Nachdem ich ein paar Seiten in diesem Thread gelesen und festgestellt habe, dass es teilweise immer noch Vorurteile gegenüber Frauen gibt, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, wollte ich einfach mal meine Erfahrungen schildern.
Ich war damals 18 Jahre alt und steckte mitten im Abitur. Ich hatte seit knapp zwei Jahren einen festen Freund und wir waren sehr glücklich miteinander. Wir lebten gemeinsam unsere Jugend aus, gingen oft feiern und waren ständig unterwegs. Wir machten uns kaum Sorgen um die Zukunft, planten nur von heute auf morgen. Aber natürlich dachten wir schon daran, zu verhüten. Um gleich mal das Vorurteil aus dem Weg zu räumen, Frauen die sich für einen Abbruch entscheiden, haben vorher wild "rumgevögelt" und sich keinen Kopf um Verhütung gemacht. Es gibt tatsächlich Frauen, die vertragen die Pille nicht. Dazu gehöre ich auch. Also haben mein Freund und ich uns entschieden, "nur" mit einem Kondom zu verhüten. Fast zwei Jahre ist das auch gut gegangen.
Wann und warum das Kondom versagt hat, wissen wir beide nicht. Gut möglich, dass es nach einer Party oder so passiert ist.
Als ich wegen eigenartiger Bauchschmerzen und Ausbleiben der Periode zum Frauenarzt ging, hatte ich schon ein blödes Gefühl.
Beim Ultraschall konnte man dann sogar schon etwas erkennen. Ich war ca. in der 6. SSW.
Als ich meinem Freund davon erzählte, waren wir beide erst mal sprachlos und wussten nicht, was wir machen sollten. Wir erzählten zuerst unseren Eltern davon.
Ich denke, dass es sehr ausschlaggebend ist, wie das Umfeld auf diese Nachricht reagiert.
Bei uns war es so, dass seine Familie hinter uns stand und uns unterstützen wollte.
Meine Familie jedoch, war strikt gegen das Baby.
Die nächsten 1-2 Wochen waren sehr schlimm für mich. Einseits redete meine Familie auf mich ein, dass ein Kind jetzt nicht gut für mich ist. Andererseits erkundigte ich mich beim Jugendamt, was für Hilfen dem Kind und mir zustehen würden.
Ich persönlich finde es ganz schlimm, wenn damit argumentiert wird, dass das Wesen im Bauch ja nur ein Zellhaufen sei. So habe ich das zu dem Zeitpunkt nicht gesehen und sehe es auch heute nicht. Ich habe in dieser Zeit oft mit dem Baby in meinem Bauch gesprochen und ihm gesagt, dass ich auf es aufpassen würde. Noch heute, wenn ich daran denke, treibt es mir Tränen in die Augen. Ich habe es nicht getan.
Nach zwei Wochen des Überlegens habe ich tatsächlich einen ambulanten Termin für einen Schwangerschaftsabbruch ausgemacht. Der Tag war sehr sehr schlimm. Ich habe in der Klinik vor dem Eingriff einen Nervenzusammenbruch erlitten. Nach dem Aufwachen aus der Vollnarkose war meine erste Frage, ob ich es noch einmal sehen kann.
Ich möchte hier keinerlei Mitleid ernten, es geht mir nur darum, zu zeigen, dass es für die meisten Frauen keine leichte Entscheidung ist und man nicht mal eben so ein Kind wegmachen lässt.
Kurz nach dem Tag bin ich aus meinem Alltag gefüchtet. Ich bin für ein halbes Jahr zu meinem Bruder in die USA gegangen.
Diese Zeit war der absolute Tiefpunkt des ganzen Ereignisses. Stundenlang habe ich mit dem Kind geredet und es gebeten, wieder zu kommen. Nicht jetzt, sonder in ein paar Jahren, wenn es dann sein soll.
Nach der Zeit dort hat sich einiges verändert. Zwar bin ich noch heute mit meinem damaligen Freund zusammen, aber unser Leben hat sich verändert. Wir sind gewissenhafter mit unserer Zukunft umgegangen. Ich zum Beispiel habe ein so gutes Abitur hingelegt, was ich vorher niemals geschafft hätte. Ich wusste, ich mache das für meine Kinder später.
Ich weiß, dass ich keine schlechte Mutter geworden wäre. Allerdings wäre das Kind von vielen Leuten, die mir wichtig sind, nicht erwünscht gewesen. Ich wollte kein Kind in diese Welt setzen, für das ich nicht für garantieren kann, dass es das bestmögliche Zuhause hat.
Ich finde es sehr schlimm, wenn ich sehe, dass Frauen oder Mädchen Kinder bekommen und diese dann geistig verblöden lassen oder den ganzen Tag in die KiTa abschieben.
Wenn man ein Kind hat, so finde ich, hat man die volle Verantwort. Es nicht nur zu lieben, sondern auch für es dazusein und ihm die Welt zu erklären. Es zu beschützen und nicht mit finanziellen Sorgen zu belasten. Einen guten Vater auszuwählen und mit seiner eigenen Entwicklung zum erwachsenen Menschen fertig sein. Das alles waren Punkte die ich, bis auf das Lieben, nicht guten Gewissens bejahen konnte.
Heute kann ich für mich sagen, dass ich zum damaligen Zeitpunkt das erste mal in meinem Leben Verantwortung übernommen habe. Ja, in den Augen einiger Menschen, die zum Glück nicht in der Überzahl sind, habe ich mein Kind umgebracht.
Ich glaube an keine spezielle Religion, aber in meinen Augen habe ich mein Kind gebeten zu warten. Ich hoffe, es gibt mir in ein paar Jahren noch einmal die Chance.
Heute, 5 Jahre später kommt es noch immer ab und zu durch und die Traurigkeit und Vorwürfe kommen wieder hoch. Ich denke nicht, dass das irgendwann komplett aufhört. Das ist eben das Päckchen, was ich durchs Leben tragen muss. Vielen Frauen die sich auch gegen das Kind entschieden haben, geht es bestimmt genauso. Da braucht man keine zusätzlichen Vorwürfe von außerhalb.
@DarkTris: Auch ich hatte und habe noch heute eine Phobie, die damit im Zusammenhang steht. Allerdings etwas anders als du sie hast. Ich war seit dem Tag in der Klinik nicht mehr beim Frauenarzt. Dieser Moment der Ultraschalluntersuchung war so ein Schock für mich, seitdem kann ich keine Frauenarztpraxis mehr von innen sehen.
Aber sehr schön zu lesen, dass du nun Kinder bekommen hast. Wirst du ihnen jemals von der ersten Schwangerschaft erzählen?