Cpt.Germanica schrieb:Bitte nicht falsch verstehen: Ich will nicht kritisieren, dass überhaupt ein Zugriff statt gefunden hat. Aber was hat man denn bei der Polizei erwartet? Dass nur die Geiseln diesen Kugelhagel überstehen, man also nur die Geiselnehmer trifft? Lächerlich ...
Ich unterstelle den SEK Beamten, gute Schützen zu sein. Aber Übung und Ernstfall sind zwei völlig unterschiedliche Situationen. Ich bin sicher, dass die Beamten unter enormen Druck standen und auch Angst hatten. Dieser Zugriff war ganz klar in die Hose gegangen und konnte mMn nicht mehr unblutig und professionell beendet werden. Die haben wohl nur noch draufgehalten und hofften, dass es irgendwie doch noch gut geht. Ich bin Deiner Meinung, dass es an ein Wunder grenzt, dass "nur" eine Person tödlich verletzt wurde.
monstra schrieb:Inwieweit Polizisten in einer solchen Situation dann gezielte Schüsse auf die Geiselnehmer abgeben und Geiseln schützen können (oder nur blind auf das Auto losballern), vermag ich nicht zu beurteilen. Genauso wenig wie die Wirkung solcher Schüsse auf Fahrzeug und Personen. Soweit ich weiß, saßen Rösner (am Steuer) und Degowski (Rücksitz) jeweils auf der Fahrerseite. Diese war den SEK-Fahrzeugen zugeneigt. Die Geiselnehmer befanden sich also auf der Frontseite.
Ich nehme an, sie konnten das Feuer zumindest ungefähr auf die vermuteten Geiselnehmerpositionen im Auto eröffnen. Aber sicher konnten sie nicht präzise anvisieren und sicherstellen, dass nur die Geiselnehmer getroffen werden konnten. Die Wirkung des Beschusses auf die Fahrzeuginsassen betrifft mMn vor allem zwei kritische Bereiche:
1.
Die psychologische Wirkung. Im Nahbereich einschlagende und umherfliegende Projektile verursachen eine starke (Todes-)Angst und lösen Panik aus. Sofern der Beschossene noch über einen gesunden Selbsterhaltungstrieb verfügt und kein Selbstmordattentäter ist, besinnt er sich im Idealfall schon nach kurzer Zeit auf den Wert des eigenen Lebens und gibt angesichts der aussichtslosen Situation auf. Es gibt aber nicht selten auch die Reaktion, dass der Beschossene sein möglicherweise baldiges Ableben akzeptiert und wild um sich schießt, um einen möglichst großen (Personen-)Schaden zu verursachen bevor er selbst (tödlich) getroffen wird. Bei Amokläufen ist dieses Verhalten recht häufig zu beobachten, weil die Täter zumeist schon im Vorfeld der Tat mit dem eigenen Leben abgeschlossen haben und den eigenen Tod in Kauf nehmen. Nur selten reagieren die Beschossenen mit abgeklärter Gegenreaktion und taktischem Vorgehen, z.B. sehr gezieltem Gegenbeschuss, besonnenem Verhalten, überlegten Bewegungen etc. Letztere haben dann häufig bereits Kampferfahrungen gesammelt, wurden militärisch ausgebildet und/oder sind durch ein psychologisches Defizit dazu in der Lage.
2.
Die zerstörerische Wirkung. Wo Projektile einschlagen, entsteht hohe zerstörerische Energie. Glassplitter, Splitter und Fragmente von Fahrzeugteilen usw., schränken die Handlungsfähigkeit von Bechossenen stark ein, halten sie passiv in Deckung und verstärken die psychologische Wirkung. Je mehr Zeit vergeht, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es z.B. in einer kurzen Feuerpause zur Aufgabe des Beschossenen kommt. Es versteht sich von selbst, dass ein durch Kugeln durchsiebtes Fahrzeug in den seltensten Fällen noch gestartet und gefahren werden kann.
monstra schrieb:Es gab eine Weisung der Polizeiführung, bei nächster Gelegenheit (Voraussetzung: Halt des Wagens und rechtzeitiger Heranführung der SEK-Kräfte) den Zugriff durchzuführen. Hintergrund war das desaströse Theater in der Innenstadt von Köln am Vormittag. Es sollte um jeden Preis die Einfahrt in eine Innenstadt verhindert werden. Da der BMW verwanzt war, gab es wohl auch Hinweise, dass die Geiselnehmer Frankfurt a.M. ansteuern wollten
Die Situation war für die Entscheider im Krisen- und Führungsstab keinesfalles einfach. Zu viele günstige Gelegenheiten für einen Zugriff hatte man nicht genutzt, zu viel Zeit war vergangen, zu viel Aufmersamkeit vorhanden, zu viele Fehler geschehen. Der Druck muß riesig gewesen sein. Dies führte scheinbar zur Ultima Ratio: Geiselnahme beenden, um jeden Preis, sofort. Nicht nur die Geiselnehmer dürften mit den Nerven am Ende gewesen sein, die Entscheider waren es auch. Und so geschah der letzte, entscheidende Fehler. Eben die Weisung, bei "nächster Gelegenheit" einen Zugriff zu wagen. Diese Weisung war viel zu schwammig und führte wahrscheinlich dazu, dass die Beamten vor Ort nur noch nach der besagten Gelegenheit ausschau hielten, anstatt taktisch vorzugehen und z.B. durch einen künstlichen Stau oder durch einen anderen Trick den Wagen am gewünschten Ort in die gewünschte Position zu bringen. Es hielt sie ab eine List anzuwenden, die entscheidende "Gelegenheit" selbst zu planen und zu inszenieren, das Heft in der Hand zu behalten. Nach der Weisung konnten die SEK-Beamten nur noch reagieren, nicht mehr agieren. Als dann der Zugriff erfolgte, rächte sich diese Vorgehensweise. Niemand hatte das Losfahren des BMW einkalkuliert, der Zugriff wurde überstürzt und so die Katastrophe wahrscheinlicher als der Erfolg. Folgerichtig kam es zur Katastrophe.