Ja, so ist es, und das hat auch einen guten Grund. Die Gesetze sind mit Absicht so streng, damit der Bürger hier vor unlauteren Methoden der Strafverfolgung geschützt wird. Das ist an sich eine gute und wichtige Funktion. Es ist Sache der hoffentlich professionell arbeitenden Polizei, diese Gesetze und Regeln einzuhalten und in ihrem Rahmen gute Arbeit zu leisten. Das wäre in diesem Fall ja auch ohne Weiteres möglich gewesen. Wir dürfen nicht vergessen: hier sind zwar die meisten, und wohl aus gutem Grund, der Meinung, Reiser ist der Täter, aber an seiner Stelle könnte auch ein Unschuldiger sitzen. Und diese muss das Gesetz schützen.
Schauen wir noch einmal, was passiert ist:
Ich zitiere hier noch einmal die Kernstellen aus dem Artikel von Le Parisien. Die genaueren Schilderungen und Begründungen, die Reisers Anwälte bei Gericht eingereicht haben, kennen wir natürlich nicht.
Le 8 janvier dernier, un expert judiciaire escorté par les enquêteurs de la PJ de Strasbourg se présente au domicile de Jean-Marc Reiser - mis en examen pour enlèvement, séquestration et assassinat et écroué. Sur ordre de la juge d'instruction en charge du dossier Le Tan, il doit « procéder à une analyse morphologique des traces de sang au niveau de la cave » et « procéder à des prélèvements » au même endroit.
Am 8. Januar begibt sich ein "forensischer Experte" (was immer das sein mag, in Deutschland vielleicht Kriminaltechniker genannt), begleitet von den Ermittlern der Kriminalpolizei von Strasbourg zur Wohnung des Reiser... Auf Anordnung des Untersuchungsrichters soll er eine "morphologische Analyse" der Blutspuren im Keller durchführen und am gleichen Ort auch einige dieser Spuren als Untersuchungsexemplare sicherstellen.
Das bedeutet, der Untersuchungsrichter hat hier klar die Blutspuren gemeint, die zuvor bereits bei der Durchsuchung durch die Polizei vorgefunden und gesichert worden waren. Oder anders gesagt: es wurden Blutspuren durch die Polizei im Rahmen einer Hausdurchsuchung gefunden und nun wird ein forensischer Experte entsandt, diese genauer zu untersuchen und Teile davon sicherzustellen, damit sie im Labor untersucht werden können.
Es geht aber nun weiter:
L'expert entre alors seul dans la cave n° 65 d'un immeuble de six étages en banlieue nord de Strasbourg. Il y découvre une scie, qui n'avait pas réagi au Bluestar – produit capable de révéler les traces de sang – lors de la perquisition des policiers. Cette fois-ci, elle s'illumine et l'expert décide de la placer sous scellés. Il emporte aussi une lame de scie et un tee-shirt.
Der Experte betritt den Keller allein. (Wo sich die anderen "Ermittler" zwischenzeitlich aufhalten wird nicht gesagt). Er sieht die Säge, die bei der vorausgegangenen Durchsuchung durch die Polizei nicht auf den Einsatz von Luminol (hier der Markenname Bluestar) reagiert hat. Er setzt offensichtlich noch einmal Luminol ein und dieses Mal reagiert es auf der Säge und zeigt Blutspuren an.
-Luminol, oder Bluestar, ist ein chemisches Mittel das unter einer bestimmten Beleuchtung Substanzen, die auch im Blut vorhanden sind, zum phosphorezieren bringt. Man kann damit Blutspuren finden, die mit dem blossen Auge nicht zu erkennen sind. Allerdings reagiert Luminol auch auf andere Substanzen als Blut, daher muss ein Gegenstand immer noch im Labor untersucht werden, wenn Luminol hier angezeigt hat. (Anmerkung von mir) -
Er stellt daraufhin die Säge, ein weiteres Sägeblatt und ein t-shirt sicher und nimmt diese mit zur Untersuchung im Labor. Dort stellt sich dann heraus, es ist Sophies Blut.
http://www.leparisien.fr/faits-divers/affaire-sophie-le-tan-menace-sur-des-preuves-accablantes-24-09-2019-8158965.phpUnd hier liegt nun das juristische Problem. Wie schon erwähnt schreibt § 57 der französischen Strafprozessordnung (Code de Procedure Penal) die Anwesenheit des Beschuldigten oder in Ausnahmefällen, zweier neutraler Zeugen bei einer Durchsuchung vor. Es ist ein Durchsuchungsprotokoll anzufertigen, das von diesen unterschrieben werden muss. Wird gegen diese Regel verstossen, dürfen die bei der Durchsuchung gefundenen Beweismittel nicht vor Gericht verwertet werden.
Tatsächlich, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, hätte man Reiser hier in seinen Keller bringen müssen, damit er der Durchsuchung beiwohnen kann, denn auch Untersuchungshäftlinge haben das Recht dazu (Urteil des obersten Gerichts, Strafkammer, (Cour d' assises, ch. crim.) vom 23.2.1988) - (Man erinnere sich, im Verfahren gegen Nordahl Lelandais wurde er immer zu allen Durchsuchungen etc. mitgeschleppt).
Warum diese Regel, die es auch in anderen Ländern gibt, z.B. in ähnlicher Form in Deutschland und auch in den USA?
Man will sicherstellen, dass der Beschuldigte der Polizei nicht vorwerfen kann, dass ihn belastende Beweismittel ihm untergeschoben wurden. Dieser Vorwurf wird dennoch auch heutzutage immer wieder erhoben, was zeigt, dass offensichtlich strenge Regeln notwendig sind, einerseits um Beschuldigte zu schützen, andererseits um die Polizei zu schützen.
In letzter Zeit gab es einige sehr bekannte Prozesse, in welchen genau solche Vorwürfe erhoben wurden, z.B. gegen Steven Avery, der behauptete Blut sei von der Polizei an bestimmten Stellen platziert worden, oder gegen O.J. Simpson, wo behauptet wurde, die Polizei hätte einen blutigen Handschuh in seinem Garten platziert usw.
Als Jurist bin ich schon überrascht, dass dieser Techniker hier allein im Keller gewesen ist. Schon im Buch "Das Recht der Polizei" (Le droit de la police, LITEC 1991) wird darauf hingewiesen, dass ein Ermittler bei einer Wohnungsdurchsuchung niemals allein sein soll, schon um sich selbst vor dem Vorwurf eines Diebstahls schützen zu können. Das sollte also Grundwissen sein, was vermutlich allen Beamten eingehämmert wird. Warum hier der Techniker allein im Keller war ist umso unverständlicher.