sundra schrieb:So habe ich es auch empfunden. Heimweh wurde definitiv als Schwäche gesehen und ich denke, meine Eltern wollten mir nichts erzählen weil sie befürchteten, dass es dann schlimmer wird. Das aber genau DAS das Schlimme war, wussten sie vielleicht nicht anders.
@sundraAber auch von den Kindern.
Ich erinnere mich, als ich das 2. Mal verschickt war, mit 8, bekam ein Kind heimlich Besuch von seinen Eltern.
Wir haben draussen hinter dem Haus gespielt und die Eltern kamen über die Wiese.
Offiziell durfte die Verschickungskinder nicht besucht werden.
Ein Mädchen sagte dazu ganz sachlich: Das ist nicht gut. Wenn die Eltern wieder weg sind, bekommt sie Heimweh.
Es wurden nie Kinder von anderen gehänselt oder ausgelacht, weil sie Heimweh hatten, aber für uns Kinder war klar, das ist ein Gefühl, das vermieden werden muss. Man heult und flennt "wie ein Baby". Wir verlangten von uns selbst stark und erwachsen zu sein (weil uns das als Wert eingetrichtert wurde. Ein Indianer kennt keinen schmerz)
sundra schrieb:Wir schliefen in einer Halle mit vielen Betten. Genauso das Mittagessen. Das war, als hätte man mich entnabelt von jetzt auf jetzt. So etwas kann nicht gut sein für ein Kind.
Das ist genau der Punkt, der nicht funktioniert hat.
Es gibt schlimme Geschichten von diesen Heimen. Es war bestimmt nicht überall so krass, wie es manche (oder viele?) leider erlebt haben. Aber was alle durchmachen mussten: Von einem Tag auf den anderen komplett von zu Hause abgeschnitten sein, das war hart.
Ich erinnere mich auch an große Schlafsäle mit Metallbetten, wie im Krankenhaus. An Steinfußböden, an einen großen Waschraum. Alles sehr kalt und ungemütlich.
Und wir waren damals ja echt bescheiden. Als ich das 1. Mal verschickt wurde (mit 6) hatten wir zu Hause noch nicht mal einen Fernseher.
Wenn da 1x die Woche ein Puppenspieler vorbeigekommen wäre, mit abgenutzte Puppen, aber mit guter Laune hätten wir dem Ereignis die ganze Woche entgegen gefiebert. Und was hätte das gekostet? Für ein paar Mark hätte man den engagieren können und über 100 Kinder hätten sich gefreut. Ess gab noch nicht mal Spielzeug.
Mit 6 hatte ich noch kein Zeitgefühl. Ein Tag war ewig und eine Woche erst...
Und ich glaube, so entsteht auch das Heimweh bei Kindern. Das Neue ist irgendwann bekannt und bietet keine Ablenkung mehr und dann nimmt die Zeit kein Ende. Die Kinder denken immer häufiger an zu Hause.
sundra schrieb:Wenn man sich die heutige Eltern-KindBeziehung einmal anschaut, ist das was völlig anderes. Man geht achtsam miteinander um, spricht Kindern keine Gefühle ab, bezieht sie mit ein etc.
Als ich nach den ewiglangen 6 Wochen ohne Kontakt zu meinen Eltern wieder zurückkam, kamen sie mir fremd vor und ich war gleichzeitig glaube ich auch verstört darüber, wie sie mir so etwas antun konnten.
Als ich 14 war erzählte mir eine Freundin, ihre kleine Cousine geht demnächst auf Klassenfahrt. Die ganze Klasse übt schon mal. Sie machen einen Wochenendausflug mit Übernachtung.
Damals dachte ich: Oh Mann, sie üben das... Ich fand das zunächst albern.
Und dann dachte ich: Das ist gut. Die Kinder können schon mal spüren, wie das Gefühl ist, getrennt zu sein. (wobei 2 Wochen dann ganz anders sind).
Aber , dass man sich Gedanken macht. Das war bei uns damals nicht der Fall.
Für meine Eltern war wichtig, dass ich "abgehärtet" werde,- für das Leben. "Das Leben ist hart...."
Und ähnlich wie dir, ging es mir auch.
Als ich wieder zu Hause war, hab ich gedacht "Ich brauche euch nicht."
Und dieses Gefühl blieb ein Grundton in der Beziehung zu meinem Eltern.
Ich habe diese Verschickungen im Grunde verdrängt. Ich habe nie darüber gesprochen, mit keinem Freund, mit keiner Freunde. Und meine Eltern haben mich damals auch höchstens gefragt, wie es war und waren zufrieden, als ich sagte "schön". Ich wusste, das wollten sie hören.
Heute läuft das ja schon mal anders, durch die Handys. Kinder und Eltern sind ständig in Kontakt.
Man muss dazu allerdings auch sagen, da wo die Familie halbwegs intakt sind.