Ebersson schrieb:- Kennt ihr bei Alkoholikern das von von mir beschriebene Lügenverhalten?
Das ist glaube ich bei jeder Sucht so - ich hatte jahrelang eine Essstörung (weiß nicht, ob das verlgeichbar ist) und habe mir dann eingebildet, ich habe es wieder voll im Griff - und aß nur einmal am Tag eine Kleinigkeit. Da es mir echt gut ging (und ich redete mir weiterhin ein, es wäre super), habe ich nicht nur andere, sondern auch mich selbst angelogen.
Typisches Gespräch: Bist sehr dünn geworden, alles gut? Antwort: Klar, du, ich habe gar nicht so viel abgenommen, habe auch Sport gemacht und sieht nun wirklich nur nach viel aus. Tat: Habe dafür gesorgt, dass ich einmal mit der Person in der Mensa esse und habe gleich die doppelte Portion Pommes vertilgt (und dann drei Tage gar nichts mehr gegessen).
Verhalten: Wenn ich die Person überzeugt hatte, gut. Wenn nicht, bin ich ihr ausgewichen, weil ich mir selbst nicht eingestehen wollte, dass ich über etwas so profanes wie Essen die Kontrolle verloren habe.
Ebersson schrieb:- Betrachtet ihr das Lügenverhalten nur unter dem moralischen Aspekt oder spielt die Alkoholsucht bei der Bewertung des Verhaltens mit?
Das ist ja ziemlich komplex - du schämst dich vor dir selbst und vor den anderen, weil es eben ein Bereich deines Lebens gibt, der dich kontrolliert und nicht anders herum. Beispiel: Du stehst als Nicht-Alkoholiker vor einem Sektbuffet, weißt aber, du musst noch fahren und schlägst das Angebot aus und trinkst etwas anders. Das kann der Alkoholiker ja nicht ... oder nur zeitweise oder teilweise. Danach schämt man sich.
Ebersson schrieb:- Kann die Erkrankung Alkoholsucht den Alkoholiker bis zu einem gewissen Grad entschuldigen - hat er quasi einen gewissen "Lügenbonus"?
Das ist fallabhängig, wenn du das aber mitmachst, bist du eben Co-Alkoholiker. Wir hatten einen Fall hier im Dorf, angesehener Mann hier im Dorf, sehr sozial engagiert, verheiratet, Kinder, berufstätig - völlig unauffällig, begann Blut zu spucken. Notarzt wurde gerufen, er kam ins Krankenhaus und es stellte sich heraus, dass es eine Leberzirrhose im Endstadium war - durch jahrelange Alkoholsucht. Die Frau wurde extrem wütend, was man "ihrem Mann unterstellt" und schwor Stein und Bein, dass er nur gelegentlich trinkt - tatsächlich hat sie das jahrelang völlig ausgeblendet, so dass es sie am Ende selbst total überrascht hat. Sie (und ide Kinder) haben sich praktisch selbst vorgemacht, dass alles okay sei.