@diegraefin
@Katinka1971Richtige Worte.
Das Problem in diesem Thread ist nach wie vor, dass viele Leute ihre eigene Persönlichkeit als Maßstab dafür nehmen, wie sich Kampusch ihrer Ansicht nach hätte verhalten sollen.
Die Persönlichkeit dieser Leute ist aber das Ergebnis einer Erziehung in Freiheit. Natascha Kampusch hingegen ist mit ihrem Entführer als einzige Bezugsperson und erziehende Autorität aufgewachsen. All das was uns an Eltern, Mitschülern, Lehrern, Freunden an negativem und positivem geprägt hat in unseren Lebensjahren von zehn Jahren bis ins junge Erwachsenenalter, das war für NK dieser schwer gestörte Wolfgang Priklopil. Sie ist selbstverständlich auch in hohem Maße das Produkt ihres Entführers, selbst wenn sie das verneint.
Und darum musste sie ihr Entführer auch nicht 24 Stunden in Eisenketten legen, damit sie nicht weglief. Wer nicht nur das aktuelle Medienthema Kampusch kennt sondern sich auch mit weiteren Entführungsfällen beschäftigt, der wird auf vergleichbare Fälle stoßen, wo die Opfer auch nicht pausenlos in physischer Gefangenschaft waren, und trotzdem nicht geflohen sind.
Da ist zum Beispiel der Fall des siebenjährigen
Steven Stayner, der 1972 in Kalifornia von einem vierzigjährigen Mann namens Kenneth Parnell entführt wurde. Erst erzählte Parnell dem Jungen, dessen Eltern hätten ihm aufgetragen für eine Weile auf ihn achtzugeben, dann gar, er hätte das Sorgerecht für ihn erlangt, da sie ihn nicht mehr wollten. Er missbrauchte den Jungen sexuell, er schlug ihn brutal. Und Steven? Der versuchte die Zuneigung Parnells zu gewinnen, des nunmehr einzigen Menschen den er kannte, der für ihn sorgte.
War Steven Stayner eingesperrt? Nein, er ging sogar zur Schule und erzählte niemandem von seiner Vergangenheit. Erst als er vierzehn war und Parnell einen fünfjährigen Jungen entführte, schnappte sich Stayner den Jungen, brachte ihn zur Polizeistation, wo er aber sich aber nur unwillig zu seiner eigenen Identität bekannte.
Stayner war nach der Rückkehr zu seinen Eltern an einem Buch und einer Fernsehserie über seinen Fall beteiligt.
Oder da gabs den Entführungsfall
Jaycee Lee Dugard. Ein elfjähriges Mädchen, das 1991 vom tiefreligiösen Pädophilen Phillip Garrido entführt wurde und die ersten Jahre hauptsächlich in Handschellen und in einem Raum eingesperrt verbringen musste. Er vergewaltigte sie und erklärte ihr, dass Dämonenengel ihm geholfen hätten, und dass er ihr das antue, damit er nicht anderen Mädchen schaden müsse.
Als sie geschlechtsreif wurde, gebar sie zwei Kinder und lebte weiterhin mit ihrem Entführer und seiner Frau unter einem Dach, ging auch mal an die Tür, wenn geklingelt wurde. Sie arbeitete sogar in Garridos Geschäft und hatte Kontakt zu Kunden. Nie hat sie sich jemandem anvertraut, denn sie war gänzlich das Produkt ihres Entführers, das Ergebnis jahrelanger Manipulation in Gefangenschaft.
Es war eher Zufall, dass Garrido durch wirres und verdächtiges Verhalten die Behörden in sein Haus brachte. Die bereits 29-jährige Jaycee Lee Dugard behauptete aber, sie sei eine von ihrem gewalttätigen Ehemann davongelaufene Frau, die mit ihren 11 und 15 Jahren alten Töchtern Unterschlupf bei Garrido gefunden habe. Erst als Garrido selbst gestand, öffnete sich Dugard den Polizisten.
Auch Jaycee Lee Dugard hat ein Buch geschrieben und tritt regelmäßig in den Medien auf.
Und in Japan wurde 1990 die neunjährige
Fusako Sano von einem 28-jährigen Geistesgestörten entführt und über neun Jahre im oberen Stock seiner Wohnung festgehalten, die er mit seiner Mutter bewohnte. Die ersten Monate war sie noch festgebunden, wurde bedroht, geschlagen und mit Elektroschocks bestraft, wenn sie ihm nicht gehorchte. Danach konnte sie sich im Grunde frei bewegen, traute sich aber aus Angst vor dem allmächtig scheinenden Mann nicht mal in die unteren Räume, wo die Mutter lebte.
Ein Streit zwischen dem Entführer und seiner Mutter, bei dem die Polizei hinzugerufen wurde, ergab für Sano die Gelegenheit, auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen.
Diese Kinder sind aus ihrem Umfeld herausgerissen worden und man hat sie auf ihren Peiniger als einzige Autorität und wichtigste oder gar einzige soziale Bindung gepolt. Wie Natascha Kampusch, die im Vergleich zu Stayner und Dugard sogar beachtlichen Widerstand gezeigt hat. Sollte man ihr und anderen jetzt noch vorhalten, dass sie nicht mit letzter Vehemenz zu entkommen versucht haben, wie wir uns das aus unserer komfortablen Warte heraus vorstellen? Braucht es dieses wütende Gegeifer, wenn wir den Verdacht haben, dass sich die Beziehung zum Täter etwas anders gestaltet habe, als man sich öffentlich bekennen mochte?