Jürgen Roth - Gazprom. Das unheimliche Imperium2012 veröffentlichte der 2017 verstorbene deutsche Jounalist sein Buch über den russischen Gaskonzern Gazprom. Roth war bekannt dafür, mafiosen Strukturen in Wirtschaft und Politik nachzugehen, und so finden sich in diesem etwas unstrukturierten Buch sehr viele Namen, die zu einem Gesamtbild führen sollten.
Kernthese ist, dass Gazprom einerseits eine geopolitische Waffe Russlands ist, andererseits ein Selbstbedienungsladen für eine in Politik, Wirtschaft und Mafia tätige Clique. Das Bild, das mit den Puzzlesteinen sich ergibt, sieht wie folgt aus.
Gazprom ging aus dem sowjetischen Energieministerium hervor, und leitende Funktionäre wie KGB-Leute nutzten die Möglichkeiten, die sich Anfang der 90er Jahre durch die Bildung von Troikas boten, mit ihrem Insiderwissen. Kerngebiet war das hungernde Leningrad mit Putin im Außenhandelskomitee des Bürgermeisteramts: Billig erworbene Rohstoffe sollen durch die Troikas (Privatfirmen mit maximal drei Inhabern, eine Idee aus der Zeit Gorbatschows) zu Weltmarktpreisen verkauft werden, um Lebensmittel zu erwerben und nach Leningrad zu bringen. Die Pönalen waren lächerlich gering (fünf bis zehn Prozent des Kaufpreises), sodass die Pönalen bezahlt und die Gewinne im Ausland geparkt wurden. Bürgermeiser Sobtschak und Putin (mit ihm der KGB) hielten die schützende Hand drüber.
Damit bildete sich die Clique der Petersburger, die mit dem Wechsel von Putin nach Moskau Ende der 90er Jahre ganz Russland übernehmen konnten. Konkurrierende Unternehmen bzw. Oligarchen konnten verdrängt werden. Im Gasbereich wurde nun Gazprom zum bestimmenden russischen Unternehmen.
Die Geschäftsgebahren aus der Leningrader Zeit wurden nun auf die Abnehmerländer im Westen übertragen. Gazprom verkauft ihr Gas nicht direkt an die Abnehmer, sondern hohe Gazpromfunktionäre (aus dem Günstlingskreis der Petersburger) gründeten Tochterfirmen, die das Importmonopol innehatten bzw. immer noch innehaben. Der Trick: Gazprom verkauft günstig an die Tochterfirmen, diese wiederum verkaufen teuer an die Abnehmer in den jeweiligen Ländern weiter. Der zusätzliche Gewinn geht nicht an Gazprom, sondern an die Wenigen, welche den Zwischenhandel monopolisiert haben. Über den Tisch gezogen werden drei Gruppen: die Aktionäre von Gazprom, die russische Bevölkerung (geringere Einnahmen) und die Endverbraucher (sie zahlen wohl einen höheren Preis als bei Direktverkauf).
Selbiges Spiel läuft bei der Hardware. Gazproms Installationen (Pipelines, Fördereinrichtungen etc.) gehören zu den teuersten der Welt (bezahlt oft vom russischen Steuerzahler), da ein Rattenschwanz an Subunternehmen, die nicht benötigt werden, beauftragt wird, um private Gier zu befriedigen.
Innerhalb von Russland besitzt Gazprom nicht nur das Pipline- und Exportmonopol für Gas, sondern in einem Gesetz ist der Firma erlaubt, einen privaten militärischen Sicherheitsdienst zu unterhalten, der auch außerhalb Russlands das Recht hat, die Einrichtungen und Interessen von Gazprom zu schützen.
Der letzte Schritt, den Roth beobachtet, ist der internationale Griff nach Firmen, welche an den Endverbraucher verkaufen. Diese Bestrebungen lassen sich nun fast zehn Jahre nach dem Erscheinen des Buchs in Österreich immer noch beobachten.
Was bedeutet dies geopolitisch? Da Importeure nun mehr oder weniger nicht mehr zwischen verschiedenen russischen Anbietern wählen können, weil es die einfach nicht mehr gibt, ist man von Gazprom abhängig, wenn aus Russland Gas gekauft wird. Die Abhängigkeit ist enorm. 2012 kauften sechs EU-Staaten Gas ausschließlich via Gazprom, Österreich über 60 Prozent und auch Deutschland ist sehr an Russland gebunden (Zahlen gibt Roth keine). Mit dieser Konstellation konnte nun die russische Politik Gaslieferungen auch als Mittel der Erpressung einsetzen. Angewendet wurde dies bekanntlich gegen Lettland (2003), Litauen (mehrfach), Polen (2004), die Ukraine (2006 und später), Tschechien (2008).
Faszinierend auch zu beobachten, was in Deutschland nach der Wahlniederlage von Rot-Grün (Schröder-Fischer) passiert ist. Schröder wurde Aufsichtsrat bei Nord Stream (Gazprom - E.ON), Fischer wurde Berater für das Nabucco-Projekt (Gas ohne Einbindung Russlands dem kaspischen Raum - Sechser-Konsortium mit REW). Beide argumentierten mit der Energiesicherheit Deutschlands und Europas.