Stadt oder Land?

EnyaVanBran schrieb:dass ich mir NICHT die Mühe mache und jeden einzelnen dahingehend zu überprüfen.

Wer tut das schon, es geht mir nur darum, nicht alle Leute aufgrund weniger Merkmale oder ihres Wohnortes pauschal zu betrachten.

Mein Eindruck ist, dass es auch bei Städten eine Innen- und Außensicht gibt. Wer in der Stadt lebt, nimmt so oft ganz anders wahr, als wer draußen auf dem Land lebt und nur selten mal kurz in die Stadt fährt. Ich habe schon häufig Leute aus meiner Heimat reden hören, wie furchtbar es in München (oder auch in Berlin etc.) angeblich sei, und was für ein Moloch und wie gefährlich das wäre. Wenn man hingegen hier lebt, kann man das eigentlich gar nicht nachvollziehen.

martenot schrieb:Mein Eindruck ist, dass es auch bei Städten eine Innen- und Außensicht gibt. Wer in der Stadt lebt, nimmt so oft ganz anders wahr, als wer draußen auf dem Land lebt und nur selten mal kurz in die Stadt fährt. Ich habe schon häufig Leute aus meiner Heimat reden hören, wie furchtbar es in München (oder auch in Berlin etc.) angeblich sei, und was für ein Moloch und wie gefährlich das wäre. Wenn man hingegen hier lebt, kann man das eigentlich gar nicht nachvollziehen.

Es wird eben auch hier wieder drauf ankommen, in welchem Stadtteil man wohnt. Ich kann das nur mit Wien vergleichen und da gibt es schon Bezirke, wo die Kriminalitätsrate etwas höher ist, als in anderen. Aber auch das ist, so denke ich, etwas, was man von jeder größeren Stadt sagen kann.

martenot schrieb:es geht mir nur darum, nicht alle Leute aufgrund weniger Merkmale oder ihres Wohnortes pauschal zu betrachten.

Was aber leider sehr schwer fällt. Sieh es mal so: Wenn plötzlich jeden Samstag Leute vom Land nahe deiner Wohnadresse mit den Fahrrädern umfahren würden, laut sind, vielleicht auch Müll hinterlassen, dann würdest du irgendwann wahrscheinlich auch denken, Himmel, nicht die Affen vom Land schon wieder... Ich fände es zumindest völlig normal, wenn du so denken würdest.

Ich bin in einer Kleinstadt nahe Berlin geboren und als ich etwa 5 Jahre alt war, sind wir dort in der Umgebung in ein Dorf gezogen. Wir waren allerdings oft in Berlin und ich mochte es einfach nie. Es war mir zu laut, zu unübersichtlich, zu wuselig und diese Menschenmengen fand und finde ich bis heute, ziemlich ätzend.

Wir sind dann später in eine Kleinstadt gezogen, das war ok, dann wieder Dorf, Stadt..herrje :palm: :D

Nun lebe ich seit einigen Jahren in einer kleinen Stadt mit knapp 11k EW, das reicht völlig. Da es eine Touristen-Stadt ist, ist es hier im Sommer immer ziemlich voll, da meide ich dann die üblichen Orte und habe so meine Plätzchen, wo man Ruhe tanken kann.

Trotz allem, würde ich wieder gerne in die Nähe einer Großstadt ziehen, allein wegen der beruflichen und freizeitlichen Gegebenheiten, die dort einfach besser sind. Besser für mich und später auch für mein Kind. Denn hier in meiner Umgebung sieht es da eher mau aus.

joleen schrieb:allein wegen der beruflichen und freizeitlichen Gegebenheiten, die dort einfach besser sind.

Ja, das stimmt.
Ich habe mir hier auch ein paar Hobbies zurechtgesucht. Da muss man nehmen, was es gibt. Das ist schon auch OK so, aber z.B. gibt es nur ein eingeschränktes Angebot an Musikunterrichten oder Orchester. Da müsste man dann doch wieder weit fahren.

Arbeiten gehe ich auch in der Großstadt, was da an Fahrtkosten und vor allem auch Zeit anfällt, überlege ich mir lieber nicht genau.

Trotzdem, ich musste damals ja umziehen, insofern hatte ich keine andere Wahl. Ich lebe sehr gerne hier, alles unter einen Hut zu bekommen und nach meinen Wünschen zu gestalten, ist aber nicht so einfach.
Bereuen tue ich es allerdings gar nicht, bin sehr zufrieden so.

Bundeskanzleri schrieb:Ich habe mir hier auch ein paar Hobbies zurechtgesucht. Da muss man nehmen, was es gibt. Das ist schon auch OK so, aber z.B. gibt es nur ein eingeschränktes Angebot an Musikunterrichten oder Orchester

Also bei mir direkt musste ich da nichts weiter ausprobieren, das passt schon so. Bei meiner Tochter war das allerdings etwas schwieriger. Sie wollte gerne in einen Verein, war leider kein Platz. Ewig gesucht, aber vergebens. Dann kam durch die Schule das Angebot zwecks Basketball, macht sie dort nun, aber würde lieber zum Handball. Aber da sieht es aktuell schwierig aus. Zum Zumba geht sie noch, weil 2 ihrer Freundinnen das machen, ist aber nur ein Notgroschen für sie.

Bundeskanzleri schrieb:Arbeiten gehe ich auch in der Großstadt,

Die nächste Großstadt ist von mir fast eine Stunde entfernt. Aber zur Arbeit fahre ich auch etwas über eine halbe Stunde, dass muss ich aber auch in Kauf nehmen, weil der Arbeitsmarkt hier mehr als Überschaubar ist.

Ich fühle mich so ländlich schon sehr wohl, gerade weil ich absolut der Naturmensch bin. Aber die eingeschränkten Angebote sind leider ein Manko. Deswegen wäre es in der Nähe einer Großstadt schon besser. Nur direkt da hinziehen, könnte ich mir nicht vorstellen.

martenot schrieb:Da würde ich mich ehrlich gesagt nicht drauf verlassen, dass die Leute in ländlichen Wohnorten in MV wirklich ruhig, freundich und besonnen wären, wenn ich als Süddeutscher dort hinziehen würde?

Naja ich kann nur von meinem Heimatdorf ausgehen, da würde ich nicht sagen, dass man auf Leute aus Süddeutschland komisch reagieren würde. Hatte bisher in meinem Leben immer den Eindruck, dass hier in den ländlichen Regionen eher die netteren Menschen anzutreffen sind. Ich bin aber nicht viel rumgekommen, also kann ich nicht für ganz MV sprechen, ich war nur ganz selten aus meinem Landkreis raus.

Das Klischee des Norddeutschen geht ja auch dahin, dass sie nicht viel reden und die meiste Zeit gelassen sind. Mein Vater ist z.B. auch so einer, wenn da ein Süddeutscher Städter bei ihm ins Dorf ziehen würde und man würde ihm das sagen, wäre seine Antwort "Joa, lass ihn doch". Ich komme da ganz nach ihm und meine Reaktion wäre exakt genauso. Ob die meisten so sind.. kann ich nicht sagen, dafür kenne ich nicht genug Leute.

SeiraButterfly schrieb:Das Klischee des Norddeutschen geht ja auch dahin, dass sie nicht viel reden und die meiste Zeit gelassen sind.

Was ich ja sympathisch finde. Ich schätze mich selbst auch so ein. Mir persönlich wäre es wichtig, dass die Leute nicht allzu sehr zu Klatsch und Tratsch neigen und lieber gelassen bleiben und sagen "Jeder nach seiner Façon."

Bei uns (in ländlichen Regionen ohne starken Zuzug) kenne ich es oft so, dass gern über jeden getratscht wird, der "nicht dazu passt", und das kann auf jeden zutreffen, der nicht von da stammt. Das hat mir oft Bauchschmerzen gemacht, weil ich meistens das Gefühl hatte, irgendwie nicht dazu zu passen.

martenot schrieb:dass gern über jeden getratscht wird, der "nicht dazu passt",

Aber das alleine finde ich nicht so tragisch, ehrlich gesagt.
Jeder redet in einem gewissen Maß über andere Menschen, das muss ja nicht negativ sein.
Ich achte dabei schon drauf, dass ich nicht in Lästereien eingehe, sondern dann abblocke.

Bundeskanzleri schrieb:Aber das alleine finde ich nicht so tragisch, ehrlich gesagt.

Vielleicht liegt es daran, dass ich früher (in meiner Jugend) häufiger das Ziel solchen Tratsches war. Jedenfalls empfinde ich es anscheinend als problematischer als viele andere bzw. ich reagiere sensibel drauf.

Letztlich war das einer der Gründe, warum ich damals in die Stadt gezogen bin, weil ich hier nicht mehr das Gefühl hatte, "unter Beobachtung" zu sein.

So lange man über mich redet, bin ich im Gespräch.
You can call me a son of a bitch. As long as you spell my name correctly. Grundregel der PR!
Folglich stört es mich nicht, wenn andere über mich lästern.

Doors schrieb:Folglich stört es mich nicht, wenn andere über mich lästern.

Möglicherweise ist das eine wichtige Charaktereigenschaft für Landbewohner: Lästereien müssen einem egal sein können.

Ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass einen die Nachbarn beurteilen und bewerten (können). Meine Eltern waren immer darauf bedacht gewesen, nicht unnötigerweise einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Vieles wurde nur gemacht, damit die Leute nicht schlecht über einen reden. Diese Gedanken haben mich in meiner Jugend begleitet und ehrlich gesagt auch gestresst.

Als ich dann in die Stadt gezogen war, habe ich es als Erleichterung empfunden, dass das hier meistens keine so große Rolle spielt. Deswegen wäre es für mich auch bei einem Umzug ins Ländliche wichtig, dass die Menschen vor Ort entspannt und gelassen sind und einen nicht misstrauisch beäugen, ob man auch alles richtig macht.

martenot schrieb:Bei uns (in ländlichen Regionen ohne starken Zuzug) kenne ich es oft so, dass gern über jeden getratscht wird, der "nicht dazu passt", und das kann auf jeden zutreffen, der nicht von da stammt. Das hat mir oft Bauchschmerzen gemacht, weil ich meistens das Gefühl hatte, irgendwie nicht dazu zu passen.

Ich glaube Tratschen tun die Menschen überall. Egal ob Stadt oder Land und egal in welcher Region. Gibt immer irgendwelche "Tratschtanten". Bei uns im Dorf wusste man früher immer genau welche Leute das sind, die alles weiter tratschen. Logisch, kannte ja auch fast jeder jeden. Da hieß es dann schon immer "Erzähle das aber nicht Person XY und Person YZ, sonst weiß das morgen das ganze Dorf". Aber wie gesagt, hat man das in der Stadt auch, das getratscht wird. Zumindest hier wo ich wohne, eher ruhigere Lage, Altbausiedlung, da stehen häufig Leute auf dem Gehweg und wenn man vorbei geht, hört man nur getratsche.

Ich hab früher immer gesagt, wenn Leute über mich tratschen, scheine ich ja zumindest interessant zu sein und in gewissem Maße wichtig für jene Personen, also könnte ich mich dann ja eigentlich schon fast geehrt fühlen. Und bei negativem Getratsche würde ich davon ausgehen, dass die Personen einfach neidisch sind, weil ich irgendwas besser mache, es irgendwo besser habe oder mich irgendwas traue, was sie sich nicht trauen.

Doors schrieb:You can call me a son of a bitch. As long as you spell my name correctly

Ha, der Satz gefällt mir :D Und es stimmt auch. Sollen die Leute doch reden, das stört mich nicht wirklich.
Ich gehöre aber auch nicht zu jenen, die sich an Tratsch und Klatsch groß beteiligen. Irgendwie fehlt mir die Neugier um mich ständig über die Nachbarschaft zu informieren. In diesem Punkt benehme ich mich wie eine Städterin :D

SeiraButterfly schrieb:Aber wie gesagt, hat man das in der Stadt auch, das getratscht wird.

Kann sein, aber ich denke, dass es deutlich weniger vorkommt. Das liegt auch daran, dass hier viele unterschiedliche Menschentypen leben, weswegen es sich weniger anbietet, die Besonderheiten der Leute durchzudiskutieren, da solche Besonderheiten zu oft vorkommen und es irgendwann uninteressant wird.

Wobei es natürlich sein kann, dass es in einer ruhigen Vorortsiedlung auch zu Klatsch und Tratsch kommt, aber dort unterscheidet sich das Leben ohnehin nicht mehr allzu sehr vom Leben in einer Kleinstadt, abgesehen vom besseren ÖPNV-Anschluss.

martenot schrieb:Kann sein, aber ich denke, dass es deutlich weniger vorkommt. Das liegt auch daran, dass hier viele unterschiedliche Menschentypen leben

Siehst du? Auch du wertest gerade und bedienst das Klischee, dass am Land mehr getratscht wird als in der Stadt. Aber das ist auch okay, denn zum Teil stimmt es ja auch. Nur dass bestimmt auch in großen Wohnhausanlagen genug getratscht wird. Menschen sind oft neugierig und geben ihr Halbwissen gerne an andere neugierige Nasen weiter. Auf dem Land fällt es mehr auf, da reden die Menschen eben noch mehr miteinander.

EnyaVanBran schrieb:Siehst du? Auch du wertest gerade und bedienst das Klischee, dass am Land mehr getratscht wird als in der Stadt.

Naja, das Klischee ist in meiner ganzen Jugend sehr stark gespeist und getriggert worden. Dazu kommt, dass mein Partner "auf dem Land" lebt, und ich bekomme mit, wie sich in seinem sozialen Umfeld ein Großteil der Gespräche eben doch über die anderen Leute (die Verwandtschaft, die Nachbarn, etc.) dreht. Ich würde es nicht sagen oder schreiben, wenn ich es nicht immer wieder live erleben würde.

martenot schrieb:Nachbarn beurteilen und bewerten (können).

Das tun sie ja auch irgendwie. Nachbarn bekommen im Grunde sehr viel mehr von meinem Leben mit, als so mancher Freund.
Für jeden "außerhalb " kann ich ein bisschen mogeln, die dreckigen Socken verstecken, gute Klamotten anziehen und von meinem wohlerzogenen Hund erzählen.

Die Nachbarn sehen aber meine Jogginghose, wenn ich zum Briefkasten gehe, sie hören das Dauergebell vom Hund und wissen wann ich wo hinfahre.

Da kann ich kaum was vorspielen und will es auch nicht.

martenot schrieb:. Ich würde es nicht sagen oder schreiben, wenn ich es nicht immer wieder live erleben würde.

Siehst du und so geht es mir mit dem Vorurteil, dass Leute aus der Stadt Lärm machen und ihren Müll überall herumliegen lassen. Auch ich habe das ja nicht erfunden oder einfach so nachgeplappert sondern schon oft miterleben müssen.
Ich müsste mich eigentlich auch persönlich angegriffen fühlen, denn ich hasse Klatsch und Tratsch. Ich gehe sogar auf Menschen zu, wenn ich weiß, dass sie Blödsinn erzählen und konfrontiere sie damit. So hat mal ein Bekannter Blödsinn über meinen Mann erzählt, als ich den Bekannten das nächste mal zufällig getroffen haben, habe ich ihn direkt gefragt, wieso er solche Dinge erzählt. Er meinte natürlich, macht er nicht. Allerdings haben mir das 3 Leute unabhängig voneinander bestätigt. Er blieb dabei, dass er das nicht gesagt hätte. Aber ich denke, es war ihm dennoch eine Lehre.
Auch hier müsste man jetzt sagen, man kann nicht alle Leute über einen Kamm scheren, aber für mich ist das okay. Hinter jedem Klischee steckt ja auch ein wahrer Kern. Ich fühle mich eben nicht angesprochen, wenn es um solche Dinge geht.

EnyaVanBran schrieb:Siehst du und so geht es mir mit dem Vorurteil, dass Leute aus der Stadt Lärm machen und ihren Müll überall herumliegen lassen. Auch ich habe das ja nicht erfunden oder einfach so nachgeplappert sondern schon oft miterleben müssen.

In erster Linie wollte ich einfach erläutern, welche Beweggründe es für mich persönlich gibt, warum ich lieber in der Stadt lebe als auf dem Land. Neben den Themen ÖPNV, medizinischer Versorgung und kulturellen Einrichtungen gehört eben auch das Thema Klatsch und Tratsch dazu, weil ich als Kind/Jugendlicher damit viel zu tun gehabt hatte bzw. häufig das Gefühl hatte, nicht richtig dazu zu gehören.

Mir geht es eigentlich nicht darum, Menschen außerhalb der Stadt pauschal etwas zu unterstellen, sondern ich habe mir eine Wohnsituation ausgesucht, bei der ich das Gefühl habe, dass sie besser zu mir und zu meinen Bedürfnissen passt. Und da ich in den Städten bislang bessere Erfahrungen mit den erwähnten Punkten (inklusive dem geringer ausgeprägten Hang zu Klatsch und Tratsch) gemacht habe, lebe ich weiterhin lieber in der Stadt als auf dem Land.

Wie gesagt, ich hatte als Kind/Jugendlicher wirklich eine zum Teil unangenehme Zeit, weil ich jahrelang das Gefühl gehabt hatte, nicht den Anforderungen von Familie, Nachbarn, Bekannten zu genügen. Und da ausgiebig darüber geredet wurde, hat sich das bei mir so eingebrannt, dass ich darauf recht sensibel reagiere. Seitdem ich in der Stadt lebe, fühle ich mich deutlich besser, was diese Thematik betrifft. Ich möchte nicht irgendwo hinziehen, wo die Nachbarn mich beäugen und sagen "Was ist denn das für einer?"

martenot schrieb:Menschen außerhalb der Stadt pauschal etwas zu unterstellen, sondern ich habe mir eine Wohnsituation ausgesucht, bei der ich das Gefühl habe, dass sie besser zu mir und zu meinen Bedürfnissen passt. U

Das finde ich auch ok.
Ich verstehe sogar auch was du meinst.
Wenn ich z.B. in Berlin bin, Riesenmetropole, Millionen Menschen wuseln hin und her, da ist es definitiv anders mit Urteilen, Klatsch und Tratsch.
Allerdings denke ich, das fängt dann schon in den Vororten an, quasi ländlicher zu werden.
Die Besiedelung wird dünner, die Leute aus den Einfamilienhäusern kennt man natürlich eher als in großen Wohneinheiten.