Was kann man gegen Zwangsgedanken tun?
11.11.2014 um 14:42
Muss jetzt auch mal meinen Senf dazugeben,
Normal sind solche Gedanken schon, insofern sich jedem gesunden Menschen gelegentlich unangenehme Gedanken oder auch Gewaltfantasien aufdrängen können, denen i.d.R. aber kein Wert beigemessen wird. Und Sorgen, dass Du z.B. Deiner Ma gegenüber tatsächlich handgreiflich werden könntest, muss hier niemand haben, am allerwenigsten Du, da Dein Problembewusstsein, d.h. der innere Widerstand gegen die Zwangsgedanken doch gerade einen sicheren Indikator dafür darstellt, dass Dein moralischer Kompass völlig intakt ist.
Ironischerweise ist dieser innere Widerstand aber gleichzeitig der Auslöser für Deinen Konflikt (und hier kannst Du wirklich Gefahr laufen, in einen Teufelskreis zu geraten, insofern ist es lobenswert, dass Du frühzeitig therapeutische Unterstützung in Anspruch nimmst): verständlicherweise musst Du Gedanken, die mit Deinem Selbstbild kollidieren (ich liebe meine Mutter, wie könnte ich ihr da was antun?) negativ bewerten und tabuisieren; da Du Dir Kontrolle und damit Verantwortung für die sich aufdrängenden Bilder zuschreibst muss das Aufkommen solcher Fantasien bekämpft und unterdrückt werden, willst Du Dein positives Selbstbild nicht aufgeben.
Die Krux: je mehr Energie Du auf die Abwehr von Gedanken aufwendest, desto mehr Wert misst Du ihnen bei, sie nehmen zwangsläufig mehr Raum in Deinem Bewusstsein ein. Also wird auch mehr Aufwand nötig, sie zu verdrängen, und schon sitzt Du tief in der Gedankenspirale, die sich mit zunehmender Zeit verfestigt und automatisiert, da Du diesen Mechanismus regelrecht konditionierst.
Hilfreich erscheint mir bei diesem Dilemma, Dir klarzumachen, dass es eine irrige Annahme ist, Gedanken kontrollieren zu können. Kleines Beispiel:
Denk bloß nicht an einen rosa Elefanten! Ich verbiete Dir an einen rosa Elefanten zu denken!
Woran hast Du wohl gedacht?
Deshalb hab ich auch meine Zweifel bezgl. mancher Bewältigungsmethoden: Vermeidung funktioniert gar nicht, das tust Du schließlich die ganze Zeit schon, und ein negativer Fokus bedeutet trotzdem Fokussierung. Neutralisierungsgedanken wie der erste Kuss oder der vorgeschlagene Apfel könnten als negative Verstärker fungieren: Du verschaffst Dir kurzfristig Erleichterung, indem Du den Apfel visualisierst, daraufhin drängt sich die Gewaltfantasie auf, Apfel, Gewaltfantasie, Apfel, damit hast Du die Gedankenspirale letztlich nur variiert.
Funktionieren kann Ablenkung meine ich nur, wenn die Bewusstseinsinhalte (Hobby, Arbeit etc.), durch die Du die unangenehmen Gedanken ersetzt, Dein Interesse von sich aus binden (weil Du sie als intrinsisches Gut begreifst, also einfach Freude an der Beschäftigung hast) statt bloß als Mittel in der Not fungieren.
Du kannst sogar mal versuchen, die Gedanken weiterzudenken und ins völlig Absurde zu überziehen, so dass Du Dich selbst kaputtlachen musst, damit verlieren die Gedanken vielleicht auch ihre Wirkmacht.
Wichtig ist bei alldem, dass Du Dir klar machst, dass Du ohne Kontrolle auch nicht verantwortlich sein kannst, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass Du moralisch zu verurteilen bist, wenn Dir mal ein unschöner Gedanke durch den Kopf gehen sollte. Vielmehr sind Gedanken erst mal bloße Gedanken und an sich wertfrei, werden also erst durch Deine Interpretation zu etwas unbedingt zu Vermeidendem.
Wenn Du verinnerlichst, dass Du mit Deinen Gedanken nicht identisch, also auch kein böser Mensch bist, dann gibt’s auch keinen Grund mehr, gegen sie anzukämpfen. Nimm sie einfach bloß wahr, als ob Du vorbeiziehende Wolken betrachtest, dann werden sie auch keinen Widerstand mehr leisten müssen und irgendwann von selbst verschwinden.
Oha, ist ja ein halber Roman geworden.