@psychiatristZunächst vielen Dank für deine fachlich fundierten und auch für Laien gut verständlichen Beiträge!
psychiatrist schrieb:Ab wann sich Störung strafmildernd auswirkt, würde ich gerne @BaroninVonPorz fragen.
Du hast Recht, ich habe juristische Vorkenntnisse. Meine Schwerpunkte liegen allerdings im Bürgerlichen Recht und Wirtschaftsrecht, weniger im Strafrecht. Dennoch bin ich mit den Grundsätzen des deutschen Strafrechts vertraut und versuche etwas zu deiner Frage zu sagen. Eine Strafminderung oder gar Straffreiheit wegen des Vorliegens einer psychischen Störung kommt grds. in Betracht, wenn der Täter schuldunfähig oder vermindert schuldfähig ist. Für die vollständige Schuldunfähigkeit eines Täters ist im deutschen Recht § 20 StGB einschlägig. Danach handelt der Täter ohne Schuld, wenn er bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Schuldunfähig handelt somit jemand, wer im Moment der Tat nicht das Schuldhafte seines Handelns erkennt oder nicht in der Lage ist, sich zu steuern. Es gibt somit zwei Varianten:
1. die fehlende Einsichtsfähigkeit und
2 die fehlende Steuerungsfähigkeit.
So wie ich es in der Verhandlung verstanden habe, wird im südafrikanischen Recht ein ähnlicher Maßstab angelegt. Demnach ist entscheidend, ob der Täter im Moment der Tat in der Lage war, richtig und falsch zu unterscheiden und nach dieser Einsicht zu handeln.
Zu den aufgezählten psychischen Ursachen einer geminderten oder nicht vorhandenen Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit kannst du sicher mehr sagen. Es sind vier Kategorien, die hauptsächlich in der Forensik verwendet werden. Diese Kategorien sind auch für eine verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) entscheiden: Wenn die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert ist, kann die Strafe gemildert werden.
Im südafrikanischen Recht gibt es offenbar 3 Kategorien, die im Gesetz nicht präzise definiert sind: mental illness, mental defect oder any other cause.
Zum Vorgehen nach deutschem Recht: Die Begutachtung zur Feststellung einer Schuldunfähigkeit hat in einem 2-schrittigen Vorgehen festzustellen, ob bei dem Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tat eine psychische Störung vorlag, die einer der 4 Kategorien des § 20 StGB zuzurechnen ist. Wenn eine relevante Störung festgestellt wird, ist in einem zweiten Schritt gutachterlich festzustellen, ob es eine ursächliche Beziehung zwischen der Störung und der konkreten Tat gibt. Es geht um die Frage, ob die Störung zu einer Aufhebung (§ 20 StGB) oder aber zumindest erheblichen Beeinträchtigung (§ 21 StGB) der Einsichtsfähigkeit oder der Steuerungsfähigkeit (auch Hemmungsvermögen) geführt hat.
Dabei geht es in der praktischen Begutachtung weniger um die Einsichtsfähigkeit. Diese ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden. Selbst bei psychotischen Tätern ist diese Fähigkeit meist noch gegeben. Ich denke, auch für den Fall Pistorius ist diese Kategorie weniger relevant. Die Psychiaterin hatte ja selbst gesagt, dass er grundsätzlich in der Lage ist, falsches und richtiges Verhalten zu erkennen – trotz seiner Angst.
Wichtiger ist somit die Steuerungsfähigkeit. Ob eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt, muss der Richter auf der Grundlage der medizinischen Gutachten bewerten. Auch die Entscheidung über den Umfang der Strafmilderung liegt im Ermessen des Richters und ist stark einzelfallabhängig. Es ist also eine Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände vorzunehmen.
Beeinträchtigungen der psychischen Funktionsfähigkeit des Angeklagten sind grds. nur insoweit von Belang, als sie sich auf seine Handlungsfähigkeiten in der konkreten Tatsituation erheblich ausgewirkt haben.
Ob die Steuerungsfähigkeit bei der Begehung der Tat erheblich eingeschränkt war, hat das Gericht in einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind. Dabei ist zu klären, ob die Steuerungsfähigkeit im Vergleich mit dem „Durchschnittsbürger“ in einem solchen Maß verringert war, dass die Rechtsordnung diesen Umstand berücksichtigen muss. Die Feststellungen müssen belegen, wie sich ein Störungsbild auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten tatsächlich ausgewirkt hat.
Nach meinem laienhaften Verständnis könnte eine sehr schwere Angsterkrankung z. B. unter die Kategorie der krankhaften seelischen Störung fallen. Eine weniger starke Ausprägung könnte als Persönlichkeitsstörung gelten, die unter bestimmten Voraussetzungen unter die Kategorie der schweren anderen seelischen Abartigkeiten fallen kann, aber nicht muss:
Eine solche Störung kann immer auch als - möglicherweise extreme - Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein, die sich noch innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegt und daher nicht strafmindernd zu berücksichtigen ist. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor allem dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, so z.B auch bei Personen mit paranoiden und narzisstischen Zügen.
Gerade bei Persönlichkeitsstörungen kommt es somit auf die Frage an, ob es sich nicht um Persönlichkeitsmerkmale handelt, die ohnehin innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens liegen. Nur wenn dies abgelehnt wird, kommt eine Berücksichtigung als schwere andere seelische Abartigkeit in Betracht. Diese kann sich nur dann strafmindernd auswirken, wenn sie in ursächlichem Zusammenhang mit der Tat steht und sich bei der Tatbegehung erheblich auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit auswirkt.
Die Angaben sind leider sehr allgemein, da in diesem Bereich die Bewertung stark einzelfallabhängig ist.