Schade, dass dieser vor allem in angelsächsischen Ländern als mysteriöser Klassiker geltende Fall hier etwas stiefmütterlich behandelt wird und auch noch im falschen Forum steht (imho gehört er zu "Kriminalfälle").
Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich um einen Suizid handelt. Der Zettel mit dem Hinweis "Tamam Shud" - "The End" ist ja in einer versteckten Innentasche der Hose aufgefunden worden. Nur der Besitzer der Hose, also der Somerton-Mann, wusste von dieser Tasche. Ein Mörder hätte sich nicht die Mühe gemacht, dessen Kleidung nach eventuell versteckten Taschen abzusuchen, er hätte den Hinweis, wenn überhaupt, in die normale Hosentasche gesteckt.
Von daher kann man auch die Geheimdiensthypothese vergessen. Spion ermorden sich nicht, sondern werden ermordet. Es klingt halt spannender (gerade zur damaligen, vom Kalten Krieg aufgeheizten Zeit), von einer Geheimdienstaffäre zu fabulieren. Aber es gibt darauf keine ernstzunehmenden Hinweise. Der "Geheimbotschaft" im Rubayat ist m.E. keine.
Der "Mörder" konnte ja gar nicht wissen, ob der Arzt das Buch mit dem Code jemals der Polizei oder einer Zeitung übergibt. Die Wahrscheinlichkeit war vielmehr groß, dass er es in den nächsten Mülleimer wirft. Und der Code ist auch nicht besonders elaboriert: Viele Buchstaben treten gehäuft auf, was auf eine wenig raffinierte Verschlüsselung hindeutet. Wahrscheinlich steht wirklich jeder Buchstabe für einen anderen, und wenn der Text nur ein wenig länger wäre, könnte man ihn mithilfe der Buchstabenhäufigkeit entschlüsseln. Auch bestimmte Buchstabenkombinationen wiederholen sich, "AB" 4x, "IA" 2x, "OA" 2x. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Spion so primitiv verschlüsselt. Die Reihenfolge der Zeilen scheint übrigens nicht von besonderer Wichtigkeit zu sein. In der vierten Zeile hat er geschrieben MLIABOA, dasselbe versuchte er schon in Z.2, hat aber das "B" vergessen: MLIAOI (Das letzte "I" deute ich für den ersten Strich des "A"). Als er seinen Fehler bemerkte, hat er nicht mehr weitergeschrieben, die zweite Zeile durchgestrichen, bevor er das aber richtig hinschrieb, kam in der 3.Z. erst was anderes. Wie gesagt, das zeigt, dass die Reihenfolge der Zeilen nicht so wichtig war. Waren es Namen, eine Adresse?
Warum hat er sich getötet? Ich nehme an aus Liebeskummer, wegen Jessica "Jestyn" Thompson. Die Beziehungen zu dieser Frau sind ja überdeutlich:
1. Der Auffindeort der Leiche lag nur 600 m von deren Wohnhaus entfernt.
2. Ihre Telefonnummer befand sich im Buch.
3. Das Buch selbst weist Bezüge zu ihr auf, da es anscheinend ihr Lieblingsbuch war, das sie auch einem anderen Mann, Alfred Boxall, geschenkt hat.
Ich nehme (wie andere) an, der Mann ist nach Glenelg gefahren, um Jestyn wiederzutreffen, aber sie war nun anderweitig liiert und wies ihn zurück, worüber er nicht hinwegkam.
Er scheint auch ein bisschen ein "Spinner" gewesen zu sein, mit einem Hang zum Melodramatischen. Wahrscheinlich war er ein ziemlicher Einzelgänger, was erklären könnte, weshalb er auch von niemandem vermisst wurde.