Der schwarze Mann/Soko Dennis
01.04.2011 um 21:02
Hier aus einem anderen Brief des Vaters:
Vermutlich wäre der Fall am 31. März 1992, dem Tag, an dem das Verschwinden meines Sohnes entdeckt wurde, durch den Einsatz eines Spürhundes aufzuklären gewesen. Als ich am 1. April, nachdem ich mir im Internat einen ersten Überblick verschafft hatte, das erste Mal mit den Ermittlern Jordan und Erftenbeck zusammentraf, sprach ich eine solche Maßnahme an, denn mir schien in der vorgefundenen Situation der Einsatz eines Hundes die selbstverständlichste Sache der Welt zu sein. Mir wurde daraufhin erklärt, dass man selbst bereits Überlegungen in dieser Richtung angestellt hätte. Es sei aber so, dass Stefan überall im Internat herumgelaufen sei und deshalb seine Spuren auch überall vorhanden seien. Das würde den Einsatz eines Hundes nutzlos machen. Man wolle aber noch einmal mit einem Hundeführer sprechen und sich nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme erkundigen. Nachdem im weiteren Verlauf des Tages Kommissar Erftenbeck zusammen mit seinem Kollegen H. einige Kinder aus Stefans Altersgruppe im Internat vernommen hatte, und die beiden Herren zusammen mit mir einen in der Nähe des Internats befindlichen Campingplatz mit Dauerstellplätzen abgegangen waren, um nach einer Spur von Stefan zu suchen, während Herr Jordan mit einem Hubschrauber über dem Gelände kreiste und irgendwo in der Umgebung Scheeßels zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei nach Spuren suchten, obwohl es nicht den geringsten Ansatz dafür gab, wo diese Kräfte sinnvoll einzusetzen gewesen wären, erklärte mir Herr Erftenbeck, dass er bezüglich des Hundeeinsatzes inzwischen noch einmal mit Herrn Jordan telefoniert hätte und der ihm bestätigt hätte, dass auch der befragte Hundeführer den Sinn eines solchen Einsatzes verneint hätte. Es wäre noch heute interessant, zu erfahren, wie die Fragestellung an den Hundeführer, der nicht vor Ort gewesen war und sich deshalb kein eigenes Bild von der Situation gemacht haben konnte, gelautet hat. Denn es war natürlich so, dass Stefan überall auf dem Gelände des Internats und dabei auch auf den Wiesen zwischen den Häusern herumgelaufen war. Dass er dabei aber einmal direkt unter das Fenster, aus dem er nach erstem Augenschein in der Nacht ausgestiegen sein sollte, getreten wäre, wäre ein außerordentlicher Zufall gewesen. Wenn ein Hund also hier seine Spur aufgenommen hätte, wäre auch dann, wenn er sie nur wenige Meter hätte
verfolgen können, aus der Richtung, in die sie verlief, eine wesentliche Erkenntnis gewonnen worden. Nach heutigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Hund höchstwahrscheinlich
keine Spur hätte aufnehmen können, was den ersten und schnellsten Beweis dafür geliefert hätte, dass Stefan nie aus diesem Fenster ausgestiegen war.
Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis hätte man mit Hilfe eines Hundes prüfen können, ob auf der Linie, auf der der Lehrer J. in der Nacht einen jungen Mann hatte weglaufen sehen und
die sehr genau zu bestimmen war, eine Spur des Schülers Lukas B. zu finden gewesen wäre, für die dieser schon eine gute Erklärung hätte finden müssen. Denn im Unterschied zu den jüngeren Kindern benutzten die älteren Schüler in dieser Jahreszeit fast ausschließlich die Wege auf dem Gelände. Ein Versuch, die Spur Lukas B.s in Stefans Zimmer und unter dem bewussten Fenster aufzunehmen, hätte dann endgültig einen Beleg dafür liefern können, ob er mit Stefans Verschwinden zu tun hatte.
Bemerkenswert ist, dass Lukas B. in diesen Tagen nicht einmal befragt wurde, obwohl die Aussage des Lehrers J. am 31. März bereits vorlag. Erst am 3. April erkundigte sich Herr Jordan telefonisch bei ihm, ob er vielleicht der junge Mann gewesen sei, den der Lehrer in der Nacht gesehen hatte, und gab sich mit der verneinenden Aussage, die er in einer darüber angefertigten Notiz als glaubwürdig charakterisierte, zufrieden. Danach ließ er noch einmal 25 Tage vergehen, bevor er ihn am 28. April in direkter Vernehmung befragte und sich von ihm die Ereignisse am Abend des 30. März schildern ließ, die andere Zeugen, die nach dem Auffinden von Stefans Leiche befragt wurden, was den sachlichen Ablauf betraf, im Wesentlichen bestätigten. Da diese Zeugenvernehmungen erst ungefähr Mitte Mai stattfanden, gab es allerdings in Bezug auf die Zeitangaben erhebliche Differenzen, die sich aus dem unterschiedlichen Erinnerungsvermögen der einzelnen Personen erklären lassen. Wenn man den weitgehend übereinstimmenden Ablaufschilderungen realistische Zeitangaben unterlegt, die sich aus gesicherten Angaben, z.B. aus dem Ende der an diesem Abend stattgefundenen Versammlung des Schulvereins um 21.25 Uhr (Tagebucheintrag des Schulleiters Dr. B. (Name geändert)), herleiten lassen, dann lässt sich feststellen, dass Lukas B. für die Zeit nach 22.00 Uhr kein Alibi hat. Sein Zimmergenosse hatte ausgesagt, dass er vor Lukas zu Bett gegangen sei und wegen vorherigem Alkoholgenuss so fest geschlafen habe, dass er nicht sagen könnte, wann Lukas ins Zimmer gekommen sei oder ob er das Zimmer in der Nacht noch einmal verlassen habe.
Am 3. Mai wurde Stefans Leiche in der Verdener Düne gefunden. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Herren Jordan und Erftenbeck als leitende Ermittler angesichts der klaren Spurenlage zu der Ansicht gelangen konnten, die Leiche sei in der Nacht von Stefans Verschwinden oder kurz danach an den Fundort geschafft worden, obwohl klar ersichtlich war, dass sie erst wenige Tage - vielleicht sogar nicht einmal einen Tag - dort gelegen haben konnte. Jedenfalls schafften sie es, durch die Aufstellung der These, dem Täter müsse in dieser Nacht oder in der Zeit danach ein PKW zur Verfügung gestanden haben, und er müsse über eine Verbindung zu Verden bzw. Ortskenntnisse
verfügen, dass Lukas B. aus dem Fokus der Ermittlungen gerückt wurde, denn auf ihn trafen diese Dinge nachweislich nicht zu. Da sich in der Folgezeit die Arbeit der Soko weitgehend darauf beschränkte, im Kreis der Lehrer und Schüler der Eichenschule nach Personen zu suchen, auf die die aufgestellten Charakteristika zutrafen, dabei allerdings der Kreis der Personen, die die Internatsschüler an den Wochenenden abholten bzw. am Sonntagabend wieder ins Internat brachten, gänzlich aus den Ermittlungen herausgehalten wurden, konnte es geschehen, dass die Person des Rudolph B. im Verlauf dieser Ermittlungen unentdeckt blieb und erst durch den Hinweis vom November 2004 bekannt wurde.
Bereits am 6. Mai 1992 war an einer der abgetrennten Hände Stefans das Spurhaar gefunden und zunächst auch als solches eingestuft worden, denn es wurde die vergleichende Untersuchung mit dem Tatverdächtigen Mark C. (Name geändert) durchgeführt. Erst nach Auflösung der Soko am 27. Mai, als die weiteren Ermittlungen fast ausschließlich durch die Herren Jordan und Erftenbeck erfolgten, kam man - offensichtlich in Abstimmung mit dem zuständigen Oberstaatsanwalt Popken - zu dem Beschluss, das Haar als nicht tatrelevant einzustufen und alle Maßnahmen zu unterlassen, die darauf hinausliefen, den Täter mit Hilfe des Haares zu ermitteln, obwohl anhand der Fotos von der Obduktion erkennbar war, durch welchen Vorgang das Haar an Stefans Hand gelangt sein konnte. Als Begründung für dieses Vorgehen musste ein völlig blödsinniges Argument herhalten, das auch nach 2006 noch der Journalistin Nadja Malak aufgetischt wurde, als sie für ihr 2009 beim Militzke Verlag Leipzig erschienenes Buch “auf freiem fuß - Rätselhafte Kriminalfälle” recherchierte: “Eine Anerkennung dieser Spur als >>tatrelevant<< ist mit großen Risiken verbunden. Denn stimmt eine tatrelevante DNA nicht mit der eines Tatverdächtigen überein, so ist damit der Verdächtige entlastet und seine Festnahme also aus juristischen Gründen unmöglich gemacht.” (Seite 120, letzter Absatz des o.a. Buches, siehe Anlage 4).
Dazu ist festzustellen: Sollte jemals ein Tatverdächtiger durch andere Dinge als den DNA-Abgleich des Haares überführt werden, und stimmte seine DNA nicht mit der des Haares überein, wäre damit -aber auch erst dann - der Beweis erbracht, dass das Haar nicht tatrelevant ist, denn natürlich kann aufgrund der Umstände des Haarfundes niemand mit absoluter Sicherheit behaupten, das Haar stamme vom Täter. Es stammt nur höchstwahrscheinlich von ihm, und sollte eine Person gefunden werden, bei der weder eine Verbindung mit dem Diakoniekrankenhaus in Rotenburg/Wümme noch mit dem Transport der Hände zum LKA Hannover herzustellen ist, bei der der DNA-Abgleich aber positiv ausfiele, wäre diese Person als Täter überführt.. Damit der als Risiko an die Wand gemalte Effekt einträte, bedürfte es schon geistesschwacher Richter, die den Unterschied zwischen einem gesicherten und einem wahrscheinlichen Sachverhalt nicht kennen. Der springende Punkt bei der Sache ist, dass es einen Tatverdächtigen, der ohne DNA-Beweis zu überführen wäre, nicht gibt und niemals geben wird. Das lässt sich spätestens seit November 1992 so sehen, als die Herren Jordan und Erftenbeck bei meiner Frau und mir zu Hause erschienen und uns erklärten, dass nun alle kriminalistischen Möglichkeiten, den Mordfall aufzuklären, erschöpft seien und der Täter, so traurig es auch sei, wohl nur ermittelt werden könnte, wenn er einen weiteren Mord begehen würde. Hier wurde also all die Jahre auf eine Maßnahme verzichtet, mit der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Täter hätte ermittelt werden können, um sich angeblich eine Möglichkeit offenzuhalten, die niemals eintreten wird, und zur Rechtfertigung wurde eine Begründung geliefert, die jeder Logik entbehrt.
Ein anderes Beispiel für die Ignoranz der Ermittler Jordan und Erftenbeck und des zuständigen Staatsanwaltes gegenüber Fakten und Hinweisen ist ihre Haltung zu Stefans Todeszeitpunkt. Zur Ermittlung des Todeszeitpunktes wurde vom Obduzenten, Prof. Dr. Püschel, eine biologische Mageninhaltsanalyse durchgeführt. In einem ersten Gutachten vom 07.07.1992 kam er dabei zu dem Ergebnis, “dass der Junge in der Nacht vom 30./31. März .... getötet wurde (präzise Zeitangabe hierzu nicht möglich, eher in der Zeit um Mitternacht als zum frühen Morgen hin)”. Jedermann weiß, dass die möglichst genaue Bestimmung des Todeszeitpunktes von enormer Wichtigkeit für die Aufklärung eines Mordes ist. Aus diesem Grunde widmete der Rechtsanwalt Dr. Gerhard Strate, der
sich mit dem Fall von November 1992 bis November 1995 befasste und in dieser Zeit ein Dossier darüber erstellte, diesem Punkt besonders intensive Beachtung. Was Prof. Dr. Püschel zum Zeitpunkt der ersten Analyse nicht wusste, war die Tatsache, dass Stefan vor seinem Tode noch einen Müsli-Riegel gegessen hatte. Darüber und über die Zeit für die Einnahme dieses Riegels unterrichtet, kam er in einem weiteren Gutachten vom 27.09.1994 zu dem Ergebnis: “Geht man .... davon aus, dass Stefan den Müsli-Riegel zwischen 21.00 Uhr und 21.20 Uhr gegessen hat, dann dürfte der Tod zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr eingetreten sein;”. Dann weist er noch darauf hin: “Als Unsicherheitsfaktor verbleibt, dass die genaue Ausgangsmenge an Müsli-Riegeln, die Stefan Jahr zu sich genommen hat, nicht bekannt ist, und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass er bei einem eventuellen Verlassen des Heimes möglicherweise Müsli-Riegel mitgeführt und später noch gegessen hat.”Dr. Strate geht in seinem Dossier darauf ein und führt aus, dass der Verweis auf die fortbestehenden Unsicherheitsfaktoren bei der Mageninhaltsanalyse durch Prof. Dr. Püschel wissenschaftlicher Arbeitsweise und Genauigkeit entspricht. Er führt aber auch aus, dass weitere Beobachtungen gegen die Annahme eines anderen Zeitpunktes für die Einnahme des Müsli-Riegels oder für die Einnahme einer größeren Menge dieser Riegel sprechen. In einem Schreiben vom 12. Dezember 1995 an Dr. Strate bestätigt Prof. Dr. Püschel: “In der Sache schätze ich die analytische Darstellung Ihres Dossiers sowie die gezogenen Schlussfolgerungen, die für mich so gut nachvollziehbar sind - wie gesagt, ohne weitere Kenntnis des Akteninhaltes.” (Anlage 5).
Seitens der Verdener Ermittler werden nun die o.a. Unsicherheitsfaktoren dazu benutzt, um den plau-siblen Verlauf der Ereignisse zu leugnen und einen falschen Ermittlungsansatz zu schaffen. Das Ganze wird als kriminalistische Sorgfalt verkauft. Frau Malak gibt es in ihrem Buch auf Seite 121 so wieder: “Es gibt hier so viele Unwägbarkeiten, die die Ermittler dazu veranlassten, die Todeszeit nicht sehr streng einzugrenzen. Dies ist auch im Hinblick auf etwaige Alibiüberprüfungen wichtig, da auch durch diese Angaben sonst Tatverdächtige zu früh ausgeschlossen werden könnten.”
Der letzte Satz ist schon deshalb blödsinnig, weil es die “sonst Tatverdächtigen”, die “zu früh ausgeschlossen werden könnten”, nicht gibt und man kein Prophet sein muss, um zu wissen, dass es sie nie geben wird. Es geht auch nicht darum, die Todeszeit allgemein nicht zu sehr einzugrenzen, sondern darum, zu leugnen, dass sie deutlich vor Mitternacht gewesen ist. So trat Herr Erftenbeck im März 2003 in einer Fernsehsendung zu dem Fall auf und zitierte aus dem ersten Gutachten von Prof. Dr. Püschel: “Die Todeszeit liegt eher gegen Mitternacht als zum frühen Morgen hin.”, obwohl diese Version längst überholt war. Es soll doch mit solchen Äußerungen eindeutig der Eindruck erweckt bzw. aufrecht erhalten werden, Stefan habe das Internat lebend verlassen und sei erst erheblich nach Mitternacht seinem Mörder begegnet. Genau das erklärte mir auch Frau B. noch im November 2005, wobei ich davon ausgehe, dass sie entsprechend instruiert war.
Hier ist eindeutig der Versuch zu erkennen, davon abzulenken, dass man es mit einem Täter zu tun hat, der in der Lage ist, nach einer solchen Tat Überlegungen darüber anzustellen, wie er Ermittler
durch Vorspiegelung falscher Tatsachen täuschen kann, und außerdem die Nerven besitzt, ca. drei Stunden nach der Tat noch einmal in das Zimmer zurückzukommen, in dem ja die ganze Zeit über Stefans Zimmergenosse Peter (Name geändert) schlief, die Leiche herauszuholen und eine falsche Spur zu legen, wobei er sich offensichtlich einer Hilfe bediente. Frau B. hatte als Begründung für die von ihr vorgetragene Auffassung angeführt, dass man von dieser Version des Herganges ausgehe, weil es für einen Täter viel zu schwierig gewesen wäre, die Leiche umzukleiden, damit der bewusste Schlafanzug in dem Aufenthaltsraum zurückgelassen werden konnte. Als weiterer Punkt für die Annahme, dass zwei Personen an der Wegschaffung der Leiche beteiligt waren, ist die Tatsache zu sehen, dass der junge Mann, den der Lehrer gesehen hat, von seinem Standort aus nur Stefans Zimmerfenster beobachten konnte, nicht aber die Fenster zu der Erzieherwohnung oder zu dem Aufenthaltsraum, durch den der Lehrer unmittelbar vor dem Zusammentreffen gegangen war, worin wohl der Grund zu sehen ist, dass er das Kommen des Lehrers erst zu spät bemerkte. Da die Beobachtung der Erzieherwohnung aber genau so wichtig war wie die Beobachtung von Stefans Zimmer, um den Zeitpunkt festzustellen, an dem der erneute Einstieg in das Gebäude möglich wurde, muss man wohl eine zweite Person an einem Standort annehmen, der diese Beobachtung ermöglichte. Dieser Standort lag vermutlich in dem Wäldchen neben dem Internat, zu dem der junge Mann hinlief. Dass die o.a. Eigenschaften des Täters eher auf eine Person zutreffen, die sich mit dem Verfassen von Denksportaufgaben befasst und sich auch sonst mit Dingen beschäftigt, die vorausschauendes Planen erfordern, als auf andere, scheint mir recht offensichtlich zu sein.