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Fall Lucan: Gutachten beweisen nichts
VON STEFANI GEILHAUSEN - zuletzt aktualisiert: 07.11.2013 - 18:29
Düsseldorf (RPO). Alle wissenschaftlichen Versuche, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem Susanne Lucan starb, sind fehlgeschlagen. Die Aussagen der Rechtsmediziner am 7. Verhandlungstag schwächen die Anklage gegen Thomas S.
Ermittlungen im Mordfall Lucan - Eine Chronik Ermittlungen im Mordfall Lucan - Eine Chronik
Sie hat versucht, sich zu wehren. Verletzungen an ihren Unterarmen belegen, dass Susanne Lucan schützend die Arme über ihren Kopf zu heben versuchte, als ihr Mörder auf sie einschlug. Dass sie bei den ersten Schlägen noch lebte, beweist das viele Blut, das die Obduzenten in Susannes Lunge fanden. Sie habe so viel davon eingeatmet, dass sie keine Luft mehr bekommen konnte, sagte gestern die Leiterin des Rechtsmedizinischen Instituts der Universitätsklinik, Stefanie Ritz-Timme, vor Gericht.
Die Rechtsmedizinerin geht aber auch davon aus, dass Susanne Lucan nicht mehr bei vollem Bewusstsein war. Die vielfachen Schläge, die ihren Schädel zertrümmerten, hatten ihr Gehirn schwer verletzt.
INFO
Ermittlungen dauerten neun Jahre
Am 20.November 2004 wurde Susanne Lucan ermordet. Thomas S., der ihr seine Beziehung zu einer anderen Frau verheimlicht hatte, verwickelte sich in Widersprüche, geriet in Verdacht.
Vier Jahre nach der Tat übergab die Kripo den Fall der Staatsanwaltschaft, die weitere aufwendige Ermittlungen anstellte und im vergangenen Jahr Anklage erhob.
Laut Anklage hat Thomas S. dieses Verbrechen verübt. Bis 2 Uhr in der Nacht war er nach eigener Aussage bei Susanne Lucan gewesen, sie nach dem Essen in einem griechischen Lokal ins Bett gebracht und gehalten, bis sie eingeschlafen war. Die entscheidende Frage, ob Susanne starb, bevor er die Wohnung verließ, konnten Experten gestern jedoch nicht beantworten.
Staatsanwalt Christoph Kumpa hatte die auf Todeszeitbestimmung spezialisierte Rechtsmedizinerin Gita Mall mit der Untersuchung beauftragt. Das rechtsmedizinische Institut in Jena, das sie leitet, hat erst vor wenigen Jahren ein neues Verfahren patentieren lassen, das anhand von Raum- und Körpertemperatur den Zeitpunkt des Todes recht genau eingrenzt. Die Methode stützt sich auf die spezifischen wärmeleitenden Eigenschaften unterschiedlicher Gewebe im menschlichen Körper ebenso wie die von Kleidung, Unterlage und Decken.
Malls Problem im Fall Lucan: Niemand weiß, ob und wie die tote Susanne Lucan zugedeckt war. Denn als ihre Leiche gefunden wurde, waren die Spurensicherer aufgrund der falschen Information eines jungen Polizisten von einem Suizid durch Erschießen ausgegangen. Was sie am Tatort verändert hatten, lässt sich nicht lückenlos nachvollziehen. Neun Jahre danach konnte sich keiner der Beamten vor Gericht erinnern, wie genau sie die Tote in ihrem blutverschmierten Bett vorgefunden hatten.
Malls Gutachten, das auch Berechnungen nach Claus Henssge. einer internationalen Kapazität auf dem Gebiet der Todeszeitbestimmungen enthält, brachte das Gericht also nicht weiter. Henssge, der als Zweitgutachter geladen war, stellte fest: "Temperaturgestützte Methoden können in diesem Fall zur Bestimmung des Todeszeitpunkts nicht beitragen."
Henssge empfahl der Kammer, sich auf die Expertise des Münchner Internisten und Diplom-Landwirts Wolfgang Spann zu stützen. Der ist spezialisiert auf die Errechnung von Todeszeiten anhand von Mageninhalt, was ihn zum "Außenseiter in der Branche" macht, wie er sagte. Gleichwohl ist seine Methode, die auf der Untersuchung von rund 80 Verstorbenen basiert, seit Ende der 1970er Jahre durchaus anerkannt.
Schon kurz nach dem Verbrechen an Susanne Lucan hatte der Wissenschaftler analysiert, was im Magen der Toten gefunden wurde. Damals war es der Mordkommission vor allem darum gegangen, festzustellen, ob Thomas S. über das gemeinsame Abendessen stimmten (was der Experte bestätigte). Jetzt ging es um die Frage, wie viel Zeit zwischen dem Essen und Susannes Tod verggangen ist. Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit, so Spann, waren es drei bis vier Stunden. Gehe man von ein bis zehn Stunden aus, liege die Wahrscheinlichkeit sogar bei 98 Prozent.
Da es im Prozess um Mord und damit um eine lebenslange Haftstrafe geht, wird die Kammer die wahrscheinlichere Berechnung ihrer Entscheidung zugrunde legen – und im Zweifel für den Angeklagten annehmen, dass er nicht mehr in der Wohnung an der Benzenbergstraße war, als Susanne starb.