Das stimmt nicht ganz so. Eine neue Anklage hat die Staatsanwaltschaft ja bereits erhoben. Andernfalls hätte Debbie bereits 30 Tage nach dem Urteil des Berufungsgerichtes freigelassen werden müssen. Durch die erneute Anklageerhebung ist dies verhindert worden. Richtig ist, dass ein neuer Prozess (aufgrund einer gesetzlichen Frist) bis zum 07.10.2013 beginnen muss, andernfalls ist Debbie ebenfalls ein freier Mensch.
Der nächste wichtige Termin ist nun sicherlich der 23.09.2013, wenn es in einer neuen Vorverhandlung vor Gericht darum geht, ob das von Detective Saldate rezitierte Geständnis von der Anklage als Beweismittel angeführt werden darf oder nicht. Die Verteidigung hat bekanntlich beantragt, dieses nicht zuzulassen, da alle polizeilichen Vernehmungsvorschriften (Aufzeichnungspflicht auf Band oder Video, Zeugen, Unterschrift des Verhörten usw.) ganz bewusst missachtet wurden und der unrühmliche Wahrheitsgehalt von vergangenen Aussagen des besagten Detectives mittlerweile hinreichend bekannt ist.
Würde dem stattgegeben (die Richterin hat bei der Freilassung auf Kaution leichte Andeutungen gemacht, dass die Argumente der Anklage auf keinem besonders soliden Fundament beruhen), würde der Hauptanklagepunkt entfallen und die Staatsanwaltschaft stünde mit leeren Händen dar. Das heißt aber auch noch nicht, dass diese das Verfahren dann einstellen muss, auch wenn sich die Wahrscheinlichkeit hierfür dann natürlich erhöht. Wie der Fall der Kirstin Lobato im Nachbarstaat Nevada (den ich schon einmal ein Tage zuvor angeführt habe) zeigt, kann es der Staatsanwaltschaft in den USA trotz eines noch so guten Alibis der Angeklagten gelingen, buchstäblich mit leeren Händen einen Fall zu gewinnen. Das hängt davon ab, wie gut es dem Staatanwalt gelingt die Jury zu „manipulieren“ (1). Richtig zu Ende ist der Fall erst a) durch Fristüberschreitung der Anklage bei der Prozessvorbereitung über den 07.10. hinaus, b) mit der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft oder c) durch ein neues Urteil.
LG, Jörg
(1) Für diejenigen, die es interessiert: Manipulieren, so muss man es wohl nennen. Im zitierten Fall befand sich Kirstin Lobato 170 Meilen vom Tatort eines Mordes entfernt und wurde dort in der Tatnacht noch spät abends sowie früh morgens gesehen. Üblicherweise schläft man dann in der Nacht. Die Anklage hatte jedoch argumentiert, es sei trotzdem möglich, die etwa 250 km zum Tatort zu fahren, dort die Tat zu begehen, und anschließend wieder zurückzufahren um sich ruhig ins Bett zu legen. Dass man dazu aber – wie Experten berechnet haben – schneller als Michael Schumacher sein muss und ja auch noch die blutbeschmierte Kleidung reinigen und duschen muss, natürlich auch ohne Spuren im Auto und am Tatort zu hinterlassen, all das wurde von der Staatsanwalt geflissentlich ignoriert. Selbstverständlich hat die Verteidigung diese Punkte angesprochen und auch hervorgestellt. Dem charismatischen Staatsanwalt gelang es trotzdem durch die permanente Wiederholung der Aussage, „dass es trotz alledem möglich sei, dass Ms. Lobato die Täterin sei“ die Jury auf seine Seite zu ziehen und einen Schuldspruch zu erreichen. Zwar hat die Jury die Mordanklage des StA in einen Totschlag umgewandelt (weil wohl doch einige Fragen im Hinterstübchen der Geschworenen blieben), die 35 Jahre, die Kirstin Lobato aber nun einsitzen muss, sind für sie aber sicherlich nur ein schwacher Trost.
Es handelte sich – und das macht nun die eigentliche Absurdität hier aus – übrigens auch um den „Retrial“, also das Berufungsverfahren. Das erste Urteil, in dem die StA trotz der auch dort schon bekannten Fakten tatsächlich mit der Mordanklage durchkam, wurde nach langwierigem Kampf durch ein Berufungsgericht aufgrund von Formfehlern gekippt und es war eigentlich allen unabhängigen und neutralen Beobachtern nach dem ersten Prozess klar, dass es nun in der Revision zu einem Freispruch kommen muss. Aber es kam anders… Wie hat es ein Journalist zusammengefasst? „The mere possibility of guilt replaces proof beyond a reasonable doubt", eigentlich informiert jeder Richter die Jury darüber, dass es eine Verurteilung nur geben darf, wenn diese von der Schuld des Angeklagten über jeden Zweifel überzeugt sind und das anderfalls "im Zweifel für den Angeklagten gilt". (wen es interessiert, hier gibt es eine Kurzzusammenfassung:
http://justicedenied.org/issue/issue_34/lobato_jd34.htm).
Dieser Fall spielt in Nevada. Ich schreibe dies hier nur damit man sieht, wie die StA in Arizona aber auch reagieren könnte, selbst wenn ihr der wichtigste Belastungspunkt abhandenkäme. Sie könnte natürlich auch ganz einfach das Verfahren einstellen. Einfacher und für alle Beteiligten sinnvoller wäre das…