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Welches Buch lest ihr gerade?

7.170 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Welches Buch lest ihr gerade?

21.06.2020 um 23:36
Daniel Ekeroth: Schwedischer Death Metal

Das Standardwerk zum Thema. Ende der 80er krochen im Land der Elche, Volvos, günstigen Möbel und des teuren Schnaps über 1000 junge Death Metal Bands aus den Vororten und Dörfern. Und das war eine Szene, die es in sich hatte...Entombed, Opeth, Treblinka/Tiamat, In Flames, Nihilist, Grave, Morbid (mit Mayhems "Dead"), Repugnant (später zum Teil "Ghost"), Edge Of Sanity, Dissection, Nirvana 2002, Carnage, Mefisto, Dismember, frühe Marduk, Crematory, Unleashed uva....

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22.06.2020 um 23:27
Miguel de Cervantes Saavedra - Don Quixote

QuixoteOriginal anzeigen (0,2 MB)

Zwei Teile, 1600 Seiten. Übersetzung: Ludwig Tieck (1801).

Ich habe das ganze Werk zum zweiten Mal in meinem Leben gelesen und bin erstaunt über die Komplexität des Werkes, da mir vom ersten Lesen die üblichen Geschichten in Erinnerung geblieben sind: Windmühlen, Walkmühlen, Schafherden, das Rasierbecken als Ritterhelm, die Veräppelungen Quixotes im zweiten Teil, der dicke und verfressene Sancho Pansa als treuer Stallmeister, der auf seine Statthalterschaft hofft, und natürlich Dulcinea, die als Liebesideal stilisierte pummelige Bäuerin.

Doch es steckt mehr in diesem Werk als nur ein verrückter Adeliger, der die ganze Welt als Täuschung eines Zauberers sieht, die nur er selbst in ihrer Wirklichkeit erkennen kann. Don Quixote als Verschwörungstheoretiker, der einer Narretei hinterherläuft, seinem Traum von den Rittergeschichten aus den Romanen, die mehrfach Thema im Buch sind und die verbrannt werden wie auch Quixotes Bibliothek zugemauert wird, was er wiederum als Angriff eines Zauberers interpretiert.

Es sind aber nicht nur Narreteien und Schelmenepisoden, die das Buch tragen, sondern auch die zum Teil langen hochvernünftigen Reden und Dialoge. So zum Beispiel im ersten Buch das Mädchen Marcella, die nach dem Selbstmord eines unglücklich in sie verliebten jungen Mannes eine Brandrede auf die Freiheit der Frau, auf die freie Entscheidung der Frau nicht nur in Liebesdingen hält. Moderner geht es fast nicht.
Der Getäuschte klage, der verzweifle, den ich mit falscher Hoffnung hinterging, der rede laut, den ich herbeigelockt, der höhne mich, dem ich erwiderte; aber keiner nenne mich grausam oder Mörderin, dem ich nichts verspreche, ihn täusche, herbeirufe oder ihm Liebe erwidere. Bisher hatte es der Himmel über mich noch nicht verhängt, daß ich gezwungen lieben muß; der Glaube aber, daß ich aus Wahl lieben werde, ist Torheit. Diese allgemeine Enttäuschung sei für jeglichen von denen, die sich zu ihrem Vorteil um mich bewerben, jeder begreife in Zukunft, daß, wenn einer für mich stirbt, er nicht an Eifersucht und Unglück stirbt, denn wer keinen liebt, darf keinem Eifersucht geben; wie es auch unrecht wäre, diese Enttäuschungen für Verschmähungen anzusehen. Wer mich wild und Basilisk nennt, fliehe vor mir wie vor einem verderblichen und schädlichen Wesen; wer mich undankbar nennt, diene mir nicht, wer mich unerkenntlich heißt, bleibe mir unbekannt, grausam, der folge mir nicht: denn diese Wilde, der Basilisk, die Undankbare, Grausame, diese Unerkenntliche wird keinen suchen, ihm dienen, seine Bekanntschaft wünschen und auf keine Weise keinem folgen. Wenn Unvernunft und törichte Wünsche den Chrysostomus töteten, warum wird meine Ehre und Tugend angeklagt? Wenn ich meine Reinheit in Gesellschaft der Bäume bewahre, warum soll ich wünschen, daß sie der verletzt, der doch wünscht, daß ich sie unter den Menschen bewahre? Wie Ihr wißt, besitze ich eigenes Vermögen und begehre kein fremdes; ich bin frei, und es gefällt mir nicht, untertan zu werden; ich liebe und hasse keinen; ich täusche nicht den einen, bewerbe mich nicht um den andern, scherze nicht mit diesem, lache nicht mit jenem. Meine unbescholtene Gesellschaft sind die Hirtenmädchen dieser Gegend, meine Beschäftigung ist die Sorgfalt für meine Herde, meine Wünsche werden von diesen Bergen beschränkt; übersteigen sie diese, so geschieht es nur, die Schönheit des Himmels mir vorzustellen, den Aufenthalt, zu dem unsere Seele wie zu ihrer ersten Heimat zurückkehrt.
Einige hundert Seiten später monologisiert Quixote über die freie Entscheidung von Frauen in Liebesdingen als ferne Antwort, und sie ist eine laue Replik. Quixote wird zum Sprachrohr einer patriarchalischen Gesellschaft:
Wenn alle diejenigen, die sich lieben, sich auch heiraten müßten«, sagte Don Quixote, »so verlören die Eltern dadurch das Recht, diejenigen auszuwählen, mit denen sie ihre Kinder verbinden wollten, und zu welcher Zeit dies geschehen soll. Käme es aber auf den Willen der Töchter an, sich selber den Gatten auszuwählen, so würde die eine den Knecht ihres Vaters wählen, eine andere den, welchen sie auf der Straße vorbeigehen gesehen und der ihr zierlich und brav geschienen, wenn er auch ein nichtsnütziger Vagabonde sein sollte; denn Liebe und Leidenschaft verblenden leichtlich die Augen des Verstandes, die doch so notwendig sind, um sich zù vermählen.
Auch auf Ungebildete schießt Quixote sich ein und man könnte dies fast 1:1 als Trollbeitrag einschätzen, denn Unbildung lässt auf ein verlottertes Elternhaus oder eigene Bösartigkeit schließen:
Wenn ein Mensch nicht lesen kann oder linkisch ist, dieses immer eins von den beiden anzeigt, entweder daß er von äußerst gemeinen und niedrigen Eltern abstammt oder daß er so verkehrt und bösartig ist, daß weder Unterricht noch gute Sitten an ihm haften.
Im Laufe des Romans wird Sancho Pansa immer mehr zu einem Menschen, den man sich vorstellen kann, in den man sich einleben kann. Zu Beginn dackelt er Don Quixote trotz der Erkenntnis von dessen Wahnsinn nach, weil er im realen Leben auch sein Herr ist und sich von ihm eine versprochene Statthalterschaft über eine Insel erhofft. Je länger er aber mit ihm zieht, sich verprügeln lassen muss und ihm sogar eine Geißelung mit zehntausenden von Peitschenschlägen auferlegt wird, damit Dulcinea aus ihrer Verzauberung in eine Bauerndirne erlöst werden kann, entkommen ihm kritische, sehr kritische Worte gegen die brotlose Abhängigkeit von seinem Herrn.
Ich täte wahrhaftig besser – aber ich bin ein Vieh und werde in meinem ganzen Leben nichts tun, was taugt –, ich täte wahrhaftig besser, muß ich wieder sagen, wenn ich wieder nach Hause ginge, zu Frau und Kindern zurück, um sie zu erhalten und zu erziehen mit dem Wenigen, was mir Gott gegeben hat, und daß ich Euch nicht so nachzöge auf unwegsamen Wegen und auf Stegen und Fußpfaden, die noch kein Fuß betreten hat, wobei ich schlecht zu trinken und noch schlechter zu essen kriege.
Aber am Ende des Romans wird er entschädigt, als ihm Don Quixote, der an einem Fieber stirbt, sein Vermögen vermacht.

Dennoch ist Sancho auch eine sehr zweispältige Figur, in der sich - wie in Don Quixote selbst - die Vielschichtigkeit menschlicher Charaktere spiegelt. Im zweiten Teil treibt ein Herzog und sein Hof vielerlei Späße mit den beiden, so erhält Sancho eine Statthalterschaft über eine vorgespielte Insel. Auf der einen Seite ist er einem Arzt ausgeliefert, der ihm seine Lebensweise vorschreibt, andererseits ist Sancho ein kluger und wohlmeinender Herrscher und Richter, wenn da nicht sein geplantes radikales Vorgehen wäre, das brutalste Diktaturen vorwegnimmt:
... denn es ist meine Absicht, diese Insel von aller Unreinigkeit, von allen Vagabunden, müßigem und lüderlichem Volke zu säubern; denn Ihr müßt wissen, daß das müßige und faule Gesindel im Staate das nämliche ist, was die Drohnen in den Bienenstöcken sind, die den Honig verzehren, welchen die arbeitsamen Bienen machen. Ich denke die Bauern zu begünstigen, den Edelleuten ihre Vorrechte zu bewahren, die Tugendhaften zu belohnen und vor allen Dingen die Religion und das Ansehen der Geistlichen in Ehren zu erhalten.
Am Ende sind beide wieder zurück in ihrem Heimatdorf, Don Quixote stirbt (mit ihm das Rittertum) und Sancho dürfte ein reicher Bauer sein, der mit Frau und Tochter lebt. Darüber wird jedoch nicht mehr geschrieben.

Es gäbe noch Vieles zu notieren, aber dabei möchte ich es belassen. Die wunderbare Übersetzung Tiecks ist hier online zu lesen (ich habe das bequemere eBook vorgezogen, vor Jahrzehnten war es eine Papierausgabe):
http://www.zeno.org/Literatur/M/Cervantes+Saavedra,+Miguel+de/Roman/Don+Quijote


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23.06.2020 um 08:15
@Narrenschiffer
Da gebe ich Dir recht, dass es ein weitaus komplexeres Werk ist als es im deutschen Sprachraum allgemein bekannt ist.
Die spanische Originalversion bietet nicht nur viel an Doppeldeutigkeit damaliger gesellschaftlicher Konventionen, sondern lässt auch tief in eine heuchlerische Welt blicken.
Cervantes selbst hat einiges an persönlichen Erlebnissen einfließen lassen, denn sein Leben war nicht weniger abenteuerlich als seine Hauptfigur.

Danke für Deinen so interessanten Einblick!


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Dr.Manhattan Diskussionsleiter
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23.06.2020 um 08:19
ich geh heute mal in die winkelgasse - und deck mich mit büchern ein

irgendeine schöne lektüre für den urlaub


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23.06.2020 um 08:21
@Dr.Manhattan
Sind dort nicht auch diese gefährlichen Bücher zu finden, die einen in magische Welten entführen?


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Dr.Manhattan Diskussionsleiter
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23.06.2020 um 08:22
@ArkanaLux

ist in der tat so :D


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23.06.2020 um 08:24
@Dr.Manhattan
Na, dann pass auf! Wenigstens hilft Dir im schlimmsten Fall Facebook, um in die Realität zurück zu finden 🤣


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Dr.Manhattan Diskussionsleiter
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23.06.2020 um 08:25
@ArkanaLux

welche realität ? es gibt so viele

in der realen realität ist das ein kleiner eso buchladen hinterm stephansdom


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23.06.2020 um 08:28
Ja klar kenn ich den! 777 - Super Beratung, tolle Auswahl und das seit ewig. Die waren in Wien auch lange die einzigen mit dieser bewusstseinserweiternden Lektüre.


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Dr.Manhattan Diskussionsleiter
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23.06.2020 um 08:29
ja da findet man echt alles ... von hell bis dunkel ... und weit darüber hinaus :D


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23.06.2020 um 08:31
@Dr.Manhattan
Viel Spaß und vielleicht sieht man sich dort 😉


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24.06.2020 um 07:13
20190926 220950Original anzeigen (1,0 MB)

Habe auch mal wieder den Don Quichotte zu lesen angefangen. Ich lese ihn in einer etwas älteren anonymen Übersetzung. Vielleicht ist die Übersetzung philologisch nicht so genau, dafür hat sie aber sehr viel von der Sprachfärbung der Entstehungszeit. Das barocke Deutsch hat seinen eigenen Reiz, den ich dem romantischen Tieck vorziehe.


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24.06.2020 um 10:12
MAX OPHÜLS - SPIEL IM DASEIN. Eine Rückblende

Saugut geschrieben, humorvoll und unterhaltsam. Keine trockene Aneinanderreihung von Lebensdaten und Lebensleistungen.

Und so beschreibt er beispielsweise die Auswirkung des Expressionismus auf die Theaterbühnen:

"Der Weg sollte freigemacht werden für eine neue Zukunft, eine von den vielen Zukünften, die man während der ganzen Vergangenheit der Menschheit versprach. So standen wir schwitzend mit geballten Fäusten vor blauen Dreiecken in orangefarbenen Scheinwerfern, knickten den Körper in der Hüfte schief, warfen den Kopf eckig in die Höhe, stampften über die Bühne, wie fünfundzwanzig Jahre später Orson Welles, wurden auf rollenden Bändern nach vorne und rückwärts geschoben. Eine überdimensionale rote Kugel stellte den Bahnhof dar, ein Quadrat aus Eisenschienen konnte ein Gebirge sein, und wenn es plötzlich ganz dunkel wurde und aus der Versenkung Beckenschläge und Pauken hörbar wurden, behauptete irgendjemand, es sei Ostern." :D




Und wenn ich mit dem Buch von Max Ophüls fertig bin, werde ich anschliessend die Erinnerungen seines Sohnes lesen:

MARCEL OPHÜLS - MEINES VATERS SOHN



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24.06.2020 um 12:59
Zitat von KimByongsuKimByongsu schrieb:Habe auch mal wieder den Don Quichotte zu lesen angefangen. Ich lese ihn in einer etwas älteren anonymen Übersetzung.
Das ist natürlich ein bibliophiler Schatz, den du da in Händen hältst. Das macht sicher Spaß zu lesen.


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24.06.2020 um 21:32
Friedrich Dürrenmatt - Die Physiker

Physiker

Und noch ein Werk, das ich vor Jahrzehnten gelesen und nun wieder hervorgekramt habe. In manchen Bereichen ist es (oder bin ich) nicht so gut gealtert, so manche Dialoge erscheinen mir doch etwas übertrieben gekünstelt, so zum Beispiel die hysterische Abschiedsrede von Möbius an seine Familie, bei der er sich mit dem "Psalm an die Weltraumfahrer" als König Salomo ausgibt. Dies dürfte aber dem Zeitgeist der 1950er Jahre mit den Träumen nach einer Weltraumeroberung geschuldet sein, die hier mit einem todbringenden Weltall konterkariert werden.

Das Stück dürfte vermutlich immer noch bekannt sein, das Setting ist die Auseinandersetzung der beiden Atommächte im Kalten Krieg, der Physiker Möbius gibt vor, verrückt zu sein, weil der sowohl die Gravitationstheorie als auch die allgemeine Feldtheorie ausgearbeitet hat, und diese Grundlagenforschungen würden der Menschheit ermöglichen, Waffen von ungeahnter Stärke zu produzieren. Er wird in ein Schweizer Luxusirrenhaus gesteckt (seine Frau zahlt) und zwei Geheimdienstler (Ost und West) folgen ihm nach. Drei Krankenschwestern werden von ihnen ermordet, weil sie entweder ihre Geheimdiensttätigkeit aufgedeckt oder sich in Möbius verliebt haben.

Am Ende sind alle drei eingesperrt, keiner kann seine Ziele durchsetzen: Die Forschungen von Möbius sind von der Anstaltsleiterin kopiert worden, die mit diesen einen Industriekomplex aufbaut, und sie sperrt die drei ein (sie können ja nicht weg, da sie gemordet haben). Die Geheimdienstler haben keine Chance gegen sie und ihren privaten Wachdienst, und Möbius will sowieso nicht mehr weg.

Was Dürrenmatt geschrieben und in seinen Thesen zum Stück am Ende formuliert hat, kommt für mich nicht mehr ganz so rüber, wie er es intendiert hat. Die drei Physiker hätten ihre Ziele wegen eines Zufalls (der Anstaltleiterin) nicht durchsetzen können (darum verbrüdern sie sich am Schluss und bleiben im Irrenhaus), lässt sich nicht mehr so lesen. Viel stärker dringt durch, dass ein individuell Handelnder wie Möbius, aber auch Geheimdienstler der mächtigsten Imperien keine Chance gegen jemanden hat, der ein Fabriksimperium aufbaut. Das Kapital obsiegt. Dies erscheint mir aus heutiger Sicht eine sehr realistische Einschätzung, die Dürrenmatt vor gut 50 Jahren zu einem kurzen Theaterstück hat gerinnen lassen.

Fazit: Mit Abstrichen immer noch sehr lesenswert.


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25.06.2020 um 08:25
@Narrenschiffer
Ich habs vor ein paar Jahren mal gelesen. Mir hat es damals gut gefallen.


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28.06.2020 um 15:48
Roman Töppel - Kursk 1943

Toeppel-KurskOriginal anzeigen (0,2 MB)

Töppel ist freier Historiker aus München und war am Institut für Zeitgeschichte als Mitherausgeber der kommentierten Ausgabe von Hitlers Mein Kampf tätig. Schwerpunkt seiner Tätigkeit sind die Panzerschlachten des Zweiten Weltkriegs und in diesem Band (2. Auflage, 2017) setzt er sich akribisch auf Basis von zugänglichen deutschen und sowjetischen Zeitquellen mit der Schlacht um Kursk (Operation "Zitadelle", Kämpfe im Donbass, Kampf um Charkow) auseinander.

Eines seiner Ziele ist, mit verklärender Legendenbildung sowohl der sowjetischen (und immer noch russischen) Geschichtsschreibung bzw. der deutschen Seite (aufbauend auf sog. Kriegeserinnerungen) aufzuräumen. Dazu nutzt er Lageberichte, Tagebuchaufzeichnungen und andere zeitgenössische und zu den Kämpfen zeitnahe Quellen.

So entwirft Töppel zum Beispiel die These, dass Hitler nicht wegen der Landung der Alliierten auf Sizilien die Operation "Zitadelle" (die Einkesselung sowjetischer Einheiten in einer Frontausbuchtung bei Kursk) abgebrochen hat, da er Einheiten dort benötigt hätte (es wurden keine Einheiten abgezogen), sondern wegen des bevorstehenden sowjetischen Angriffs im Donbass und im Donezbecken, einer wirtschaftlich bedeutsamen Region.

Auf Hätte-Wenn-Spiele lässt Töppel sich nicht ein. So ließe es sich nicht sagen, ob bei einem Nachrücken der zweiten Linie zu Beginn die Einkesselung hätte gelingen können. Was sich aber sagen ließe, ist die technische und taktische Überlegenheit der deutschen Truppen gegenüber den sowjetischen Einheiten, und die sowjetischen Truppen hätten den Sieg in dieser sechswöchigen Schlacht mit unglaublichen Opfern errungen. Das Verlustverhältnis Wehrmacht zu Rote Armee betrug bei menschlichen wie materiellen Verlusten in etwa 1:6 (eins zu sechs!), ein Faktum, das bis heute in der russischen Geschichtsschreibung (auch auf offiziellen Druck basierend) unter den Tisch gekehrt werde. Töppels Berechnungen ergeben 1,2 Mio. Gefallene, Verwundete, Vermisste auf sowjetischer Seite und etwa 200.000 auf deutscher Seite.

Als Gründe für die enormen sowjetischen Verluste an Mann und Material listet Töppel diese:

- taktische und waffentechnische Überlegenheit der Panzer- und Luftwaffe
- optimales Zusammenspiel der Waffengattungen auf deutscher Seite
- enormer Munitionseinsatz auf deutscher Seite
- wirkungsvolle Angriffe deutscher Kampf- und Sturzkampfflugzeuge
- angreifende Einheiten erleiden grundsätzlich höhere Verluste als verteidigende, da offen agierend
- Aufsplitterung und Verheizung sowjetischer Einheiten durch fehlerhafte Befehle
- Angriffe auf die stärksten Stellungen der deutschen Front
- Verluste spielten für viele sowjetischen Armeeführer keine Rolle
- mangelhafte Ausbildung der sowjetischen Soldaten und Kommandeure

Was von den Soldaten auf beiden Seiten abverlangt wurde, zeigen zwei Belege, dass sowohl die deutsche als auch die sowjetische Seite Einheiten mit gezogenen Waffen zum Angriff trieben. Von einer deutschen Einheit ist in einem Frontbericht überliefert, dass nach drei Tagen Schlacht selbst unter Tötungsandrohung die Soldaten so apathisch waren, dass sie nicht mehr in den Kampf ziehen konnten.

Die deutschen Kriegsziele der Operation "Zitadelle", die allesamt nicht erreicht wurden, formuliert Töppel auf Basis des Tagebuchs und der Handakten von General Manstein wie folgt:

- Durchbrechung des sowjetischen Stellungssystems und Einkesselung der Roten Armee bei Kursk
- Liquidierung des Kursker Frontbogens und Frontverkürzung
- Psychologische Wirkung auf Verbündete wie Kriegsgegner
- Gefangene sowjetische Soldaten als Zwangsarbeiter (Arbeitskräftemangel in D) - nur 40.000 Gefangene
- Brechung der sowjetischen Offensivkraft

Die Folge war, dass für die deutsche Armee die Sommerkämpfe von 1943 eine verheerende Auswirkung auf die Kampfkraft gehabt hätten. Die horrenden Verluste waren für die Sowjetunion aufgrund der hohen Bevölkerungszahl leichter zu verkraften und im gesamten Kriegszenario hatten die Alliierten ein Vielfaches an Ressourcen im Vergleich zu den Kriegsgegnern. Alleine auf sowjetischem Gebiet verlor die Wehrmacht von Juli bis Oktober 1943 etwa 911.000 Mann, von denen nur 422.000 ersetzt werden konnten.

Psychologisch demotivierend war, dass Hitler selbst vor Beginn der Offensive die Sommerschlachten als Entscheidungsschlachten hochstilisiert hatte. Nach Verlust dieser Schlachten war auch das psychologische Momentum draußen. Major Markus von Busse hielt Mitte August 1943 in einem geheimen Frontbericht an den Generalstab fest: "Das Vertrauen in die Führung droht erschüttert zu werden. Der Angriff Zitadelle sollte die Entscheidung bringen - es folgten anschließend die schweren Kämpfe mit Rückzug. Es fehlt den Führern laufend eine Orientierung, da sie bei dem jetzigen Zustand die zahlreichen Fragen des Soldaten nicht beantworten können."

Die Sommerschlachten leiteten den deutschen Rückzug ein und Hitler verlegte im Herbst den strategischen Schwerpunkt in den Westen, um den Alliierten bei Landung in Frankreich eine schwere Niederlage beizubringen.


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28.06.2020 um 17:36
zkrogxovlpfi BaumderErkenntnisOriginal anzeigen (0,2 MB)

Weil diese Lektüre immer wieder lohnt: Zum x-ten Mal der Klassiker, der den Fragen nach dem Wesen von Erkenntnis, Bewusstsein und Sprache nachgeht und das komplexe Wechselspiel zwischen kognitivem System und seiner Umwelt behandelt.

Bei Maturanas und Varelas biologischen Erläuterungen uralter philosophischer Fragen ist es zudem auch interessant, sich selbst als Leser im Spiegel der Zeit zu betrachten - wie sich da eine leicht abgeänderte eigene Lesart im Abstand der Jahre zeigt.

Wie gesagt: Dieses Buch lohnt.


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28.06.2020 um 23:03
Peter Altenberg - Ashantee

Altenberg-AshanteeOriginal anzeigen (0,3 MB)

Eines der eigentümlichsten Werke des Wiener "Kaffeehausliteraten" Peter Altenberg. 1896 wurden Mitglieder des westafrikanischen Stammes der Aschanti im damaligen privaten Wiener "Tiergarten am Schüttel" auf einer Art Europatournee ausgestellt (zuvor waren sie in Budapest), indem sie sich nackt dem Publikum zeigen und Gebräuche vorführen mussten. Außerhalb der Ausstellungszeiten gab es Kontakte zur Wiener Bevölkerung, so freundete sich auch Altenberg mit einigen von ihnen an, die er fast täglich besuchte. Auch begann er ihre Sprache in Grundzügen zu erlernen.

In diesem Text, der aus kurzen Prosaskizzen besteht, wird eine Welt geschildert, die einem heutzutage nicht nur fremd ist, sondern skurril. Einerseits kritisiert Altenberg das Wiener "Publikum" (vor allem die bürgerliche Welt), da sie diese Menschen wie Tiere begaffen, andererseits ist für ihn die Welt der Aschanti eine Art menschliches wie auch erotisches Paradies, das jedoch nicht frei von Makeln ist. So peitscht der Häuptling Frauen, die sich weigern sich dem Publikum zu zeigen, mit einem Ochsenziemer ("Wofür zahlen die weissen Menschen?! Es ist unsere Pflicht."), andererseits wird dem Tiergartendirektor am Ende der "Ausstellung" ein junges Mädchen angeboten, was dieser jedoch ausschlägt.

Nicht nur dass ich bis heute nichts von dieser "Ausstellung" wusste, dieser Text ist - wie soll ich sagen - verstörend.

Online als PDF zu lesen:
https://www.ngiyaw-ebooks.org/ngiyaw/altenberg/ashantee/ashantee.pdf (Archiv-Version vom 29.07.2021)

Ganz vergessen ist diese Ausstellung nicht, so sah zum Beispiel eine Postkarte dazu aus:

Aschanti-Ausstellung-PostkarteOriginal anzeigen (0,2 MB)

Der zugehörige Artikel in der Tageszeitung Die Presse aus 2016:
https://www.diepresse.com/5068546/der-menschenzoo-im-wiener-tiergarten

Hier eine zeitgenössische Darstellung der Aschantihütte im Wiener Prater:

altenberg-3-ashantiOriginal anzeigen (0,5 MB)

In Kleidung wurden sie so präsentiert:

46-72653956Original anzeigen (0,2 MB)

So sah eine Zeitungsannonce aus:

aschantiinderwz

Dass dies keine einmalige Veranstaltung war, sondern immer wieder "Exoten" im Schauangebot waren, zeigt dieser interessante Artikel in der Wiener Zeitung:
https://www.wienerzeitung.at/_wzo_daten/media/Storytelling/prater/menschenzoos.html

Über diese über Jahre hinweg veranstalteten Menschenschauen und die Ambivalenz Altenbergs wird in diesem Artikel geschrieben:
https://www.derstandard.at/story/2000112892336/vorgefuehrt-und-ausgestellt-im-menschenzoo

Aber auch das österreichische Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten erinnert an diese unsägliche rassistische Zurschaustellung:
https://www.bmeia.gv.at/oesterreich-bibliotheken/kaffeehaus-feuilleton/detail/article/der-koenig-von-aschanti-und-sein-dorf/

Dass es eine vierjährige "Aschanti-Tour" in Europa gab, zeigt diese Fotodokumentation:
https://humanzoos.net/?page_id=2969

Dass Altenbergs Buch 1897 vor der nächsten Aschanti-Schau mehr oder weniger als Werbung veröffentlicht wurde, wird in diesem Artikel erwähnt:
https://oe1.orf.at/artikel/653713/Der-Chronist-des-Aschanti-Fiebers

Weitere Bildquellen:
https://kurier.at/kultur/belvedere-suche-nach-klimts-haeuptling-der-aschanti/152.471.545
http://www.johannesgelich.com/wp/das-ashanti-fieber-peter-altenberg-und-die-wiener-voelkerschau-1896/


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30.06.2020 um 08:53
th

Mittlerweile mein dritter Roman von Joe R. Lansdale. Den ersten hatte ich mal rezensiert (Dunkle Gewässer, quasi eine Variation von Stephen Kings „Stand by me“ nur spannender), der zweite war eine Verwechselung (da habe ich ihn mit Donald Ray Pollok verwechselt) und nun wieder mit voller Absicht der dritte Lansdale: Ein feiner dunkler Riss.
Der dreizehnjährige Stanley lebt in einer typischen amerikanischen Kleinstadt, sein Vater ist Besitzer des lokalen Autokinos. Es ist heiß und es sind Sommerferien, also nicht viel zu tun. Eines Tages entdeckt er im Wald unweit ihres Hauses, die Ruine eines abgebrannten Hauses. Seine Recherchen ergeben, dass dort ein junges Mädchen gestorben ist und an der nahe gelegenen Bahnlinie hat man in derselben Nacht ein weiteres totes Mädchen entdeckt. Zusammen mit dem schwarzen Filmvorführer Buster versucht er diese Morde aufzuklären. In den vermeintlichen Nebenhandlungen geht es um die schwarze Haushälterin von Stanleys Familie, die vor ihrem gewalttätigen Mann geflohen ist und um den besten Freund von Stanley, der vor seinem gewalttätigen Vater flieht. Lansdale hat hier Unterhaltung auf hohem Niveau abgeliefert. Spannend und unterhaltsam geschrieben, gibt es hier keine Längen zu überstehen, die Nebenhandlungen werden geschickt mit dem Mordfall verwoben und die sozialen Beziehungen der Schwarzen und Weißen, der Reichen und der Armen präzise ausgelotet (die Geschichte spielt in den 50er Jahren im Süden der USA). Und das Ende ein unerwarteter Schock. Ich bin jetzt Lansdale Fan.


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