Die zentrale Tierrechtsthese in einfacher Form lautet: in dem Ausmaß, in dem Lebewesenzumindest in gewissem Grad gewisse moralisch relevante Attribute haben, schulden wir ausGründen der Konsistenz und der Gerechtigkeit diesen Tieren diesbzgl. denselben Respektund dieselbe volle Berücksichtigung, die wir für uns in Anspruch nehmen. Zwei in dieserBeziehung sehr relevante Attribute sind:
1. Das Interesse Schmerzen und Leidenzu vermeiden.
2. Die Eigenschaft ein "Subjekt-eines-Lebens" zu sein, daß es alsofür sie selbst einen großen Unterschied macht, ob es ihnen gut oder schlecht geht.
Beide diese Qualitäten setzen voraus, daß die betroffenen Lebewesen gewisse mentaleZustände haben. Um in sinnvoller Weise von mentalen Zuständen zu sprechen, müssen wirBewußtsein voraussetzen. Es ist nicht ausreichend, mentale Zustände einfach nur durchzweckgerichtetes Verhalten zu charakterisieren, weil sich Thermostate und Taschenrechnerebenso zweckgerichtet verhalten und Informationen tragen.
Man sollte sich auchvor Augen halten, daß es Zeiten gegeben hat, in denen auch anderen Menschen entsprechendementale Zustände nicht zugebilligt wurden. Silas Mitchell z.B., Begründer derneurologischen Forschung in Amerika, hat die Vorurteile seiner Gesellschaft mitvermeintlich wissenschaftlichen Begründungen belegt. Er behauptete, daß zivilisierteMenschen Schmerz in ethisch viel relevanterem Ausmaß empfinden: "Im Prozeß derZivilisierung haben wir [...] die Fähigkeit zu leiden wesentlich intensiviert. Der Wildefühlt nicht den Schmerz wie wir es tun." (zitiert in Rollin 1989, "The unheeded cry:animal consciousness, animal pain and science", Oxford Univ. Press). Anderswo findet sichdas folgende Zitat eines Arztes: "Neger [...] sind überraschend unempfindlich. [...] Sieschlafen ruhig mit jeder Krankheit, kein seelisches Problem kann sie vom Schlafenabhalten. Sie können chirurgische Eingriffe viel besser als weisse Menschen ertragen, undwas Weisse als unerträgliche Schmerzen empfänden, ignorieren Neger geradezu." (Mosely1787, "Treatise on Tropical Diseases"). Heute wird in ähnlicher Weise das Vorurteil, daßandere Tiere nicht so leiden könnten, verteidigt.
Also stellt sich die Frage,wie wir in möglichst objektiver Weise die Existenz von mentalen Zuständen in anderenLebewesen, also auch in anderen Menschen, festlegen können, da wir in der Vergangenheitoffenbar ziemliche Fehler dabei gemacht haben. Wir haben gesehen, daß das Kriterium vonnach aussen hin zweckgerichtetem, funktionalem Verhalten nicht ausreicht. Zum Beispielist bekannt, daß einzeln lebende Wildtiere in Freiheit kaum Schmerzreaktionen zeigen,sondern quasi still vor sich hin leiden. Sie machen das, weil sie es sich einerseitsnicht leisten können, sich durch Schmerzäußerungen zu verraten, und andererseits sindkeine SozialpartnerInnen da, die es zu informieren gilt. Deshalb zu schliessen, daß dieseWildtiere nicht leiden ist aber offenbar Unfug. Umgekehrt kann aus einer Reaktion auchnicht zwingend auf eine bewußte Intentionalität geschlossen werden. Z.B. müßten wir sonstbei einer Spielzeugpuppe, die bei Berührung schreit und sich windet, von Bewußtsein undmentalen Zuständen sprechen.
Aus ähnlichen Gründen können wir nicht aufSchmerzgefühle schließen, weil ein Organismus eine Klasse von Reaktionen zeigt, diezweckgerichtet die Situation des Organismus verbessern oder ihn vor gefährlichenAngriffen schützen. Thermostate reagieren auch auf Temperaturveränderungen inzweckgerichteter Weise, um die anfänglich als bevorzugt festgelegte Umgebungstemperaturzu erhalten. Es wärezweifellos falsch daraus zu folgern, daß der Thermostat mentaleZustände hätte.
Offenbar ist das Verhaltenskriterium zweckgerichteter Ausweich-oder Verteidigungsreaktionen weder notwendig noch ausreichend um auf Schmerzempfindungenals mentalen Zustand zu schliessen. Das heißt aber nicht, daß solches Verhalten komplettirrelevant in dieser Frage ist, weil es ein guter Hinweis auf Schmerz bei jenen Lebewesensein könnte, von denen wir aus anderen guten Gründen annehmen, daß sie ein Bewußtseinhaben und fähig zu Empfindungen sind. Das Verhalten selber ist aber kein Hinweis aufSchmerz, wie bei der Puppe oder dem Thermostat, aber es ist ein Indikator für Schmerz beileidensfähigen Lebewesen.
Ein zentrales Verrechnungszentrum fehlt in Pflanzen
Die Wissenschaft, inklusive der Biologie, basiert auf der Grundlage derArbeitshypothese des wissenschaftlichen Materialismus oder Physikalismus (Burtt 1924,"The metaphysical foundations of modern science", London: Routledge and Kegan). Wirmüssen also mit der generell akzeptierten wissenschaftlichen Annahme beginnen, daßMaterie der grundlegende Baustein des Umiversums ist. Der wissenschaftliche Materialismusschließt aber nicht die Existenz aus dieser Materie entstehender, funktionaler Qualitätenwie Verstand, Bewußtsein und Gefühle (oder sogar einen freien Willen) aus, aber allediese Qualitäten hängen direkt von der Existenz organisierter Materie ab. Ohne Hardwarekeine Software, um es computersprachlich auszudrücken. Im übrigen machen heute gängigedualistische Körper-Seele Theorien die Existenz geistiger Zustände auch von demVorhandensein genügend organisierter physischer Materie abhängig.
Dersogenannte nicht-reduktionistische Materialismus (Flanagan 1994, "The science of themind", Mass.: The MIT Press.) betrachtet kognitive Funktionen wie Bewußtsein und Verstandals Eigenschaften, die aus einer in gewisser Weise genügend komplex organisierten Materieentstehen. Genauso, wie die Atmung eine Funktion eines komplexen Systems von Organen ist,landläufig Atmungssystem genannt, so ist auch das Bewußtsein eine Funktion eines immenskomplexen Informationsverarbeitungssystems, eines zentralen Nervensystems inZusammenarbeit mit einem Gehirn.
Wie die Materie eines solchen Systemsorganisiert ist, und welche Art von Stoffen dafür verwendet werden muss, ist nach dieserfunktionalistischen Sicht von mentalen Zuständen prinzipiell noch offen. Theoretisch wärees möglich, daß, sagen wir, Lebewesen, die sich aus Karotten entwickelt haben TrägerInnenvon Bewußtsein sein können. Nach dem heutigen Stand der Dinge könnte es auch prinzipiellso sein, daß zukünftige Computer mit genügend komplexer Organisation ihrer Hardware undspezieller Software ein Bewußtsein erreichen. Roger Penrose argumentiert allerdingsdafür, daß Bewußtsein mit globalen Quantenzuständen und grundsätzlichnicht-algorithmischen Eigenschaften einhergeht, die Computer, wie wir sie heute kennen,nicht haben (Penrose 1994, "Shadows of the mind", Oxford Univ. Press). Das letzte Wort indieser Frage ist aber sicher noch nicht gesprochen. Jedenfalls gibt es heute weder einensolchen Computer, noch sind Lebewesen mit Bewußtsein auf der Basis von Karotten bekannt.Aber wir wissen, daß es gewisse Lebewesen auf unserem Planeten gibt, die solcheStrukturen entsprechend komplexer Spezialisierung und hochgradiger Organisation haben,die für die Entstehung von mentalen Zuständen nötig sind.
Theoretisch könntenPflanzen mentale Zustände wie Schmerzen haben, aber dann und nur dann, wenn sie auchsolche Strukturen komplexer Organisation von Pflanzengewebe haben, die dazu dienenkönnten die Art komplexer Informationsverarbeitung zu ermöglichen, die eine notwendigeVoraussetzung für mentale Zustände wie Bewußtsein und Schmerzgefühle ist. EinSäugetiergehirn ist dafür nicht unbedingt notwendig, aber ein ähnlich immens komplexer,hierarchisch organisierter, zentraler Informationsprozessor in irgendeiner Form schon.
Gibt es einen morphologischen Hinweis auf ein so komplex organisiertes Gewebe inPflanzen? Einzelne Zellen, oder auch Zellenakkumulationen in umgebendem Gewebe, genügendafür nicht. Das ist eine sehr spezifische Voraussetzung, und Pflanzen können sieschlicht und einfach nicht erfüllen. Das heißt nicht, daß Pflanzen nicht komplexeReaktionen zeigen können. Aber wir überinterpretieren diese Reaktionen, wenn wir ausihnen auf ein Schmerzgefühl und mentale Zustände schliessen.
Bei allenSäugetieren, Vögeln, Reptilien und Fischen wissen wir, daß sie eine genügend komplexeneurale Struktur besitzen, um ein Schmerzgefühl zu haben. Und wir wissen, daß diese Tiereeinen evolutionären Vorteil von solchen bewußt erlebten Mentalzuständen hätten. Sie habeneine komplex organisierte, spezialisierte Struktur von Gewebe, Sinnesorgane genannt,sowie komplex organisierte, spezialisierte Strukturen zur zentralenInformationsverarbeitung. Diese Strukturen ermöglichen ihnen sinnvolle Reaktionenentsprechend der mentalen Repräsentation, Integration und Reorganisation der erhaltenenund verarbeiteten Informationen zu setzen. Und sie haben auch die Motorik dieseReaktionen in die Tat umzusetzen. Diesen Tieren Schmerzgefühle zuzubilligen ist alsovöllig gerechtfertigt. Für Pflanzen gilt das allerdings beim besten Willen nicht.
Aus:
http://www.vegan.at/"