Gedichte: Tragik
15.11.2009 um 18:58
In eine Straße bin ich eingebogen,
Die mir als letztes Ziel vor Augen stand.
Nie sah ich so brutale Vornehmheit.
Sie lag wie tot. Die Steinpaläste schwiegen.
Wär' mir ein Sperling nur vorbeigeflogen,
Wär' mir ein Kätzchen nur vorbeigehuscht,
Hätt' ein Lakai sich mir gezeigt, ein Wagen,
Ein Pferd, ein armer blinder Orgeldreher.
Nichts, nichts als eine ungeheure Strenge.
Mich fröstelte. Hier schien die Welt gestorben,
Gestorben alle Freude, alles Frohsein,
Und alles Leid? Wohnt hier ein reich Geschlecht.
Das wie uns alle einst der Tod sich holt?
Das sich vor Ekel aus dem Lärm zurück
Gezogen hat? Das nur das eine Wort
Noch kennt und denkt und spricht: Laß mich in Ruh.
Und wie ein mürrischwehrend Raunen grämelts
Durch diese Reihen: Weg mit jeder Plebs,
Kein Rührmichan, du stinkst, mach', daß du wegkommst,
Ich hab' mit deiner Armut nichts zu thun.
Grad, als ich um die Ecke mich gewandt,
Schritt um die andre mir ein Weib entgegen.
Sie trug die schwere Kiepe auf dem Rücken,
Kam aus den grünen Bergen Thüringens.
Ich rechne schnell, wo wir uns treffen müssen.
Sie biegt in jede Thür an einer Seite,
Tritt dann, denn keiner nimmt ihr etwas ab,
Nach kurzem wieder auf den Bürgersteig.
Ein Drittel sie, zwei Drittel Weges ich.
Und richtig, das Exempel hat gestimmt.
Hier, zwischen zwei Palais hineingezwängt,
Krümmt ein Rondel sich ins Gemäuer ein;
Von Marmor ist, antiker Form, die Bank,
Ein Wasser platscht aus ehernem Löwenrachen,
Akazien überragen eine Mauer.
Und hier, als hätten wir es längst beredet,
Erstreben beide wir zur Rast den Sitz,
Uns von der fürchterlichen Julihitze
Ein wenig auszuruhn im gnädigen Schatten.
Ein schmales, blasses, feines Antlitz seh' ich.
Ich helf' den vollen Korb ihr von den Schultern,
Sie dankt mir schämig, zieht ihr Taschentuch,
Und trocknet ihrer Stirn den Perlenschweiß.
Nun sag' mir, Mädel, was hat dich getrieben,
Daß du in dieser Gegend, bei den Menschen
Anklopfst, dein Wollenzeug und deine Jacken,
Dein Allerlei hier an den Mann zu bringen,
Just hier? Weißt du, wem diese Häuser eignen?
Die haben ihre Läden in der Stadt,
Und selbst die Dienerschaft ist zu erhaben,
Als daß sie dich beachtet. Sprich, wie kams?
Wies kam? Ich weiß es nicht. Ich ging und ging,
Und kreuzte diese Zeile und versucht' es.
Doch, wie du sagst, hier ist nichts zu verkaufen,
Sie wiesen mich, kopfschüttelnd, alle ab.
Wie viel denn mußt du haben, um zu leben,
Ich meine, wie viel muß der Tag dir schaffen?
Zwei Mark zum mindesten, doch wirds auch mehr.
Und darum trägst du deine Überbürde,
Und keuchst und trägst dich krumm durch diese Sonne.
Was hast du schon verdient?
Noch keinen Pfennig.
Noch keinen Pfennig?
Nein, noch keinen Pfennig.
Ja, reicher, Mädel, bin ich dann als du.
Sieh her, heut sandte mir die Post zwei Mark
Für ein Gedicht, das mich acht Wochen kostet.
Für ein Gedicht? Was bist du denn?
Ein Dichter.
Ein Dichter, was ist das?
Siehst du, so einer,
Der "In des Waldes tiefsten Gründen" schreibt,
"Wo du nicht bist, Herr Organist, da schweigen",
"O Ferdinand, wie schön bist du." Verstehst du?
Ei ja, ein Dichter also.
Kurz und gut,
Wir machen diese Stunde blauen Montag.
Sieh her, ich hab noch andres Geld bei mir.
Ich zahle dir, was dir der Tag sonst brächte,
Ich zahls dir fünfzigfach, mit hundert Mark.
Es jammert mich dein kümmerlich Gewerbe.
Doch mach' ich das dir zur Bedingung auch,
Du läßt die Kiepe in der Herberge.
Nimm eine Droschke an der nächsten Ecke,
Dann hol' ich dich nachher. Willst du? Du willst.
O Herr, ich darf, ich kann ...
Ach, weg die Flausen.
Dein rotes Tüchlein um dein schwarzes Haar,
Dein reizendes Gesicht, komm mit, komm mit,
So wie wir stehn und gehn. Und dann ans Dampfschiff
Wir fahren längs des Ufers: Wo Musik
Uns lockt, Gelächter klingt, wo Fahnen wehn,
Da steigen wir ans Land und tanzen eins.
Sieh mir ins Auge: Kann ich schlecht denn sein?
Du hast wohl gar Verdacht, daß ich als Sklavin
Nach Valparaiso dich verschachern will.
Es macht mir Freude, Freude dir zu machen.
Komm nur, wir wollen beide lustig sein.
Nur einen Tag. Und weg aus dieser Rohheit.
Ich seh' so aus, und du, ein ...
Keine Angst.
Ich bin ein Dichter. Laß die Menschen reden.
Was gehen mich die Menschen an, ihr Thun,
Ihr Hasten, Heucheln, ihre Wut, zu herrschen.
Hoch steh' ich über allem ihrem Dünkel,
Hoch über Rassenhaß und Klassenhaß,
Hoch über Kastengeist, Parteigezänk.
Und keinem bin ich Gegenrede schuldig
Als mir allein, ich bin mein eigner Herr.
Frei bin ich, frei! Ich bin ein Grandseigneur,
Der jeden seiner Wünsche stillen kann.
Glaubst du, daß ich mich erst besinne lange,
Springt in des Lebens Wüste mir ein Quell
Plötzlich zu Füßen, daß ich mich nicht bückte,
Um mich, so viel ich mag, aus ihm zu sättigen?
Du zögerst? Nein, du lächelst, das ist recht,
Du willigst ein, ich sehs. Gieb mir zum Pfande,
Hier unter diesen blühenden Akazien,
Dein Mäulchen. So. Wie hold. Und nun komm mit!