04. Juni 2013, 15:41 Uhr
Oscar Pistorius vor Gericht
Stiller Auftritt, großes Spektakel
Aus Pretoria berichtet Benjamin Dürr
Hundert Tage war es recht ruhig um Oscar Pistorius. Nun musste der Sportler zum ersten Mal wieder vor Gericht erscheinen - und sagte nur drei Worte. Der Prozessbeginn wurde vertagt, doch die öffentliche Verhandlung über seine Schuld hat längst begonnen.
Fünfzehn Minuten steht Oscar Pistorius schweigend vor dem Richter. Noch kein Urteil wurde verkündet, noch nicht einmal die Anklage wurde verlesen. Und das wird auch vorerst so bleiben: Der Prozessbeginn wurde am Dienstag auf Mitte August vertagt, weil die Ermittlungen der Polizei noch nicht abgeschlossen sind.
Doch eine Verhandlung hat längst begonnen, die ebenso über Pistorius' Zukunft entscheiden wird, wie die juristische Aufarbeitung. Sie findet in der Weltöffentlichkeit statt.
Seit Pistorius in der Nacht zum Valentinstag seine Freundin Reeva Steenkamp in seinem Haus erschoss, beschäftigt sein Fall Medien weltweit. Dass das Gericht in Pretoria im Norden von Johannesburg eine Vertagung des Prozesses verkündete, kam nicht überraschend, und trotzdem drängten Journalisten am Morgen in Saal C und tummelten sich rund um das Gebäude.
Was sie sahen, war Richter Daniel Thulare, der mit zaghafter Stimme sprach und lange Pausen zwischen den Wörtern machte. Und zur eigentlichen Sache nur wenig zu sagen hatte.
Umso mehr zur Rolle der Journalisten: Er sei besorgt über einen "Medien-Prozess", sagte Thulare, er sehe gar ein faires Verfahren gefährdet. "Die Berichterstattung darf keine negativen Auswirkungen auf das Justizsystem Südafrikas haben." Ausländische Medien rief er auf, die Regeln des Landes zu respektieren. Zeugen, Ermittlern und Beteiligten redete er ins Gewissen, Informationen mit der Staatsanwaltschaft zu teilen - und nicht mit den Medien.
Spekulationen über Pistorius' Verhalten
Thulare formulierte vorsichtig und nannte keine Namen. In seinen Worten aber klang das Entsetzen über den Sender SkyNews durch, der am Freitag Fotos vom Tatort veröffentlichte. Darauf sind Einschusslöcher in der Tür und eine blutverschmierte Toilette zu sehen.
Der kritisierte Scoop beendete eine Phase relativer Ruhe um Oscar Pistorius. Nachdem er Ende Februar auf Kaution freigelassen worden war, machten er und seine Familie als Trauernde von sich reden, auf der Webseite von Pistorius veröffentlichten sie hin und wieder Statements. Man kann davon ausgehen, dass die PR-Berater von Pistorius genau darauf achten, was für ein Bild dort vermittelt wird.
Doch nicht alles ist kontrollierbar, das zeigten nicht nur die Bilder auf SkyNews: Freunde gaben Interviews, und die Spekulationen sprossen wie wildes Kraut. Es hieß, Oscar Pistorius habe sich seit der Tat einen Bart wachsen lassen. Es tauchten Fotos von einem Lauftraining auf. Es gab Berichte, er gehe aus und flirte mit Frauen.
Indizien werden entscheiden
Alles Indizien, aufgrund derer sich Menschen in aller Welt berufen fühlen, sich auf eine Seite zu schlagen: Da sind die, die den trauernden Pistorius sehen, einen Mann, der nach Aussagen seines Managers Peet van Zyl gebrochen ist: "Er schläft schlecht, er isst schlecht", sagte er dem SPIEGEL. Überwiegt die Empathie für Pistorius, heißt das Urteil: Er muss unschuldig sein. Der Tod des Models sei Folge einer fatalen Verwechslung. Er habe durch die Toilettentür geschossen, weil er sie im Dunkeln für einen Einbrecher gehalten habe. Er selbst sei ebenfalls Opfer und leide.
Auf der anderen Seite diejenigen, die auf Geschichten verweisen: Pistorius habe vor vier Jahren auf einer Party eine Frau verletzt (was er bestreitet), einmal soll er einen Mann bedroht haben, weil der seiner damaligen Freundin zu nahegekommen sein soll. Dazu seine beiden Kampfhunde, sein Waffenarsenal. Ergo: Steenkamp muss sich auf der Toilette eingeschlossen haben, aus Selbstschutz vor ihrem gewalttätigen Freund. Pistorius sei kein Opfer, sondern ein Mörder.
Der Prozess gegen ihn wird auf Indizien beruhen. Es geht um die Frage, ob er seine Prothesen trug, als er die Schüsse abfeuerte. Welche Handynachrichten seine Freundin auf der Toilette verschickte oder empfing. Und warum er nach den Schüssen einen Freund und nicht die Polizei rief.
Eine Wand aus Fotografen
25 Jahre könnte er bei einer Verurteilung wegen Mordes ins Gefängnis kommen. Entscheidet sich der Richter gegen Mord, droht Pistorius eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, denn er hätte nach südafrikanischem Recht nur schießen dürfen, wenn zumindest ein direkter Angriff gedroht hätte. In diesem Fall käme er möglicherweise mit einer Geldstrafe davon.
Zu denjenigen, die auf ein Mordurteil hoffen, zählt die Frauenorganisation der Regierungspartei ANC. Jeden Prozesstag wollen ihre Mitglieder vor dem Gericht protestieren. Dem SPIEGEL sagte eine Vertreterin, es sei in Ordnung, wenn dann Schilder dabei wären, auf denen steht: "Verrotte in der Hölle!" Kein Fall sonst spaltet das Land, in dem Gewalt gegen Frauen ein großes Problem ist, so tief.
Oscar Pistorius selbst sagt zu alldem nichts. Er betritt am Dienstagmorgen wenige Minuten vor neun Uhr den Gerichtssaal in Pretoria. Er steht vor einer Wand aus Fotografen. Er senkt leicht den Kopf, hält die gefalteten Hände eng am Körper. Fünfzehn Minuten steht er so da, bis alles vorbei ist.
Am Ende wendet sich Richter Thulare an Pistorius und erklärt, er werde zu denselben Bedingungen wie vorher freigelassen - er muss der Polizei zur Verfügung stehen und Auslandsreisen ankündigen. "Yes, your honour", sagt Pistorius.
URL:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/oscar-pistorius-gericht-in-pretoria-vertagt-prozessbeginn-a-903708.html