@allEinleitung
Ich habe mich mit der ganzen Sache jetzt auch intensiverbeschäftigt, vor allem das Leuschner Buch studiert und bin immer wieder darauf gestoßen,dass S. als möglicher Täter betrachtet werden könnte. Im Wesentlichen wird diesfolgendermaßen begründet, die Tat ist eine BEZIEHUNGSTAT, erklärt durch die Brutalitätund die Ermordung des kleinen Josef. Einem Raubmord oder einer politischen Tat steht diesdiametral entgegen.
Thesen
Bei allem was ich von S. gelesen habe, das sindz.T. wörtliche Verhörprotokolle, bekomme ich immer wieder das Gefühl, IRGENDETWAS stimmtda nicht. Wobei ich oft nicht genau sagen kann, was es ist. Klar, zum einen sind esfaustdicke und offensichtliche Widersprüche: Er unterschlägt in seiner Darstellung 3000Mark und tut so, als ob er sich ein wenig in der Uhrzeit vertan hätte (3000 Mark sindauch für die Bauern in der damaligen Zeit ein Batzen Geld – die Inflation beginnt jaerst). Als der Verhörer ihm mit Gewissheit begegnet, gibt er aber nur dies zu. Warum derVerhörer dies dann einfach so akzeptiert, ist mir wirklich ein Rätsel.
Aber nichtnur dies, es sind auch andere – scheinbar belanglose - Bemerkungen. Ein Lügner lügt nichttotal zufällig, erfindet nicht irgendetwas, sondern ist bemüht, eine stringente und allesin allem zusammenhängende Darstellung zu geben. Das äußert sich in Antworten, die nichtgefragt worden sind, bemüht Zusammenhänge her zu stellen, zu dem was schon erzählt wurde,obwohl auch nicht gefragt, geschickt auf andere Themen ablenken.
Eine solcheSequenz, über die ich wirklich lange nachgedacht habe, ist die folgende. Ich möchte dazuexplizit um Resonanz bitten! Ich muss wissen, ob ich mich da in etwas hinein gesteigerthabe und einfach nur befangen bin.
Der Verhörer fragt ihn, ob er sich nichtgefürchtet hätte, in den Futtergang und ins Haus zu gehen. Er begründet seinen Mut dannso, das sein „Bub am VERHUNGERN sein müsse“.
Jetzt kommt es: Er kann dies dochnur dann vermuten, wenn er weiß, dass die Toten schon länger tot sind! (Ich weiß nichtgenau, wie lange es dauern würde, bis ein zweijähriges Kind verhungert, aber auch S. wirdgewusst haben, dass dies ein längerer Zeithorizont seinmuss).
Gegenthesen
Erstens mag S. dies – etwa durch den fehlenden Kirchgang –geschlossen haben. Zweitens ist das Verhör nach 9 Jahren durchgeführt worden. Beidesstichhaltig.
Oder drittens hat er dies am Zustand der Leichen erkannt. DieTotenstarre ist unter durchschnittlichen Zuständen nach ca. 10 Stunden vollständig, abersie löst sich nach 48 Stunden wieder. Egal in welcher Phase die Leichen waren, an sichist kein Rückschluss auf das Kind möglich, denn in 10 oder einigen mehr Stunden ist einKind noch nicht verhungert.
Meine Freundin ist Medizinerin und hat längere Zeitin der Pathologie gearbeitet. Sie meint, ein Mensch, der im Umgang mit Toten ungeübt ist,würde die lange Liegezeit schon erkennen: bestialischer Gestank, seltsame Hautfärbung,Aufdunsungen (Bauch), Gesamteindruck. An der Totenstarre eher nicht, weil dies ein Laienicht weiß.
Man kann es hin und her wenden, wie genau kann S. sich die Leichenangeschaut haben, hat er vielleicht doch Erfahrung im Umgang mit Toten durch den Kriegetc.
TROTZDEM
TROTZDEM: Für mich bleibt dies mit dem Verhungern eine – aufeiner tiefgründigeren Ebene – seltsame Antwort. Ursprünglich hat er ja auch seine Sorgeum „seinen Bua“ dafür angegeben, obwohl er vermutet hat, dass es nicht sein Kind ist.Psychologisch muss er eine Erklärung dafür geben, warum er über den Leichenfund nicht sogeschockt war. Das hat er erkannt, von daher zuerst die Sorge und Jahre später das mitdem Verhungern.
Man kann jetzt in dieser Richtung noch weiter denken. Der Täterwusste, die Entdeckung wird länger dauern, in dieser Zeit könnte das Kind qualvollverhungern. In dieser Bemerkung taucht das Wort „Mitleid mit dem Kind“ auf, also hat er….