erfahrung im Gesundheitssystem die GKV-PatientInnen von den PKV-PatientInnen viel mehr profitieren als die PKVler von ihrem Versicherungsstand.
1) Wir haben zwei Versicherungssysteme, aber diese zwei Versicherungssysteme finanzieren das selbe Versorgungssystem. Da PKV-Patienten wesentlich (!) höhere Preise für dieselben Leistungen bezahlen, spülen sie extrem viel Geld in das Gesundheitssystem (der Mehrumsatz durch die kleine Anzahl an PKV-PatientInnen macht nach WIP-Analyse 2019 sage und schreibe ein Drittel der gesamten Mittel aus, die durch Patienten in das Gesundheitssystem fließen!). Würde man die PKV-PatientInnen auf die GKVs verteilen, würde dieses eine Drittel mehr oder weniger verloren gehen.
Von diesem Geld können sich Arztpraxen und Krankenhäuser aber oft überhaupt erst Modernisierungen und besseres Equipment leisten, was allen zu Gute kommt. Besonders deutlich habe ich das bei allgemeinmedizinischen Praxen, die sehr genau auf ihr Budget achten müssen und aus einem Topf die Leistungen für ihre PatientInnen maßvoll verteilen müssen. Je mehr PKV-PatientInnen eine solche Praxis hat, desto mehr Geld hat sie „übrig“ für GKV-Leistungen. Ich habe in meinem Werdegang in verschiedenen allgemeinmedizinischen Praxis gearbeitet bzw. hospitiert und deutlich gemerkt, dass die Praxen in einkommensschwachen Viertel wesentlich knapper waren. Wenn man sich die Zahlen anguckt, kann man sehen, dass pro niedergelassene Praxis PKVs ca. einen Mehrumsatz von etwas mehr als 50.000 Euro erbringen (Einkommen von ca. 1,5 Mitarbeitern).
1) Zum anderen finanzieren PKV-Versicherte über Steuern die GKV mit, jährlich durchschnittlich mit 500 Euro pro PKV-versichertem Haushalt. Da über diese zwei Schienen Geld direkt oder indirekt in die Finanzierung der Versorgung von GKV-PatientInnen fließt, kann ich die Empörung was den finanziellen Aspekt angeht, nicht ganz nachvollziehen.
3) eine „Zwei-Klassen-Medizin“ gibt es so wie es hier z.T. im Thread angedeutet wurde auf keinen Fall, das haben viele verschiedene Studien mittlerweile gezeigt: eine ärztliche Behandlung muss immer nach aktuellen Leitlinien und wissenschaftlichem Konsens erfolgen, anerkannte Maßnahmen werden von der GKV bezahlt. Am wichtigsten: GKV- und PKV-Patienten haben
keine Unterschiede im Outcome, d.h. die Behandlungsqualität ist gleich.
DerMüller71 schrieb am 03.12.2017:1) Separates Wartezimmer für Privatpatienten mit verkürzter Wartezeit (die Privatpatienten wurden früher drangenommen). Zitat sinngemäß "Ja, nehmen Sie bitte im Warte..oh, sie sind privatversichert. Dann bitte hier vorne Platz nehmen." Es gab hier ernsthaft und ungelogen bequeme Ledersitze und einen Fernseher, im Gegensatz zu den Holzstühlen im "normalen" Wartezimmer.
2) Terminfindung mit Facharzt. Als meine Frau noch privatversichert war, gab es innerhalb von 3-4 Wochen einen Termin. Danach musste sie beim selben Arzt ein halbes Jahr warten (man wird am Telefon gefragt..).
3) Off-Label Medikamente, welche in mehreren Beispielen ohne zu murren bezahlt wurde. Aussichtlos bei der GKV.
Jupp, was unterschiedlich ist, das sehe ich auch so, es gibt einen Komfort-Unterschied da PKVler oft schneller behandelt werden, ihnen z.T. mehr Zeit und geschenkt wird und sie in bestimmten Fachbereichen mehr Therapieauswahl haben. Einbisschen wie im ICE. Es war schon immer so, dass man sich mit mehr Moos die besseren Sitzkissen kaufen konnte.
Wobei hier die Auswahlerweiterung eben häufig auf „nicht notwendige“ Zusatzuntersuchungen und -behandlungen ausgeweitet ist. (Disclaimer: für gewisse Fachbereiche wie die Dermatologie gilt dies nicht, hier bin ich der Meinung, dass die Behandlungsqualität der PKV besser ist, was daran liegt, dass die Vergütungskataloge der GKV völlig veraltet sind und neuere Therapiemethoden kaum aufgenommen werden (nach dem Motto, wo man Kortison draufklatschen kann, braucht man nix teureres). Aber daran ist ja nicht die PKV Schuld).
DerMüller71 schrieb am 03.12.2017:Zum Thema Behandlungszeit. Als Privatversicherte wurden uns in kürzerem Abstand Nachfolgeuntersuchungen (Heilungsergebnis) angeboten. Sprich der Arzt hat sich mehr Zeit genommen, weil er sie voll abrechnen kann. In der GKV wird die Nachfolgeuntersuchung mittlerweile gerne in das nächste Quartal geschoben (Stichwort Besuchspauschale).
Jup, da der PKVler im Quartal jedes Mal neu abgerechnet werden kann, kann die Arztpraxis durch ihn mehr GKVler in diesem Quartal behandeln. Habe ich oft erlebt, dass gesagt wurde „Ja dann lass ich den nochmal kommen, dann hab ich etwas mehr Geld und dann haben meine anderen PatientInnen auch was davon“.
Dass man übrigens bei der GKV lange auf einen Termin warten muss, liegt v.a. daran, dass wir zu wenig Arztpraxen haben und die Dringlichkeitseinschätzung am Telefon von nicht-medizinischem Personal vorgenommen wird. Würde man an diesen zwei Stellschrauben drehen, würde es grundsätzlich die Terminvergabe verbessern (denn: es gibt nicht so viele PKVler, als dass sie den GKVlern ständig die Termine wegschnappen würden und das der Hauptgrund dafür wäre. Dass man sich ärgert, dass jemand anders prinzipiell einen früheren Termin bekommt weil diese Person mehr Geld hat, kann ich aber gut verstehen und manchmal ärgere ich mich auch. Letztenendes profitieren wir alle aber vom Geld dieser Person, zumindest sehe ich das so. Wenn jemand Geld für ein tolles Haus hat, dann regen sich die Gemüter seltsamerweise weniger auf, obwohl sie vom diesem Haus nun wahrlich weniger profitieren).
Ich persönlich denke, eine PKV ist für den Betreffenden medizinisch gesehen unnötig und für das, was sie bekommen, zu kostspielig ist. Die ärztliche Versorgung ist aber i.d.R. genauso gut zwischen beiden Versicherungsystemen.
Und ich finde es auch durchaus verständlich, wenn man sich aus diversen Gründen wie kürzere Wartezeiten/Auswahl und mehr Zeit zum Gespräch für eine PKV entscheidet - wenn jemand mehrere hundert oder gar tausend Euro dafür ausgeben möchte und sich damit mehr Komfort erkauft, neide ich das nicht, sondern finde das legitim. Solange die Versorgung der GKV den Leitlinien entspricht und alles medizinische Notwendige übernommen wird (was eine andere Debabtte ist, aber eine sehr sehr wichtige!), finde ich den Status quo okay.