Schützen Sie Ihre Kinder vor der Super Nanny!
07.09.2011 um 23:57
Coaching-TV
Drucken Bewerten Autor: Antje Hildebrandt, Die Welt, 30.04.2008
Die "Super Nanny" will nicht mehr super sein
Als sie 2004 mit ihrem Rollköfferchen bei der ersten Familie einmarschierte, ging ein Aufschrei der Empörung durchs Land. Kritiker unterstellten der "Super Nanny", sie führe ihre Schützlinge nur vor. Inzwischen hat sich Saalfrank von der Figur gelöst. Davon hat auch das Format profitiert.
Im Grunde genommen, findet Wolfang Bergmann, sei die "Super Nanny" eine Schwester von Dieter Bohlen: Beide lockten Kandidaten mit falschen Versprechen in ihre Sendungen. Die eine gaukele Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs vor, sie helfe ihnen, ihre außer Rand und Band geratene Brut zu bändigen. Der andere suggeriere den Teilnehmern der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar", er bringe sie groß heraus.
"Ein Fake", sagt der renommierte Kinderpsychologe. Im Vordergrund stehe ein ganz anderes Ziel: Beide, sowohl der Beschimpfomat als auch die Benimmlehrerin, bedienten in erster Linie des Bedürfnis der Zuschauer nach Schadenfreude. Bergmann muss es wissen. Er hat sich als Autor von Büchern einen Namen gemacht, die das Verhältnis von Kindern und modernen Medien beleuchten. Er hat für den Bertelsmann-Konzern Mitte der 80er-Jahren selber TV-Programme entwickelt.
Und als RTL 2004 die "Super Nanny" mit ihrem Rollköfferchen zu ihrem ersten Einsatz losschickte, da war er es, den der Deutsche Kinderschutzbund zum Chefankläger gegen diese Sendung ernannte. Wolfgang Bergmann entwarf damals ein Manifest gegen die televisionäre Rohrstockpädagogik. Von "entmündigten Eltern" und "traumatisierten Kindern" war da die Rede. Und davon, dass die Produzenten die einfachsten Grundregeln der Psychologie missachteten.
Morgen nun startet bei RTL die sechste Staffel, und Wolfgang Bergmann könnte die Gelegenheit nutzen, um sein Manifest von 2004 wieder aus der Schublade zu ziehen. Doch er tut es nicht. Dabei, versichert Bergmann, stehe er nach wie vor dazu: Formate wie "Die Super Nanny", 2007 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, würden den Erziehungsnotstand eher befeuern als eindämmen. Wenn RTL behaupte, das Publikum könne aus den Fehlern der porträtierten Familien etwas lernen, unterschätze er das Bildungsniveau seiner eigenen Zuschauer.
Schließlich, sagt Bergmann, sei das Familienleben der Protagonisten in einem Zustand, den man häufig nur noch als desolat bezeichnen könne. Doch gerade solche Menschen hätten ein Anrecht auf Schutz ihrer Privatsphäre. Indem der Sender mit Kameras in den Intimraum der Familie eindringe, führe er die Eltern aber als Versager vor.
"Heute fragen wir nach den Ursachen“
Dass die Kritik an dem Format leiser geworden ist, verdankt RTL Katharina Saalfrank. Die 36-jährige Diplom-Pädagogin, selber Mutter von vier Jungs, gilt inzwischen als begehrte Interviewpartnerin in Erziehungsfragen. Auch Wolfgang Bergmann hat mit ihr schon über das Für und Wider einer Prügelpeitsch-Pädagogik diskutiert.
Ihr Auftritt muss ihn, den Verfechter eines unorthodoxeren Erziehungsstils, nachhaltig beeindruckt haben. Jedenfalls attestiert er ihr heute, sie habe sich von der Figur der Super Nanny emanzipiert. "Katharina Saalfrank hat eine 180- Grad-Wende vollzogen", sagt der Psychologe. Weg von der "Domina der Kindererziehung" (Die Zeit), die von ihren Schützlingen unbedingten Gehorsam einfordere, hin zur resoluten, aber netten Katharina von nebenan mit dem Spitznamen "Katia".
Dieser Wandel spiegelt sich auch in der Sendung wieder. Verschwunden ist "die stille Treppe", auf der einst schon Dreijährige ausharren mussten, wenn sie nicht spurten. Es muss auch kein Kind mehr damit rechnen, dass die Kamera frontal draufhält, wenn es sich vor Wut auf den Boden wirft. "Damals haben wir nur Symptome kuriert", sagt Katharina Saalfrank im Interview mit WELT ONLINE, "heute fragen wir nach den Ursachen."
Vor einigen Tagen ist sie in der Talkshow von Leo Busch bei n-tv aufgetreten, Thema: Zwischen Bootscamp und Kuschelpädagogik: Wann brauchen Kinder Strafen?" Und dort machte die "Super Nanny" unmissverständlich klar, dass sie weder "super" sei noch sich selber als Nanny sehe. Ihr gehe es um einen partnerschaaftlichen Umgang mit dem Kind, betonte sie. Und gegen Strafen sei sie auch. Eine solche Meinung zu vertreten, erfordere Mut, sagt Bergmann. Herrsche doch hierzulande immer noch die weitverbreitete Meinung, ein Klaps auf dem Hintern habe noch niemandem geschadet.
Das Fernsehen eignet sich weder als Erziehungsratgeber noch als Talentscout
Auch der RTL-Zuschauer, so scheint es, steht auf diesem Standpunkt. Er schätzt einfache Lösungen. Als die "Super Nanny" noch Kniestrümpfe, Faltenrock und Bluse trug, hat sie dieses Bedürfnis erfüllt. Damals schalteten über fünf Millionen Zuschauer die Sendung ein. In der letzten Staffel waren es durchschnittlich nur noch 3,63 Millionen. Das entspricht einem immer noch beachtlichen Marktanteil von 18,1 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe.
Dennoch sitzt Katharina Saalfrank zwischen allen Stühlen: Bemüht sie sich, maßgeschneiderte Lösungen für den Einzelfall zu entwickeln, beginnt sie, ihre Zuschauer zu langweilen. Einige schalten ab. Erleiden ihre Schützlinge einen Nervenzusammenbruch, stehen sofort die Kritiker wieder vor der Tür. So geschehen in der letzten Staffel. Da kollabierte Leonie, 15, nachdem ihr das Kamerateam den Film über ihre gespannte Beziehung zu ihrer alleinerziehenden Mutter vorführte. Leonie und ihre Mama waren entsetzt. Einige Szenen seien inszeniert gewesen, behaupteten sie hinterher. Und versuchten vor Gericht, die Ausstrahlung des Filmes mit einer einstweiligen Verfügung zu verhindern. Jedoch ohne Erfolg. Das Gericht verwies auf den Vertrag mit RTL, den die beiden unterschrieben hatten.
Laut RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer können Familien Dreharbeiten danach zwar mittendrin abbrechen. Für den fertig geschnittenen Film gelte das Veto-Recht jedoch nicht. Leonie hatte das Nachsehen. 2000 Euro hatte der Sender ihr und ihrer Mutter gezahlt. Als Aufwandsentschädigung, heißt es bei RTL. In diesem Fall wurden damit auch die Kosten für einen dreitägigen Krankenhausaufenthalt bestritten. Leonie erlitt einen Nervenzusammenbruch.
Wolfgang Bergmann hat es ja gleich gesagt: Das Fernsehen eignet sich weder als Erziehungsratgeber noch als Talentscout. Die Art und Weise, wie die Kamera die Kandidaten anschaue, präge deren Selbstbild, erklärt der Kinderpsychologe. Und welches Mädchen wolle schon als "Horror-Tochter" über den Boulevard geistern?