Offenbarung der Liebe
I.
Wie auch das spröde Herz mag widerstreben,
Und wie er vor sich selber sich verstelle,
Es kann der Mensch nicht ohne Liebe leben.
Die Liebe ist die große Lebensquelle,
Daraus des Daseins ew'ge Ströme fließen,
Endlos, unstillbar, wie des Meeres Welle.
Sie läßt die Blumen auf dem Felde sprießen,
Die Lerchen lehrt sie und die Nachtigallen,
Daß sie in Wohllaut jubelnd sich ergießen.
In todten Steinen, fühllosen Metallen
Läßt sie verborg'ne Lebensfülle wogen
Und blüht empor in leuchtenden Krystallen.
Ja droben selbst am blauen Himmelsbogen,
Die ew'gen Sterne selbst, die milden, guten,
Sie fühlen wie von Liebe sich gezogen.
Es brennt der bleiche Mond in keuschen Gluten,
Er spiegelt sich im Meer und zwingt die Wellen,
In Liebesdrang zu ebben und zu fluten. –
Strömt Liebe so aus hunderttausend Quellen,
Wie willst denn du, o Mensch, von allen Wesen
Nur außerhalb dich ihres Zaubers stellen?
O du, von Gott zum Ebenbild erlesen
Und doch gesetzt in dieses Thal der Leiden,
Wie willst du ohne Liebe je genesen?
Du kannst mit Erz die starre Brust umkleiden
Und kannst dein Selbst in schnöde Fesseln schlagen,
Doch kannst du nie von Liebe ganz dich scheiden.
Wie lang' es währt, einst muß der Morgen tagen,
Wo dich erfaßt ein schmerzlich süßes Sehnen
Nach einem Ohr, dem du kannst alles klagen,
Nach einer Brust, dich schweigend dran zu lehnen,
Nach weichen Armen, die dich mild umfassen,
Nach einem Aug', das weint in deine Thränen!
Und bist du dann von aller Welt verlassen,
Indessen rings im Schatten grüner Buchen
Verliebte Paare zärtlich sich umfassen:
Dann wirst du einst, gieb Acht, dir selber fluchen
Und wirst bei Blumen, Vögeln, Katzen, Hunden,
Armsel'ger Thor, nach jener Liebe suchen,
Die nie ein Menschenherz bei dir gefunden!
II.
Vernehmt die köstlichste von allen Lehren,
Die je sich offenbart hat ird'schen Sinnen,
Und neiget euch, sie dankbar zu verehren!
Willst du, o Mensch, dich selber recht gewinnen,
Mußt du dich erst in Liebe ganz verlieren;
Es liegt der Weisheit tiefster Kern darinnen.
Drum will dein Herz sich selber recht regieren,
So mußt der Liebe du die Zügel geben;
Mit milden Händen leitet sie die Ihren.
Stets klebt der Erde Staub an ird'schem Streben,
Doch hast du dich in Liebe rein gebadet,
Wird leicht und frei der Fittig sich erheben.
Drum preise sich jedweder hoch begnadet,
Der aus der Liebe heil'gem Born darf trinken;
Es giebt für ihn kein Gift mehr, das ihm schadet.
In reinerm Glanz sieht er die Sterne blinken;
In öder Nacht, durch Finsterniß und Grauen,
Hört er es leis wie Geisterstimme winken.
Es hat Natur in liebendem Vertrauen
Vor seinem Blick der Schleier sich entkleidet,
Er darf sie frei in nackter Schönheit schauen.
Und was kein Witz des Forschers unterscheidet,
Der Weltenuhr tiefinnerstes Getriebe,
Er kennt es, ungesucht und unbeneidet.
Denn dieses ist die Wunderkraft der Liebe,
Daß sie dem Geist verleihet neue Schwingen
Und weckt im Herzen ungeahnte Triebe.
Drum alles Große, das die Dichter singen,
Und alles Edle, das die Menschen preisen,
Die Liebe war's, sie lehrte es vollbringen.
Den Helden waffnet sie, sie lehrt den Weisen;
Wer ohne sie im Dunkeln stets geblieben,
Den hebt sie zu des Ruhmes lichten Kreisen.
Denn also steht's von Götterhand geschrieben:
Hast du nur erst dich Einem recht ergeben,
So lernst du bald die ganze Menschheit lieben.
Kalt ist und fremd die Welt, voll Kampf das Leben;
Kein Lorber wird die Schläfe je dir krönen,
Als den die Hand der Liebe dir gegeben.
Drum sollst du früh das starre Herz gewöhnen,
Den Widerstreit feindseliger Naturen
In ihrem keuschen Dienste zu versöhnen.
Wohl sehn wir Gott in allen Kreaturen,
So weit der Schöpfung linder Athem fächelt:
Doch findest du die reinsten seiner Spuren
Im Weibe, das in Lieb' und Schönheit lächelt.
III.
Von allem, was da ist und lebt auf Erden,
Ist nichts so fromm und heilig im Gemüthe
Und nichts so keusch und lieblich von Geberden:
Als wie ein Weib in seiner Schönheit Blüte,
Daß sich dem Manne will zu eigen geben,
Aus Liebe halb und halb aus milder Güte.
Denn ja, sie liebt ihn, heißer als ihr Leben,
Und doch ein Etwas flammt in seinen Blicken,
Das macht die Seele heimlich ihr erbeben.
Was will er nur? Was fehlt, ihn zu beglücken?
Ihr wär's genug, zu sitzen lange Jahre
Zur Seite ihm in schweigendem Entzücken,
Mit leisem Finger streicheln seine Haare,
Nach Kinderart an Wange Wange lehnen
Und in das Aug' ihm sehn, das sonnenklare.
Doch höher wogt sein ungeduldig Sehnen,
Sie fühlt den Gluthauch seines Kusses wehen
Und duldet ihn, halb lächelnd, halb in Thränen. –
Wem dies auf Erden einmal ist geschehen,
Der fühlt beglückt sich für sein ganzes Leben,
Weil er der Menschheit Köstlichstes gesehen:
Selbstlose Liebe, die ihr ganzes Streben,
Ihr ganzes Wollen richtet auf das Eine:
Sich dem Geliebten völlig hinzugeben.
Und solche Liebe, solche innigst eine,
Als sichre Zuflucht bei der Stürme Tosen,
Beut nur das Frauenherz, das starke, reine.
Drum streut das Schicksal Dornen in die Rosen
Und bleicht der Schmelz der jugendlichen Wangen,
Berührt vom Frost der Zeit, der mitleidlosen:
So sollst du doch, ob Jahre auch vergangen,
Unwandelbar in deiner Seele Grunde
An dem Gedächtniß dieses Tages hangen.
Vergiß es nie, daß einst an diesem Munde,
Dem knospenden, der ach, so früh verblühte,
Du dich berauscht in wonnevoller Stunde!
Dies Auge, müd' von Thränen jetzt, es sprühte
Von Wonnen einst, die du hast angezündet,
Da noch dein Herz in erstem Feuer glühte!
Und hast du dies im Geiste recht ergründet,
So wirst du dir auch selber müssen sagen,
Daß du dich ihr auf ewig hast verbündet,
Und daß in guten wie in bösen Tagen,
Und wie der Neid der Götter dich mag hetzen,
Du alles für sie dulden mußt und wagen.
Nie kann, und wär' es mit des Nabobs Schätzen,
Ja gäb' er selbst die Sterne ihr zu eigen,
Ein Mann der Frau, was sie ihm gab, ersetzen.
Ihm bleibt nur Eines, sich dankbar zu erzeigen:
Daß er die Liebe lerne recht erwidern,
Gerührten Sinns, mit andachtsvollem Schweigen,
Doch ist's ein Dichter, preis' er sie in Liedern.
Robert Eduard Prutz