Scarlett (26) beim Wandern im Schwarzwald verschollen
27.09.2020 um 10:02
Ich lese schon die ganze Zeit mit, da ich die Gegend (leider aber nicht den Abschnitt) relativ gut kenne. Ich war erst vor kurzem in der Wutachschlucht (Beginn Schluchtensteig) unterwegs. Meine Gedanken:
(a) Im Schwarzwald war dieses Jahr (coronabedingt) ziemlich viel los. Neben den normalen Touristen waren auch noch "stay home" Touris da. Die Hotels waren ziemlich gut ausgelastet, z.T. >90%, die Zeltplätze auch. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass v.a. die wohlbekannten Tourihotspots völlig überfüllt waren (Titisee, Schluchsee, Wutachschlucht, ....), wandern konnte man auf den nicht gehypten Strecken ziemlich gut, allerdings ist der Schluchtensteig ziemlich bekannt. Die Wutachschlucht war so überfüllt (v.a. am Wochenende), dass Einheimische gezielt aufgefordert wurden, die Schlucht zu meiden (sie war während des lockdowns komplett gesperrt, da man es nicht schafft, den geforderten Abstand zu halten).
Ich kann das als Tagestour machen, aber ich würde mal behaupten, dass man, um sicher ein Hotel zu bekommen (ohne Auto ist man nun auch nicht mobil) hätte vorbuchen müssen. Das heißt nicht, dass es gar nicht geht (wobei Einzelgäste sowieso nicht so gerne gesehen sind, da mit kleinen Doppelzimmern mehr Geld zu verdienen ist). Gerade Studenten "on budget" machen es oft so, dass sie nur jede zweite Nacht ins Hotel gehen (warme Dusche, warmes Essen) und sich in der zweiten Nacht mit wildcamping versuchen - auch auf dem Westweg. Dadurch ist man natürlich gezwungen, etwas vorzuplanen und vorzubuchen. Wenn man das nicht mag, muss man jeden Tag schauen, was verfügbar ist, was irgendwann wegen dem Duschen (die öffentlichen Bäder haben ja zu) auch doof wird.
(b) Der Schluchtensteig hat es vom Anspruch ganz schön in sich, wobei es Leute gibt, die sich gerne damit brüsten, dass sie 2 Etappen an einem Tag gelaufen sind. Die Wanderzeiten, die angegeben sind, würde ich für realistisch halten. Ich persönlich wandere viel und liege immer deutlich drüber (z.B. kürzlich für 12km statt der angegeben 4 Stunden 6 Stunden gebraucht und nur kurz Pause gemacht). Klar gibt es immer Leute, die schneller sind, es gibt aber v.a. einige Leute in einschlägigen Wanderforen, die da auch gerne etwas beschönigen, was die eigene Performance (Zeit, Kilometerzahl) angeht. Es sind oft sehr steinige und enge Wege, es kommen Leute entgegegen, man muss warten, es gibt tolle Fotooptionen, mitunter kommt man nicht in einen Rhythmus, weil der Weg recht holprig ist.
Wie gesagt - den Streckenabschnitt kenne ich persönlich nicht, aber z.B. die Wutachschlucht (die sehr populär ist) - da gibt es immer wieder enge Stellen, wo man nicht aneinander vorbei kommt, man muss warten, mitunter über Felsspalten etc. klettern, warten, bis Leute ein Foto geschlossen haben, etc. Dabei ergeben sich oft kurz kurze Gespräche, Blickkontakte, man schaut, ob der Gegenüber wartet, daher sehr seltsam, dass es so wenige Sichtungen gibt.
Daraus ergeben sich ein paar Dinge:
In diesen Schluchten wird es schon 1-2 Stunden vor Sonnenuntergang dämmrig und auch unangenehm klamm, d.h. eigentlich versucht man als erfahrener Wanderer, rechtzeitig loszukommen, weil man am Anfang den Zeitaufwand nicht realistisch abschätzen kann. Daher irritiert mich persönlich der Aufenthalt bei Edeka um 10 Uhr etwas. Das hängt nicht nur mit der erwarteten Endzeit der Wanderung zusammen, sondern auch, dass früh morgens die Natur wirklich am schönsten ist, man weniger Leute trifft und man auch weniger Leuten ausweichen muss.
Was mir so spontan eingefallen ist: Wir haben auch schon beim Wandern Leute getroffen, die irgendwie "seltsam" waren und die dann versuchen, sich anzuhängen. Unsere Taktik ist, dass wir dann spontan eine lange, ausgedehnte Essenspause machen um den Leuten einen großen Vorsprung zu verschaffen, so, dass wir sie auf der Strecke sicher nicht mehr treffen. Vielleicht hat sie am Vortag schon jemanden getroffen, der irgendwie seltsam war, dem erzählt, dass sie gaaaannnz früh los möchte und hat zur Sicherheit noch abgewartet, im Vertrauen, dass sie das mit ihrer Kondition wieder reinholt (am 6. Tag wusste sie ja, wie ihre persönliche Performance im Vergleich zur angegebenen Wanderzeit ist).
Da das die letzte Etappe war - der Schluchtensteig hängt an einem Wanderbus, der einen zu einem Verkehrsknotenpunkt und damit ggf. zum eigenen Auto bringt. Auch daher macht die späte Zeit keinen Sinn, da der Bus nicht regelmäßig fährt. Es gibt keinen rationalen Sinn, morgens zwei Stunden ungenutzt verstreichen zu lassen, die abends dann fehlen.
(c) Der Schluchtensteig ist zumindest in dem Teil, den ich kenne, gut erschlossen und wird auch fleißig beworben - gut markiert, Drahtseile an Gefahrstellen, gute Schilder, Brücken, klare Wege. Da kann man sich nicht verlaufen. Man hat jedoch auch wenig Alternativen in der Weggestaltung. Du steigst ja morgens in die Schlucht und abends wieder aus der Schlucht auf - das ist klar definiert, die 22km sind das, was das Maximum ist, was der Durchschnittswanderer gerne wandert - daher trifft man vermutlich auch öfter mal die gleichen Leute. Es gibt wenig und oft keine Alternativwege. Es ist oft so, dass, wenn man in die empfohlene Richtung läuft, einen massiven Aufstieg ab Ende spart - nach 22km ist kaum jemand böse, wenn er nicht am Ende noch mehrere hundert Höhenmeter überwinden muss, daher laufen die Leute oft in die angegebene Richtung.
Es gibt aber immer wieder Leute, die den Steig auch verkehrt herum wandern (z.B. bei uns im Freundeskreis ist es oft so, dass man mit zwei Autos losfährt, an Start- und Endpunkt parkt, sich auf der Mitte trifft, Schlüssel tauscht, mit dem Handy verständigt und dann wieder trifft, um die Autos zurückzutauschen, um vom Bus unabhängig zu sein). Daher etwas seltsam, dass sie niemand getroffen hat. Eigentlich trifft man immer Leute, v.a. in der letzten Ferienwoche bei gutem Wetter. Man überholt Leute oder wird überholt und eine junge Frau mit vollem Marschgepäck würde im Gedächtnis bleiben.
(d) In der Wutachschlucht hast du über weite Strecken keinen oder sehr sehr schlechten Handyempfang. Ich würde mal behaupten, dass das an anderen Stellen des Schluchtensteigs auch so ist. Die Wutachschlucht ist auch in Rettungssektoren eingeteilt, weil es oft sehr schwer ist, ohne GPS genau zu sagen, wo man ist - man überquert viele Brücken und Stege und irgendwann weiß man auch nicht mehr, wie lange man gelaufen ist - manche Streckenabschnitte schafft man viel schneller als andere ...
(e) Wir sind in der Wutachschlucht in einen kleinen Steinschlag geraten - nichts, was man dann hinterher gesehen hätte, es knallte und es krachten einige Felsbrocken herunter - die in unserer Nähe einschlugen. Auch so etwas sollte man bedenken. 10 Sekunden früher und wir wären eventuell getroffen worden.
Die Waldwege werden rutschig und matschig, auch wenn es ein paar Tage nicht geregnet hat (die Schluchten bekommen wenig Sonne, d.h. sie trocknen selten komplett ab) und der Matsch frisst sich dann auch ins Profil der Stiefel und man rutscht gerne mal. Dieses Jahr sind bestimmt viele Leute gewandert, nachdem die Schluchten wieder freigegeben waren.
Wir sind kürzlich auf einem Weg gelandet, wo man ziemlich eindeutig gesehen hat, dass einige Leute an verschiedenen Stellen ins Rutschen kamen. Der Weg hat uns auch ziemlich gebremst, da man langsam gehen musste, immer wieder blockierten umgestürzte Bäume vom Sturm am Anfang des Jahres den Weg und man musste eine Alternative finden - was nicht so einfach war. Mitunter hatte man an den Stellen selbst gar keine Probleme, aber an völlig anderen Stellen, daher würde ich nicht sagen, dass es klar definierte Problemstellen gibt.
In der Wutachschlucht stürzen immer wieder Leute ab, auch an sehr ungewöhnlichen Stellen. Ich erinnere mich z.B. an einen Gedenkstein für ein Kind, das wirklich auch zu Tode kam, obwohl es sehr leicht war und die Stelle ziemlich bewaldet und man gedacht hätte, dass es irgendwie aufgefangen wird. Also ausschließen würde ich es nicht. Zudem ist doch einiges an Bodenvegetation da, da kann man mitunter auch einen roten Rucksack übersehen.
(f) Schwarzwald TV würde ich persönlich nicht als verlässliche Quelle betrachten, da ist viel Effekthascherei dabei.
(g) Es ist gar nicht so einfach, im Schluchtensteiggebiet wild zu campen - die Hänge sind ziemlich steil, du brauchst ja eine einigermaßen ebene Stelle. Die Ranger/Förster/Jäger sehen das auch überhaupt nicht gerne, da es doch immer wieder Leute gibt, die im trockenen Wald ein Feuerchen machen oder ihren Müll zurück lassen. Man muss m.E. eher aus der Schlucht "aufsteigen".
Zudem ist es sicher sehr mühsam, den Weg mit einem 20+ kg Rucksack zu wandern (Zelt und Schlafsack brauchen ja ziemlich Platz, du brauchst Wasser und Proviant für den Tag, Kleidung, Regenschutz ....). Das zeigt auch die Entscheidung, dass sie zwei Nächte in einem Hotel verbrachte (zudem ist es so, dass St. Blasien aufgrund des Doms auch ein beliebter Tourihotspot ist und diesen Sommer war).
Man muss irgendwann wieder aus der Schlucht raus, Abfall entsorgen, Duschen, neu einkaufen, Trinkwasser auffüllen ... oder man macht das an den Gasthöfen (wird aber auch nicht gerne gesheen, da kann man auch schlecht Brotzeit/ Vesper für später kaufen), v.a. nicht als Vegetarierin (oft kleine fleischlastige Vesperkarte mit Wurstsalat, Gulaschsuppe, ....)
Ich persönlich kann mir wirklich zwei verschiedene Szenarien vorstellen: Das eine ist Szenario Unfall. Es reicht wirklich eine kleine Unaufmerksamkeit und man rutscht/ stürzt ab, ein kleiner Steinschlag.
Der Bergwacht kann man da keinen Vorwurf machen - es ist ja nicht klar, ob sie wirklich auf der Strecke unterwegs war (Sichtungen fehlen) - es gibt gerade im Spätsommer viel Vegetation und man sieht nicht unbedingt Rutschspuren. Als wir in der Wutachschlucht waren, sind uns auch Leute mit Flip-Flops entgegen gekommen, es waren vielleicht <1% ohne Wanderschuhe, aber man hat sich schon sehr gewundert.
Abseits der Wege ist das Gelände sehr unwirtlich, da kann man sich auch nicht abseilen und eine alternative Strecke gehen und die Schlucht von unten absuchen (zumal da meist ein Wildbach fließt). Es kann gut sein, dass sie wirklich verunfallt ist und dann im späteren Herbst gefunden wird, wenn die Gräser, Farne, etc absterben und die Pilzsucher ausschwärmen. Ich würde das für das realistischere Szenario halten.
Vor einigen Wintern ist nachts ein einheimischer Jäger, der seinen Wald wie eine Westentasche kannte, in seinem Waldstück erfroren, weil sein Auto nicht mehr ansprang, das Handy keinen Empfang hatte und er so unglücklich über eine Wurzel stolperte, dass er sich das Becken oder die Hüfte brach, als er einen Schleichweg nach Hause laufen wollte. Der Mann hattte großes Pech - trotz seiner Erfahrung. Gestern hat es hier das erste Mal geschneit, auch ein Mittelgebirge hat sehr unwirtliche Seiten.
Oder aber wirklich, dass sie jemand abgepasst hat, der sie am Tag vorher schon gesehen hat. 22km ist das, was die meisten Wanderer gerade sh schaffen, Der große Tourenrucksack hat ja bereits verraten, dass sie mehrere Tage unterwegs war, z.T. wild campte, ohne dass sie das jemanden auf die Nase binden musste.
Das muss dann aber (meine persönliche Meinung) vor dem Einstieg gewesen sein - auf der Strecke ein Verbrechen zu begehen und dann noch ein Opfer ggf. verschwinden zu lassen ist hochriskant, da die Strecke in den Ferien doch ganz ordentlich frequentiert ist (dennoch nicht ganz unmöglich, auch je nachdem, wie ortskundig man ist). Allerdings ist dieser Teil des Schwarzwaldes nun kein Verbrechenshotspot. Wir treffen oft einzelne Wanderer ... man redet kurz und geht dann weiter.