Narzisstische Persönlichkeitsstörung
22.02.2005 um 03:11Hallo zusammen!
Ein recht interessantes Thema, über das ihr schreibt. Ich frage mich nur, in wie fern es akzeptabel ist, einzig und allein durch die Aufzählung der Symptome der narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine Diagnose zu stellen bei Personen, die ihr unter Umständen nur unzureichend kennt. Und selbst wenn die Menschen euch gut bekannt sein sollten, stellt sich immer noch die Frage, ob die Objektivität eurerseits gewährleistet ist.
Zur Diagnosestellung einer Persönlichkeitsstörung zählt wesentlich mehr als die Aufzählung einiger Symptome. Zumal sich die Symptomatik der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen frappierend überlappen kann. Hinzu kommt das Problem der Konnotation, also der Umstand, dass in einem Begriff immer eine Wertung enthalten ist, die den Betroffenen (in dem Fall die gestörte Persönlichkeit) als "krank", "abnormal", "durchgeknallt" oder was auch immer abstempelt. Wenn ihr über euch bekannte Personen behauptet, sie litten unter einer Persönlichkeitsstörung, dann heißt das nichts anderes als: die Person ist ein Psychopath. Denn was heute als "Persönlichkeitsstörung" bezeichnet wird, wurde früher "Psychopathie" genannt. Ein Grund, weshalb der Begriff wechselte, war die oben erwähnte Konnotation.
Heute wird es in der psychiatrischen Praxis so gehandhabt, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nur dann gestellt wird, wenn der Betroffene entweder
1) selbst unter seiner Persönlichkeit leidet,
2) weitere psychische Störungen durch die Störung der Persönlichkeit entstanden sind bzw. entstehen oder
3) durch seine Persönlichkeit immer wieder gesellschaftlich auffällig wird, z. B. durch mangelnde Impulskontrolle und in deren Folge Gewalttätigkeit, Kriminalität usw. in Erscheinung treten.
Die Persönlichkeitsstörung heißt deshalb Persönlichkeitsstörung, weil die Persönlichkeit in ihrer Intensität und Dauer im Vergleich zum Gros der Bevölkerung nachhaltig beeinflusst ist, im Gegensatz zu den neurotischen Störungen, wo jeweils die Erlebnis- und Konfliktbearbeitung in bestimmten Situationen gestört ist. In der Konsequenz bedeutet das für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung allerdings, dass auch wirklich die gesamte Persönlichkeit unter die Lupe genommen werden muss. Das heißt, der Betroffene darf nicht nur aufgrund seines Verhaltens im Freundes- (oder Feindes-?) kreis, der Arbeit oder durch die Einschätzung Dritter beurteilt werden, sondern alle Möglichkeiten, in denen sich die Persönlichkeit offenbaren kann, müssen miteinbezogen werden. Hinzu kommt die Lebensgeschichte des angeblich Persönlichkeitsgestörten.
Von einer Persönlichkeitsstörung darf auch nur dann gesprochen werden, wenn sich erste Anzeichen bereits in der Kindheit oder der Pubertät gezeigt haben. Andernfalls geht die Diagnose unter Umständen eher in den Bereich einer Persönlichkeitsänderung, nicht einer Persönlichkeitsstörung.
Man kann soviel Gesellschaftskritik anbringen wie man möchte. Den meisten Argumenten werde ich wohl zustimmen. Wenn aber behauptet wird, dass die Hälfte der Bevölkerung narzisstisch sei, dann kann diese Hälfte unmöglich unter einer Persönlichkeitsstörung leiden. Damit nämlich eine Persönlichkeit gestört ist, muss sie in auffälligem Maße von der Norm abweichen. Und verhält sich die Hälfte der Gesellschaft narzisstisch, ist dieses Narzisstische die Norm und gleichsam keine Störung mehr.
Ich hoffe, mein Text wirkt nicht zu arrogant. Aber seht es einmal von der anderen Seite. Vielleicht wird irgendwann jemand von euch als gestörte Persönlichkeit bezeichnet. Und wer kann behaupten, froh über solch eine erhaltene Diagnose zu sein?
Freundliche Grüße
Ein recht interessantes Thema, über das ihr schreibt. Ich frage mich nur, in wie fern es akzeptabel ist, einzig und allein durch die Aufzählung der Symptome der narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine Diagnose zu stellen bei Personen, die ihr unter Umständen nur unzureichend kennt. Und selbst wenn die Menschen euch gut bekannt sein sollten, stellt sich immer noch die Frage, ob die Objektivität eurerseits gewährleistet ist.
Zur Diagnosestellung einer Persönlichkeitsstörung zählt wesentlich mehr als die Aufzählung einiger Symptome. Zumal sich die Symptomatik der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen frappierend überlappen kann. Hinzu kommt das Problem der Konnotation, also der Umstand, dass in einem Begriff immer eine Wertung enthalten ist, die den Betroffenen (in dem Fall die gestörte Persönlichkeit) als "krank", "abnormal", "durchgeknallt" oder was auch immer abstempelt. Wenn ihr über euch bekannte Personen behauptet, sie litten unter einer Persönlichkeitsstörung, dann heißt das nichts anderes als: die Person ist ein Psychopath. Denn was heute als "Persönlichkeitsstörung" bezeichnet wird, wurde früher "Psychopathie" genannt. Ein Grund, weshalb der Begriff wechselte, war die oben erwähnte Konnotation.
Heute wird es in der psychiatrischen Praxis so gehandhabt, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nur dann gestellt wird, wenn der Betroffene entweder
1) selbst unter seiner Persönlichkeit leidet,
2) weitere psychische Störungen durch die Störung der Persönlichkeit entstanden sind bzw. entstehen oder
3) durch seine Persönlichkeit immer wieder gesellschaftlich auffällig wird, z. B. durch mangelnde Impulskontrolle und in deren Folge Gewalttätigkeit, Kriminalität usw. in Erscheinung treten.
Die Persönlichkeitsstörung heißt deshalb Persönlichkeitsstörung, weil die Persönlichkeit in ihrer Intensität und Dauer im Vergleich zum Gros der Bevölkerung nachhaltig beeinflusst ist, im Gegensatz zu den neurotischen Störungen, wo jeweils die Erlebnis- und Konfliktbearbeitung in bestimmten Situationen gestört ist. In der Konsequenz bedeutet das für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung allerdings, dass auch wirklich die gesamte Persönlichkeit unter die Lupe genommen werden muss. Das heißt, der Betroffene darf nicht nur aufgrund seines Verhaltens im Freundes- (oder Feindes-?) kreis, der Arbeit oder durch die Einschätzung Dritter beurteilt werden, sondern alle Möglichkeiten, in denen sich die Persönlichkeit offenbaren kann, müssen miteinbezogen werden. Hinzu kommt die Lebensgeschichte des angeblich Persönlichkeitsgestörten.
Von einer Persönlichkeitsstörung darf auch nur dann gesprochen werden, wenn sich erste Anzeichen bereits in der Kindheit oder der Pubertät gezeigt haben. Andernfalls geht die Diagnose unter Umständen eher in den Bereich einer Persönlichkeitsänderung, nicht einer Persönlichkeitsstörung.
Man kann soviel Gesellschaftskritik anbringen wie man möchte. Den meisten Argumenten werde ich wohl zustimmen. Wenn aber behauptet wird, dass die Hälfte der Bevölkerung narzisstisch sei, dann kann diese Hälfte unmöglich unter einer Persönlichkeitsstörung leiden. Damit nämlich eine Persönlichkeit gestört ist, muss sie in auffälligem Maße von der Norm abweichen. Und verhält sich die Hälfte der Gesellschaft narzisstisch, ist dieses Narzisstische die Norm und gleichsam keine Störung mehr.
Ich hoffe, mein Text wirkt nicht zu arrogant. Aber seht es einmal von der anderen Seite. Vielleicht wird irgendwann jemand von euch als gestörte Persönlichkeit bezeichnet. Und wer kann behaupten, froh über solch eine erhaltene Diagnose zu sein?
Freundliche Grüße