Gedichte aus aller Welt
12.12.2012 um 20:41Vision
1
Wir wachten noch. Mit glühendem Verlangen
Zog ich das schönste Weib an meine Brust,
Das jemals eines Mannes Arm umfangen,
Durchzuckt von ihres Kusses süßer Lust
Fühlt' ich das Blut in meinen Pulsen stocken
Und war mir doch der Seligkeit bewußt.
Sie war ja mein; das Haupt voll dunkler Locken,
Der schlanke Leib, des Auges Liebesglut,
Des Busens schneeig weiße Lilienglocken,
Ihr liebend Herz und all sein heißes Blut.
Mein war es; und das geistige Genießen
Versank fast in der Leidenschaften Flut.
Sie hob das Haupt von ihrem Lagerkissen,
Belebte mich durch einen langen Kuß
Und sprach dann schmerzlich lächelnd: »Würd' ich wissen,
Dein Leichtsinn könnte diesen Hochgenuß
Der seligsten Vereinigung verderben,
Mir rauben, was ich hoch erkaufen muß -
O dann, Geliebter, wünscht' ich jetzt zu sterben,
Eh' mich der Hoffnung Himmelsfreuden fliehn
Und ihre Blätter herbstlich gelb sich färben.«
»Mein heißes Lieb, du sprichst in Phantasien,
Dein Blut ist heiß, sei ruhig, schlafe ein,
Schlaf ein, denn meines treuen Herzens Glühn
Und diese Küsse schwören: ewig dein!«
Sie sank zurück, sie schlief. - Noch war es Nacht,
Da blendet plötzlich mich ein heller Schein,
Auf mich herab sinkt die azurne Pracht
Des Himmels, der in goldnen Sonnenstrahlen
Hervor aus schneeig weißen Wolken lacht.
Doch könnt' ich jetzt auch mein Entsetzen malen,
Vor mir erhebt sich ein vergeßnes Bild
Und weckt in mir der alten Liebe Qualen.
Ich schaute nicht den Himmel blau und mild,
Ihr Auge ist's, ich hab es jetzt erkannt,
Die Wolke, die den Horizont umhüllt,
Es ist ihr weißes flatterndes Gewand,
Seht, wie sie flehend ihre Hand ausstreckt!
Wie, hört' ich recht! mein Name ward genannt!
So ist's kein Spiel der Hölle, das mich neckt -
Sie ist es selbst! - Doch ach, zu spät - die Reue
Hat nimmermehr die Toten auferweckt.
Und doch - weh mir - ich zittre! - meine Treue,
Die ich im Schwur gelobt, - sie wankt -
Die alte Liebe reget sich aufs neue -
Weib, rette mich, des Kampfes Ausgang schwankt! -
Und sie erwacht, sie richtet sich empor -
Ein einzger Kuß, und wie mich's auch gebangt,
Ich ging als Sieger aus dem Kampf hervor.
Und als sie fragte: was mich aufgeschreckt!
Da flüsterte ich leise ihr ins Ohr:
»Nichts, nichts, mein Kind, ein Traum, der mich geneckt!«
2
Es war so traulich still in ihrem Zimmer; -
Sie selbst vom goldnen Abendrot umflossen,
Und an der Wand des Mondes Silberschimmer,
Das waren meiner Seligkeit Genossen,
Als mir sich, in des schönsten Weibes Zügen,
Ein süß Geheimnis endlich aufgeschlossen.
Sie liebte mich! - und könnten Engel lügen,
Und glaubt' ich selbst an eines Gottes Fehle
Unmöglich konnte mich ihr Auge trügen,
Der himmelsklare Spiegel ihrer Seele,
Unmöglich war's, daß in des Herzens Tiefen
Sie Kälte, Furcht und Zweifel mir verhehle.
Gefühle, die wie tot im Busen schliefen,
Belebten sich an meines Herzens Glut,
Mir war es, als ob tausend Stimmen riefen:
»Jetzt oder - nie! Der Sieg belohnt den Mut!«
Fort trieb's mich, eine Rose ihr zu pflücken,
Um alles, was im Herzen mir geruht,
Ihr mit dem Bild der Liebe auszudrücken,
Um sie, die blüh'nde Königin der Frauen
Auch mit der Blumenkönigin zu schmücken.
Und welch ein Sieg! ich sah aus ihrem blauen,
Dem klaren Auge, - Freudestrahlen sprühend,
Auch Freudentränen jetzt herniedertauen;
Sah an den Busen, wie die Rose blühend,
Der Liebe Bild gepreßt von ihren Händen,
Sah ihre Lippen, wie die Rose glühend,
Der Küsse heilges Feuer fast verschwenden;
Das schaut' ich alles, ach - und immer wieder
Wollt' ich zurück die trunknen Blicke wenden.
Sie steckte jetzt die Rose an das Mieder,
Sie wollte sprechen, doch die Lippe bebte,
Sie schlug die Augen auf, sie schlug sie nieder, -
Wie glühend auch ihr Herz der Liebe bebte,
Des Weibes Scham war ihr so ganz geblieben,
Daß sie den eignen Wünschen widerstrebte.
Da hat es mich zu rascher Tat getrieben;
Ein Kuß - und ach, im Gegenkusse brennen
Fühlt' ich die Lippen, hörte mich bei lieben,
Bei tausend längst erwünschten Namen nennen,
Und wie wir innig uns umschlungen hatten,
Da schwört' ich laut: »Es kann kein Gott uns trennen!«
Doch plötzlich sah ich vor mir einen Schatten,
Und zitternd, leise sprach mein Weib die Worte:
»Entflieh, Geliebter, meinem toten Gatten;
Sieh, wie die Hand mir drohet, die verdorrte,
Ach, meine Schwüre hab' ich kaum gebrochen,
So öffnet schon sich seines Grabes Pforte.«
Ich hörte ihres Herzens lautes Pochen,
Sah sich den Schatten riesig weiter dehnen,
Doch meines Blutes leidenschaftlich Kochen
Mein ganzes Sein, mein Trachten und mein Sehnen
Verlangte eins, verlangte zu genießen,
Wild rief ich: »Du bist mein!« Da sah ich Tränen
Aus ihren lieben, blauen Augen fließen,
Und ach, wie wenn sie meine Glut vernichtet,
Vermocht' ich's nicht, sie länger zu umschließen,
Und ob der Mond den Schatten auch gelichtet,
Es schwieg in mir Begierde und Genuß,
Der letzte Kuß, bevor ich ganz verzichtet,
Es war der erste, schöne Freundeskuß.
Theodor Fontane