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7.342 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

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24.10.2019 um 21:26
@Funkystreet

Hoffmann ist so großartig! Danke. Das öde Haus habe ich noch nicht gelesen, wird wohl an der Zeit, es zu tun.


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25.10.2019 um 15:14
@Funkystreet
Hoffmann ist großartig.

Ernst Jünger: Afrikanische Spiele

Mal was ganz anderes als seine Kriegstagebücher. Hier gibt es eine klassische und teilweise sehr humorvolle Abenteuergeschichte. Der Protagonist träumt sich während öder Schulstunden lieber nach Afrika, zu Abenteuern, wilden Tieren und und und. Leider kommt in sein Dorf aber nie jemand, der ihm KO Tropfen ins Getränk kippt und ihn heimlich in die Fremdenlegion entführt, denn die reisen immer nach Afrika. Was also tun? Mit der Klassenkasse durchbrennen, Rucksack, Pfeife und Salami kaufen und ab gen Afrika.. dummerweise reicht das Geld nur für ein Zugticket an die Mosel... und so richtig schäbige Räuberhöhlenspelunken wollen auch erstmal gefunden werden... und überhaupt, wie kommt man überhaupt zur Legion und schleicht sich in Afrika dort wieder weg? Und überhaupt, was wird der Papa dazu sagen?


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25.10.2019 um 15:28
William Hope Hodgson: The House on the Borderland

Hope Hodgson gehört fraglos zu den Meistern der unheimlichen Literatur, Lovecraft war ein grosser Fan seiner Werke. In diesem Buch geht es um ein altes Haus in Irland, das zum Spielball seltsamer Kräfte wird und die Handlung erstreckt sich für den Protagonisten nicht nur durch Zeit und Raum, sondern weit über jede Grenze hinweg.
"Würde dieses Buch nicht einige wenige Elemente gewöhnlicher Sentimentalität aufweisen, wäre es ein Klassiker von höchster Güte" (H.P. Lovecraft)
Und für die Metalfans...die Funeral Doom Band AHAB schrieb einst ein Konzeptwerk über Hodgsons "Boats of Glen Carrig"


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27.10.2019 um 14:38
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb am 07.10.2019:Auch das Alter von Isolde passt nicht ganz, da sie eine erfahrene Heilzauberin ist, die den jungen Tristan von einer vergifteten Wunde heilt. Aber da scheinen - auch wie bei der Liebesgrotte und den Riesen - ältere Geschichten einzufließen. Ihre Mutter ist definitiv zauberkundig, sie mischt auch den Liebestrank, den Tristan und Isolde bei einer Landung auf einer Insel zwischen Irland und Cornwall versehentlich trinken.
Die Sache mit dem Liebestrank und der Verwechslung ist ziemlich interessant

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Inoue - der Sturm


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Der Roman beruht auf einer wahren Begebenheit: im 18 Jhrh. stranden japanische Seeleute an der russischen, sibirischen Küste
und müssen dort in der Einöde ein deprimierendes Leben viele Jahre führen, bis sie endlich nach Japan zurückfahren können.

Bemerkenswert an dem Buch ist, das es zwar um Darstellung von Tristesse geht, das Buch selbst ist aber überhaupt nicht trist


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27.10.2019 um 14:46
@parabol

Hört sich einnehmend an. :note:


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27.10.2019 um 15:26
Zitat von FlamingOFlamingO schrieb:Hört sich einnehmend an.
Vom Stil her ist das Buch realistisch und ziemlich lakonisch


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27.10.2019 um 15:33
Zitat von parabolparabol schrieb:realistisch und ziemlich lakonisch
Solche Erzählformen haben durchaus etwas. Das Buch "Roman eines Schicksallosen" kann man auch so bezeichnen. Aber es hat natürlich ein ganz anderes Thema zum Inhalt.


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27.10.2019 um 15:42
Zitat von FlamingOFlamingO schrieb:Solche Erzählformen haben durchaus etwas. Das Buch "Roman eines Schicksallosen" kann man auch so bezeichnen.
Viele Ereignisse in der Realität sind schon schrecklich genug. Da ist eine sachliche Erzälweise
durchaus angemessen.


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28.10.2019 um 11:46
Christian Kracht: Imperium

Ein deutscher Aussteiger und Vegetarier zur Kaiserzeit, wandert nach Neuguinea aus und erklärt dort die Kokosnuss zur heiligen Frucht.. und dieser Kokovorismus muss selbstverständlich missionarisch in die Welt getragen werden. Großartig geschrieben, beissend satirisch und mitunter bitterböse.


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28.10.2019 um 11:59
Und als Kontrastprogramm
Dayal Patterson: The cult never dies

Die Fortsetzung seines Buchs zum Thema Black Metal beleuchtet weniger die allseits bekannten, norwegischen Geschichten der frühen 90er, sondern beleuchtet die Zeit danach. Was ist geblieben vom einstigen Kult? Wie verlief die Entwicklung in Ländern wie Finnland, Polen etc? Ein eigenes Kapitel zum Thema DSBM...
Dazu eine Menge Interviews mit Künstlern, zum Teil auch welche, die sich in der Öffentlichkeit sonst eher selten bis gar nicht äußern.. Bethlehem, Silencer (!!), Skitliv, Beherit, Mgla, Mayhem, Gorgoroth/Wardruna, Strid (!!), Kampfar... uva.


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28.10.2019 um 13:21
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28.10.2019 um 22:41
Achim Landwehr - Geburt der Gegenwart

Landwehr

Der in Düsseldorf lehrende Historiker Achim Landwehr hat die Absicht, in diesem Werk zu zeigen, dass im 17. Jahrhundert ein neuer Zeitbegriff emergierte, sprich: ohne planendes Zutun entstand. Die alte, auf biblische Vorstellungen basierende Ansicht, dass die Welt auf eine Endzeit zusteuere bzw. erst einige Jahrtausende alt sei, wird abgelöst duch einen Bedeutungszuwachs des Gegenwärtigen.

Es sei eine Zeitschaft entstanden, ein an dem Begriff Landschaft angelehnter Neologismus. Auch sei Zeit nicht nur gemessen worden (mit Kalendern und Uhren), sondern ein Zeitregime entstanden: die Gesellschaft beginnt sich anhand von Zeit zu organisieren. Zeit wird zum Machtfaktor und zum Faktor der Unterwerfung in ein Organisationskorsett, beides bis zum heutigen Tag aktuell.

Die Beispiele der beginnenden Dominanz des Jetzt sind aus vielen Bereichen gesammelt:

- Kalender enthalten immer mehr freien Schreibraum, um eine die eigene Zeit zu planen (Terminkalender!)
- Uhren werden immer genauer, erobern Städte, Dörfer und schließlich Individuen
- Das Zeitungswesen entsteht, das periodisch und schließlich täglich über Neuigkeiten informiert
- Die Kleidung wird modisch und damit unbeständig, alte Kleiderordnungen werden obsolet und hinfällig
- In den Naturwissenschaften wird Zeit definiert (Newton)
- Kalendersysteme werden vereinheitlicht und der Gregorianische Kalender setzt sich durch

Diese "Geburt der Gegenwart" weist aber auch nach vorne, die Gestaltbarkeit und Planung der Zukunft beginnt sich zu zeigen, ein konstituierendes Element der Moderne, das sich im 18. Jahrhundert durchsetzen wird:

- In "Projekten" wird Neues entworfen, oft unbrauchbar, dass sogar von "Projektmacherei" als Betrug gewarnt wird
- Die Pest wird besiegt, da die Kontagiosität erkannt wird, Schutzmaßnahmen werden ergriffen
- Körperliche Strafen werden abgelöst durch Zeitstrafen: es etwickelt sich das Gefängnissystem

Interessant und zum Teil sogar vergnüglich zu lesen, fehlt mir eigentlich nur eine Antwort auf die Frage, warum dieser Perspektivenwechsel im 17. Jahrhundert begann. Implizit wird auf die Notwendigkeit fester Abläufe in der Landwirtschaft verwiesen, aber ein Zusammenhang mit städtischen Lebensweisen wird nicht formuliert, obwohl dieser für mich offensichtlich wäre.

Infolinks im Spoiler

Verlagsinfo:
https://www.fischerverlage.de/buch/geburt_der_gegenwart/9783100448187

Interview:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/zeit-unser-juengstes-gericht-ist-selbst-gemacht.954.de.html?dram:article_id=281466

Rezensionen:
https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-geburt-der-gegenwart/1313380
https://www.koellerer.net/2014/10/12/achim-landwehr-geburt-der-gegenwart-eine-geschichte-der-zeit-im-17-jahrhundert/
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/apokalypse-spaeter-wie-das-17-jahrhundert-die-gegenwart-entdeckte-12970185-p2.html
https://www.deutschlandfunk.de/kalenderwandel-spannende-geschichte-uebers-zeitempfinden.1310.de.html?dram:article_id=285211
http://kult-online.uni-giessen.de/archiv/2015/ausgabe-41/rezensionen/das-jetzt-entdecken-annaeherungen-an-zeitmodelle-des-17-jahrhunderts




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29.10.2019 um 17:57
Johann Wolfgang Goethe - Iphigenie auf Tauris

Iphigenie

Dieses Schauspiel aus 1787 ist wohl das "klassischte", das Goethe je verfasst hat. Ein Ort (vor dem Diana-Tempel auf Tauris, hier von Skythen bewohnt, in der griechischen Mythologie auf der Krim), ein Tag, eine einzige Handlung, Blankverse (fünfhebige Jamben ohne Reim), Fünf-Akt-Struktur aus dem Lehrbuch.

Aber nicht nur dies, sondern Goethe formuliert sein Humanitätsideal: das Wort (weiblich) ist stärker als das Schwert (männlich). Wobei das Gewaltprinzip nicht ausschließlich männlich ist, sondern Iphigenie als (mehr oder weniger gezwungene) Priesterin Diana hat die Menschenopfer abgeschafft: jeder auf Tauris landende Fremde musste geopfert werden.

Der Skythen-König Thoas hat sich von Iphigenie überzeugen lassen, den Opferbrauch zu beenden, nicht zuletzt wohl auch wegen des Wunsches, Iphigenie zu ehelichen.

Der Kern der Handlung ist, dass ihr Bruder Orest (Mörder seiner Mutter Klytemnästra, die wiederum seinen Vater Agamemnon nach Rückkehr vom Trojanischen Krieg von ihrem Liebhaber meucheln ließ) Diana zurück nach Delphi führen muss, um vom Fluch der Furien befreit zu werden. Thoas führt, nach Iphigenies Weigerung ihn zu ehelichen das alte Gesetz der Fremdenopferung wieder ein, doch durch Bekenntnis der Wahrheit und die Macht des Wortes gelingt es Iphigenie, den König mild zu stimmen und ihnen mit seinem Segen die Abreise zu gestatten.

Goethe hat sehr viel von seinen Überzeugungen in dieses Stück gepackt, nicht nur dass das Wort stärker zu sein hat als Gewalt (sei es im Privaten, sei es im Politiischen).

Es sind aber auch ganz kleine Passagen, welche zu Tiefenbohrungen. So konstatiert Iphigenie, dass es das unmenschliche Verlangen eines Herrschenden ist, welches die Mitläufer zu Gewalttaten aufstachelt, sie erst zu willigen Henkern und Mördern macht (5. Aufzug, 3. Auftritt):
Ein König, der Unmenschliches verlangt,
Find't Diener g'nug, die gegen Gnad' und Lohn
Den halben Fluch der That begierig fassen;
Das hat wohl Gültigkeit bis heute in Terrorstaaten.

Oder die beiläufige Bemerkung von Pylades, dem Jugendfreund Orests, dass Kinder nicht für die Taten ihrer Vorfahren bestraft werden sollen (2. Aufzug, 1. Auftritt):
Die Götter rächen
Der Väter Missethat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner That hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
Wie lange hat es gebraucht, um Sippenhaftung aus den Gesetzbüchern zu tilgen. Und das noch immer nicht in allen Staaten!

Keine Ahnung, ob das Stück noch an Schulen gelesen wird, aber es bietet nicht nur Stoff, um über Theaterformen zu reden, sondern es sind ethische "Hooks" in diesem Werk, die aber sowas noch von aktuell sind! Nicht nur der Macho-King mit seiner Ho ;)

Online unter anderem hier: http://www.gutenberg.org/ebooks/2054 (Archiv-Version vom 09.09.2019)


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29.10.2019 um 18:14
Leben ohne Illusionen: Reden in Saanen 1980
EAN: 9783895750571
von: Jiddu Krishnamurti
Bildschirmfoto 2019-10-29 18-12-42


"Der Grund-Irrtum der Menschheit (daraus entsteht alles menschengemachte Leiden):
"ich denke" ist falsch, weil das denken das ich erzeugt, eine illusion.
diese illusion erzeugt angst, daraus entsteht hass trennung usw...
wenn genug menschen das erkennen, ensteht mitgefühl weltfrieden, eine
neue gesellschaft und miteinander."
frei nach j. krishnamurt


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31.10.2019 um 22:21
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Johann Wolfgang Goethe - Iphigenie auf Tauris
Manmanman... du führst dir Sachen zu! ich hab das mal als Theater-Stück gesehen und musste mich da schon zwingen durchzuhalten.

Danke übrigens für deine Pfaueninsel-Kritik, die hat dazu geführt, dass das Buch auf jeden Fall nicht auf dem Stapel landen wird. Aber ich bin ganz sicher: zurecht. :)


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31.10.2019 um 22:25
Zitat von cesarecesare schrieb:Manmanman... du führst dir Sachen zu
Ich mag das wirklich :D


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31.10.2019 um 22:49
Zitat von cesarecesare schrieb:Danke übrigens für deine Pfaueninsel-Kritik, die hat dazu geführt, dass das Buch auf jeden Fall nicht auf dem Stapel landen wird. Aber ich bin ganz sicher: zurecht.
Ist ganz nett das Buch und motiviert vielleicht zum Besuch der Pfaueninsel (hatte ich nie im Radar bei meinen Berlin-Besuchen), aber es zieht sich extrem und die Figuren bleiben einfach nur flach. Dazu kommen dann die sexuellen Explosionen, die sich aber mehr wie ein Porno lesen und die Grenzsituationen, die vermutlich ausgelotet werden wollten, einfach nicht einfangen. Idee super, Ausführung mau, sprachliche Qualität hoch.


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31.10.2019 um 23:11
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Ist ganz nett das Buch und motiviert vielleicht zum Besuch der Pfaueninsel (hatte ich nie im Radar bei meinen Berlin-Besuchen)
Dann lass dir noch Zeit damit, das Schloss selber wird gerade saniert und ist bis auf weiteres geschlossen. Das wird noch ewig dauern, fürchte ich.


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04.11.2019 um 23:24
Peter Hammerschmidt - Deckname Adler

Hammerschmidt

Ein junger Historiker legte 2014 eine Dissertation über Klaus Barbie und sein Verhältnis zu Nachkriegsgeheimdiensten vor, dass einem vor Bewunderung nur eines bleibt: sich ganz tief zu verbeugen.

Hammerschmidt beschränkte sich als ca. 25-Jähriger nicht darauf, die vorhandenen Quellen auszuwerten, sondern er setzte in mehreren Ländern alles in Gang, auch juristische Schritte, um an bislang verschlossene Archivquellen zu gelangen:

In Deutschland nutzte er Gerichte, das Bundeskanzleramt, das Innenministerium, das Parlament, um an Akten zu gelagen, die ihm der BND ursprünglich verweigert hat. In den USA wurde ihm nach FOIA-Anfragen der Zugang zu CIA-Akten gewährt. In der Schweiz mussten ihm nach einem Gerichtsurteil Akten über Finanzflüsse neonazistischer Organisationen geöffnet werden. Und ein besonderer Coup: Frankreich verweigerte ihm Einsicht in verschlossene Zeugenaussagen zum Barbie-Prozess (Persönlichkeitsschutz), doch in einem US-Archiv gibt es Kopien, und diese wurden ihm geöffnet. Und nicht zuletzt: Hammerschmidt ist der erste Historiker, der die von Barbie in Haft geschriebenen Memoiren nutzen durfte.

Was Hammerschmidt gelang, war eine akribische Aufarbeitung der Zusammenarbeit zwischen westlichen Geheimdiensten und Klaus Barbie in den USA (CIC in Deutschland nach dem Krieg, der ihn über die Rattenlinie schließlich unter dem Neunamen Klaus Altmann nach Bolivien entkommen ließ), in Deutschland (der BND hatte Altmann als Informanten auf der Bezahlliste, und die Akten führen zu dem Schluss, dass die wahre Identität Altmanns bekannt sein musste), in Bolivien (Altmann verschwieg nie seine SS-Vergangenheit und seine nationalsozialistische Überzeugung, er war Logistik- und Verhörberater der bolivianischen Geheimdienste sowie des bolivianischen Militärs, mit verantwortlich für brutalstes Vorgehen gegen Oppositionelle, Mitplaner am Militärputsch von 1980).

In Bolivien begann Altmann/Barbie zunächst im Holzgewerbe und wurde mit Chinarindenexport an Böhringer Mannheim zur Chininherstellung wohlhabend, öffnete sich die Türen ins Rechtsaußen-Politesteblishment Boliviens und Südamerikas, gründete unter dem Namen einer Tarnfirma "La Estrella" ein Netzwerk hochrangiger SS-ler in Bolivien, Paraguay, Argentinien und Chile, das auch im Waffenhandel involviert war (mit der deutschen MEREX des Ex-SSlers und Kriegsverbrechers Gerhard Mertin, über den der durch Gehlen auch von Nazis dominierte BND Waffengeschäfte abwickelte, um die Sowjetunion aus dem Geschäft zu drängen, und auch mit österreichischen Firmen wie die Waffenfirma Hinterberger über den ultrarechten Generaldirektor Herbert Hadwiger und Steyr-Puch, die über Altmanns Freund und Steyr-Prokuristen Richard Brodnik Radpanzer lieferte, die beim 1980-Putsch eingesetzt wurden).

Offen bleibt, ob über die von Barbie mit gegründete bolivianische Handelsflotte auch Waffenlieferungen aus den USA erfolgten. Besuche in die USA sind belegt, die Akten geben aber keinen endgültigen Aufschluss.

Nach Abdankung der Militärdiktatur 1982 und Errichtung einer konstitutionellen Demokratie ging es mit der Auslieferung Barbies an Frankreich relativ schnell. Relativ. Die bolivianische Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt, da er mit falschem Namen und daher illegitim in Bolivien lebte. In Deutschland schaffte Kohl es, eine Auslieferung nach Deutschland zu verhindern (Barbie wusste zu viel über Ex-Nazis in wichtigen Schaltstellen), Mitterand schließlich war geneigt, Barbie ins Land zu holen (er wurde bereits 1954 in Abwesenheit zum Tode verurteilt) und ihm einen Prozess unter Anklage wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu stellen. Barbie wurde in Bolivien inhaftiert, per Flugzeug nach Französisch-Guyana und von dort nach Frankreich transportiert.

Im Prozess in Frankreich wurde Barbie schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch das ist kein Endpunkt, sondern auch der Prozess in Frankreich ist mit Unglaublichkeiten gespickt. Der Schweizer Bankier Francis Genoud, tätig unter anderem als NS-Fluchthelfer, Nachlassverwalter Bormanns, Rechtebesitzer der Goebbels-Tagebücher, Finanzier des Eichmann-Anwalts, Förderer palästinensischen Terrorismus, Vertrauter und Finanzier des Terroristen Ilich Ramírez Sánchez (Carlos der Schakal), bezahlte den französischen Staranwalt Jacques Verges, dessen Karriere mehr als illuster ist (Verteidiger von afrikanischen Diktatoren, später auch Carlos und schließlich Milosevic) und über dessen Zeit zwischen 1970 und 1978 nichts bekannt ist, außer dass er zu Terrororganisationen und den Roten Khmer Kontakt gehabt haben soll und bei Letzteren in Kambodscha gelebt haben soll.

Aber zurück zum Barbie-Prozess. Akte des MfS der DDR bringen Unglaubliches zutage. Mit Hilfe des vom MfS vermittelten rumänischen Geheimdienstes sollen Verges und Carlos (der von der DDR geschützt war) eine Entführung von Barbie organisieren und ihn nach Syrien (damals sehr sowjetfreundlich) bringen, wo er von einem in Syrien lebenden Dr. Georg Fischer in Empfang genommen werden soll. Fischer war niemand anders als Alois Brunner, Eichmanns engster Mitarbeiter (Logistiker) des Holocausts. Brunner hatte engste Verbindungen zum Assad-Clan.

Diese Aktion wurde nicht in die Tat umgesetzt.

Damit endet dieses furiose Buch (etwa 2000 Fußnoten!), und ich möchte noch anmerken, dass Hammerschmidt auch noch Akten über die Stay-Behind-Organisationen der USA (bekannt unter "Gladio") Akten ausgehoben hat und dieser Abschnitt des Buches hochinteressant ist und sich das Bild ergibt, dass nicht die USA sich an Ex-SSlern bedienten, sondern umgekehrt, diese bedienten sich an den von den USA sich ergebenden Möglichkeiten (Geld, Waffen).

Die Ur-Version dieses Buches, Hammerschmidts Dissertation, stellt die Universität Mainz übrigens frei als PDF zur Verfügung, siehe in den nun folgenden Infolinks im

Spoiler
Die Dissertation:
https://publications.ub.uni-mainz.de/theses/volltexte/2014/3815/pdf/3815.pdf

Verlagsinfo:
https://www.fischerverlage.de/buch/deckname_adler/9783100296108

Medienecho im Vorfeld der Dissertation:
https://taz.de/BND-bezahlte-Gestapo-Mann/!5127065/
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-02/bnd-historiker-kommission/komplettansicht
https://www.mdr.de/zeitreise/stoebern/damals/bnd-klaus-barbie100.html
http://hu-marburg.de/2011/10/27/massenmoerder-als-geheimagent-des-bnd-peter-hammerschmidts-forschungen-ueber-klaus-barbie/
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-historiker-kaempft-um-die-geheimakte-klaus-barbie.954.de.html?dram:article_id=146982
https://www.dw.com/de/nachkriegskarriere-des-schlächters-von-lyon/a-16564666

Interviews:
https://www.heise.de/tp/features/Ausgepraegte-antikommunistische-Haltung-3388316.html
https://www.heise.de/tp/features/Aufarbeitung-der-braunen-Vergangenheit-ist-laengst-ueberfaellig-3388320.html
https://www.untergrund-blättle.ch/audio/521090/klaus_barbie_in_diensten_von_bnd_und_ciccia_ein_gespraech_mit_peter_hammerschmidt.html

Rezensionen:
https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/peter-hammerschmidt-deckname-adler-moral-kann-sich-ein-dienst-kaum-leisten-13192597.html
https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-21636
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=22975&view=pdf&pn=rezensionen&type=rezbuecher
http://www.sehepunkte.de/2015/07/26495.html
https://www.h-net.org/reviews/showpdf.php?id=43746
https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/barbies-netzwerk/
https://www.deutschlandfunk.de/nachkriegsgeschichte-der-schlaechter-von-lyon.1310.de.html?dram:article_id=296997
https://taz.de/!285885/
https://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/nationalsozialismus/tv-doku-ueber-den-schlaechter-von-lyon-keine-reue-bis-zuletzt_id_4925039.html




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05.11.2019 um 22:44
Franz Grillparzer - Der arme Spielmann

Spielmann

Diese Novelle wurde 1848 veröffentlicht und hat als Hauptfigur einen 70-jährigen bettelnden Wiener Straßengeiger namens Jakob, dessen Lebensgeschichte von einem Mann erzählt wird, der ihn bei einem Kirchtag zu interessieren beginnt, da er eigentlich der Geige nur Kratztöne entlockt, jedoch in seinem Kopf die Musik alter Meister zu hören denkt.

Der Spielmann lebt im Dachgeschoß eines kleinen Häuschens im damaligen Wiener Vorort Brigittenau in Donaunähe und teilt mit zwei Handwerkern eine Dachkammer, deren Wohnbereiche durch einen Kreidestrich abgetrennt ist. Hervorgehoben wird die Sauberkeit des Alten (Kleidung wie Wohnraum) im Vergleich zu dem verdreckten Teil des Zimmers, den die Handwerker bewohnen.

Das Besondere an dieser Erzählung ist, dass ein herzensguter, aber lebensunfähiger, zauderlicher, nachdenklicher und ins Innere gekehrter Mensch im Mittelpunkt steht, dessen Lebensweg ihn aus einer behüteten Familie direkt ins Elend führt. Sein Vater ist hochrangiger und einflussreicher Ministerialbeamter, seine beiden Brüder rüde, so wird er auf Grund seines nach Innen gekehrten Charakters immer ängstlicher und von Versagensängsten geplagt, die sich schließlich erfüllen: er versagt bei einer Schulprüfung, zu der ihm die Fragen gesteckt sind, und als Schreiber im Ministerium gilt er als faul, da er immer wieder lange darüber brütet, ob er offensichtliche Fehler im Konzept stillschweigend ausbessern darf oder nicht.

Trost findet er in der Gesangsstimme Barbaras, einer sehr rabiat auftretenden Tochter eines Kuchenbäckers in Wohnnähe, der er sich ungeschickt annähert und in deren Geschäft er aushilft, nur um in ihrer Nähe zu sein. Die Ablehnung des Vaters ändert sich zweimal: Als er erfährt, wer der Vater ist, wird er unterwürfig, und nach dem Tod des Vaters will er seine Tochter mit ihm verkuppeln. Der Grund: die Erbschaft von 11.000 Gulden (heutzutage mit einem Kaufwert von etwa 150.000 Euro). Barbara äußert Jakob gegenüber sehr präzise, was dieser Betrag bedeutet: "Das ist viel und wenig, erwiderte sie. Viel, um etwas damit anzufangen; wenig, um vom Breiten zu zehren."

In seiner Naivität vertraut Jakob das Geld dem ehemaligen Sekretär seines Vaters an, um ein Schreibkontor zu eröffnen. Dieser brennt jedoch mit dem Geld durch, und Jakob hat keinerlei Quittungen. Er ist mittellos und ohne Familie: seine Eltern und sein jüngerer Bruder sind tot, sein älterer Bruder nach einem Schlaganfall schwerst behindert. Der Vater Barbaras wirft ihn raus, und Barbara heiratet einen Metzger. Für Jakob beginnt das Leben als bettelnder Straßenmusikant.

Die Novelle endet mit einem schweren Hochwasser in Wien (nachgebildet dem Eisstoß von 1930, der zu Überflutungen in der Brigittenau und der Leopoldstadt führte). Der alte Mann rettet Kinder aus den Fluten und für einen Nachbarn auch noch dessen Wertsachen aus einem Wandtresor. Dadurch erkrankt er schwer (wohl an Lungenentzündung) und verstirbt.

Der Erzähler besucht die Familie Barbaras, die zwei Kinder hat und auch schon eine ältere Dame ist, und würde ihr die Geige Jakobs abkaufen, was sie unter Tränen verweigert.

Die Novelle habe ich seit Jahrzehnten nicht mehr gelesen, aber in ihrer Qualität übersteigt sie meine Erinnerungen. Es ist weniger das psychologische Intersesse, das Grillparzer hat, sondern die Schilderung einer Stadt, in der nicht nur Menschen, die nicht in der Lage sind, den Arbeitsmarkt zu bedienen, praktisch mittellos sind und unter elenden Bedingungen um ihr Überleben kämpfen, sondern auch Handwerker, die beruflich tätig sind: die zweite Hälfte des Zimmers teilen sich nämlich zwei Handwerksburschen.

Bekannt ist auch, dass nach dem Hochwasser von 1830 eine Cholera-Epidemie Wien heimsuchte. Bei den von Grillparzer geschilderten Verhältnissen wundert dies eigentlich nicht:
Der Anblick der Leopoldstadt war grauenhaft. In den Straßen zerbrochene Schiffe und Gerätschaften, in den Erdgeschossen zum Teil noch stehendes Wasser und schwimmende Habe. Als ich, dem Gedränge ausweichend, an ein zugelehntes Hoftor hintrat, gab dieses nach und zeigte im Torwege eine Reihe von Leichen, offenbar behufs der amtlichen Inspektion zusammengebracht und hingelegt; ja, im Innern der Gemächer waren noch hie und da, aufrecht stehend und an die Gitterfenster angekrallt, verunglückte Bewohner zu sehen,—es fehlte eben an Zeit und Beamten, die gerichtliche Konstatierung so vieler Todesfälle vorzunehmen.
Wie Grillparzer zur Idee kam, diese Novelle zu schreiben, erläuterte er selbst so:
Ich speiste viele Jahre hindurch im Gasthause "Zum Jägerhorn" in der Spiegelgasse. Da kam häufig ein armer Geiger und spielte auf. Er zeichnete sich durch eine auffällige Sauberkeit seines ärmlichen Anzuges aus und wirkte durch seine unbeholfenen Bewegungen rührend komisch. Wenn man ihn beschenkte, dankte er jedesmal mit irgendeiner kurzen lateinischen Phrase, was auf eine genossene Schulbildung und auf einstige bessere Verhältnisse des greisen Mannes schließen ließ. Plötzlich erschien er nicht mehr, und so eine lange Zeit nicht. Da kam die große Überschwemmung im Jahre 1830. Am meisten litt die Brigittenau, wo ein berühmter Kirchtag, ein lustiges Volksfest, jeden Sommer gefeiert wurde. Ich wusste, dass der arme Geiger dort wohnte, und da er nicht mehr aufspielen kam, so glaubte ich, dass auch er unter den Menschenopfern in der Brigittenau seinen Tod gefunden habe. Ich wurde eingeladen, für ein Taschenbuch eine Novelle zu schreiben, und so versuchte ich eine solche, in welcher mein armer, guter Bekannter als Held figuriert.
Text: http://www.gutenberg.org/ebooks/8961
Grillparzerzitat: https://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/Novellen/grilparz.htm
Gulden-Euro-Kaufkraftschätzung: https://www.1133.at/document/view/id/475


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