univerzal schrieb: Wie ist dein persönlicher Eindruck, vor allem mit Rückblick auf die letzten Jahre, hat sich die Konzentrationsspanne unter den Kindern verbessert oder -schlechtert? Und je nach Antwort, worin siehst du die Gründe dafür?
Mein Eindruck ist, dass sich die Konzentrationsspanne von Kindern ständig verringert.
Das geht einher mit anderen Aspekten: Unsere Schule bietet eine Ganztagesbetreuung an, die von der Qualität eher schlecht ist - die Räume müssen dringend renoviert werden, das Team ist chronisch unterbesetzt, da man nur 80% arbeiten kann (um die Ferienzeiten auszugleichen, obwohl da eine Kinderbetreuung auch sinnvoll wäre), gibt es eine ständige Abwanderung des Personals zu 100% Stellen (verständlicherweise). Am Anfang war es möglich, einzelne Mittage zu buchen, nun geht 100% oder gar nicht, weil alles andere zu viel Aufwand war. Soweit, so gut (das war eine Vorgabe des Gesetzgebers). Wir haben jede Menge Kinder (das ist eine Entwicklung, die auch andere, "bessere" Schulen beobachten), wo die Eltern eigentlich gar nicht auf Kinderbetreuung angewiesen wären, weil z.B. die Mutter nur halbtags arbeitet, oder kleinere Geschwister vorhanden sind - da wird das Kind trotzdem angemeldet und geschickt. Ich finde es echt schlimm, wenn ein 5. Klässler 4x die Woche von 7:00 Uhr - 16:30 Uhr in der Betreuung ist und danach noch auf Klassenarbeiten etc. lernen muss.
Oft merkt man in Elterngesprächen, dass sich Eltern gar nicht mehr mit den Problemen ihrer Kinder auseinandersetzen oder auseinandersetzen wollen. Das zieht sich irgendwie durch alle Schichten. Der Freund meiner Tochter gibt z.B. einem Gymnasialkind Mathenachhilfe (5. Klasse), da arbeitet die Akademikermutter nur drei Tage in der Woche, nimmt sich aber trotzdem den Matheproblemen des Kindes nicht an, weil ihr das zu stressig ist. Alles wird outgesourct.
Die letzten fünf Jahre haben wir eine deutliche Zunahme von Gewaltdelikten, körperliche und verbale Gewalt. Mich hat letzthin eine Schülerin als "alte Fotze" bezeichnet, das fanden die Eltern gar nicht so schlimm, bzw. stellten in Frage, warum ich das von berufswegen nicht de-eskalieren konnte. Der gesamte Vorfall in Arbeitszeit beziffert lag bestimmt bei fünf-sieben extra Stunden (Bericht - Gespräch mit der Schulleitung - Gespräch mit den Eltern - keine Einsicht auf Seiten der Eltern - Gespräch mit Eltern + Schulleitung - Strafe des Kindes) .... dass ich gewillt bin, sowas das nächste Mal zu überhören. Das machen leider schon viele Kolleginnen und Kollegen, d.h. die Hemmschwelle sinkt stetig. Passiert ist ohnehin nicht, es gab zwei Stunden nachsitzen, die ich an einem sonst freien Mittag beaufsichtigen musste und Zeit mit einer rotzigen Teenagerin verbringen, die sich weigert, sich zu entschuldigen. "Ich habe es ja so gemeint". Die Erfahrung machen auch andere Kollegen.
Soziale Netzwerke leisten sicher ihren Beitrag, damit die Hemmschwelle da sinkt ... Bei uns ist es mittlerweile eine Mutprobe geworden, wie viele Bilder bzw. Filmchen heimlich im Unterricht gedreht werden können - ergo, damit du als Lehrer nicht doof dastehst, bist du ständig am Beobachten, ob irgendwo etwas Verdächtiges passiert .... Ich komme mir an manchen Tagen vor wie ein Raubtierdomteur.
univerzal schrieb:Habe auch den Eindruck, dass offenbar etwas am Algorithmus geändert wurde, merks zwar eher auf insta, aber wäre ja der selbe Verein.
Mitunter haben sie es noch nicht drauf ... Bei mir ist es noch so, dass ich oft was für die Unterrichtsvorbereitung google, das haut dann meinen Algorithmus durcheinander.
behind_eyes schrieb:Ich suche seit dem für mich sichtbar gewordenen Reichsbürgern nach einer Begründung für dieses Verhalten, seit Corona erst recht und so diffus konnte ich es mir denken ohne es in Worte fassen zu können aber das was du sagst macht für mich sehr viel Sinn.
