EnyaVanBran schrieb am 09.11.2021: Ja gut, für Menschen die ein paar soziale Schwächen haben, sind FB usw. sicher von großem Nutzen. Aber sie lassen bei vielen das reale Sozialleben auch sehr verkümmern.
Der Bekannte hat tatsächlich kein Sozialleben. Wie gesagt, er ist ziemlich anstrengend. Mir tut er einerseits leid, andererseits ist es echt kräftezehrend ...
Das gibt es analog auch: Wir haben noch jede Menge hochbetagte "Tanten" und "Onkels", die mit uns z.T. gar nicht blutsverwandt sind, sondern z.T. Freunde, z.T. Cousins zweiten Grades unserer Eltern sind. Oft ist der Kontakt nun auch irgendwie zwischen meinen Eltern und ihen eingeschlafen (oder man sieht sich altersbedingt nicht mehr so oft oder gar nicht mehr - telefonieren ist wegen verschiedener Gebrechen (Schwerhörigkeit, etc.) auch schwer.
Wir drei Geschwister schreiben einmal im Jahr einen gemeinsamen Weihnachtsbrief mit Bildern, wo jede Familie berichtet, was sich so getan hat - prinzipiell Lappalien: Kind 1 hat das Seepferdchen gemacht, Kind 2 Latein als Profilfach gewählt, Kind 3 war beim Schüleraustausch in Frankreich. Insgesamt fasst es das normale Familienleben eines Jahres zusammen - das ist bei unserer Verwandtschaft ein riesiger Hit - oft schicken die Kinder noch was Selbstgebasteltes mit. Eine Freundin einer "Tante" weinte nach deren Tod bittere Tränen, dass sie nun gar nicht mehr mitbekommt, was bei uns geht (sie bekommt nun einen Brief, obwohl wir sie gar nicht kennen :-)). Ein Onkel ruft jedes Jahr schon im Oktober bei meinen Eltern an und lässt uns ausrichten, man möge ihn beim Weihnachtsbrief nicht vergessen.
Diese alten Leute, deren soziales Umfeld ja wieder auf Familie und Wohnumgebung (Altenheim) reduziert ist, haben einfach das Gefühl, dass sie da Teil einer Gemeinschaft sind - so ähnlich ist das bei Facebook glaube ich auch. Du bekommst Einblicke - die sind teilweise nicht ehrlich, aber du hast sie.
Anders: Als es noch keine soziale Medien gab, habe ich studiert und hatte ein billiges Studizimmer in einem Keller, wo ich alleine "hauste". Das Haus war so konstruiert, dass ich keine zufälligen Begegnungen mit meinen Vermietern hatte. Die Uni war eine Mo - Do Uni, d.h. mein gesamtes soziales Umfeld fuhr spätestens am Donnerstag heim - Freitag - Sonntag war es unerträglich, Samstag + Sonntag war die Uni zu und ich saß in meinem 12qm Zimmer. Die Einsamkeit war beißend und wirklich eklig. Daher kann ich mir schon vorstellen, dass soziale Medien das abfedern (andererseits aber auch viel Zeit verplempern).
EnyaVanBran schrieb am 09.11.2021:Vollkommen richtig. Solche Kontakte mit Muss zu pflegen ist anstrengend und du bekommst rein gar nix zurück.
Das stimmt, im RL gibt es viele Energievampire.
Bundeskanzleri schrieb:Ich habe es bei mehreren Leuten immer mal wieder versucht, "anzuklopfen", aber es kam nichts mehr zurück. Das ist so, seit ich vor zweieinhalb Jahren umgezogen bin.
Das ist so ein wenig der Zeitgeist, habe ich den Eindruck. Ich hatte das auch schon ein paarmal mit guten Bekannten - man traf sich regelmäßig, half dann Umzugskisten packen, sie verschwanden und man hörte nie mehr was. Gerade an Weihnachten habe ich festgestellt, dass mich einer dieser Bekannten einfach auch bei Facebook rausgeworfen hat (war auch so ein Fall, dass er regelmäßig postete und man immer wusste, was ging) - das hat mich echt verletzt, mehr, als wenn der Kontakt so eingeschlafen wäre, weil es ja noch ein aktives Handeln von ihm voraussetzte.
Bundeskanzleri schrieb:Das stimmt bei mir auch. Man kann ja auch gefahrlos erzählen, es wird einem dann nicht in irgendeiner Situation auf die Füße fallen, weil es diese Situationen nicht geben wird.
Das ist tatsächlich der Vorteil - ich wohne ja auf einem Dorf und manche Stories sind innerhalb eines Tages verbreitet - ob man will oder nicht. Im Internet lesen wenig Leute das Posting und selbst wenn es mehrere sind, ist es für dich ungefährlich. Außerdem ist es einfach auch nett, wie viel Zeit sich manchmal Fremde nehmen. Ich häkle gerne und wenn ich hänge, dauert es im Facebookhäkelforum keine Stunde, bis sich jemand die Zeit nimmt, mir zu sagen, warum ich hänge.
Außerdem sind es oft Leute, die neutral eine Meinung oder einen Rat abgeben, der wirklich konstruktiv sein kann.
Bundeskanzleri schrieb: Ich muss auch feststellen, dass mir Realkontakt schnell zuviel wird. Am liebsten sind mir Begegnungen, die so zwei oder drei Stunden gehen. Also entweder im Alltag integriert, bei der Arbeit oder Hundespaziergang oder sowas.
Mir fällt zunehmend auf, dass Leute so in ihrer eigenen Blase feststecken, dass auch ein Realkontakt oft kein Austausch mehr ist. Die Leute erzählen einfach und erzählen ... Das nervt mich dann auch. Ich rede ja schon beruflich viel und höre zu und kommuniziere, ich erhole mich wirklich am besten, indem ich alleine eine große Runde durch den Wald drehe und dabei maximal 3x kurz Smalltalk führe mit Leuten, die ich kenne.