Der Tatablauf, so wie er sich im Ergebnis der gerichtlichen Vorverhandlung vom 19., 20., 21.12.2017 gegen die drei Angeklagten, die Brüder George und Alfred Degiorgio und Vincent Muscat, darstellt:Die maltesischen Medien haben teilwiese live - im Chat-Stil - berichtet, teils zusammenfassend. Dabei gibt es in den Berichten immer wieder kleine Abweichungen und Unstimmigkeiten. Ich habe mich bemüht, aus der Times, der Today und dem Independent eine Art Synopse zu erstellen und die Zeugenberichte primär chronologisch und sekundär thematisch zu sortieren. November 2016 (also fast ein Jahr vor Tat!):
Von einem Nokia 105 aus werden binnen weniger Minuten drei Prepaid-SIM-Karten von Vodafone Malta aktiviert. Eine Karte wird später in die Empfangseinheit der Bombe verbaut werden, ich nenne sie im Weiteren "Bomben-SIM". Über eine weitere Karte wird am Tattag eine SMS gesendet, die die Bombe zur Explosion bringen wird, ich nenne sie "Sender-SIM". Sie verbleibt durchgängig im besagten Nokia 105. Von der dritten Karte aus, ich nenne sie "Nachrichten-SIM", wird am Tattag, wenige Minuten vor der Explosion, der Täter angerufen, der dann die totbringende SMS über die "Sender-SIM" an die "Bomben-SIM" schickt. Nach ihrer Aktvierung bleiben die Karten über Wochen offline.
10. Januar 2017:
Die "Sender-SIM" und die "Bomben-SIM" gehen für wenige Stunden ans Netz. Zwischen beiden werden einige SMS ausgetauscht. Danach gehen beide Karten wieder bis August vom Netz.
17. Juni 2017:
Daphne schließt einen Leasingvertrag mit einer Laufzeit von fünf Jahren über einen Neuwagen ab. Da der Wagen eine erhebliche Lieferzeit hat (Linkslenker!), erhält sie vorläufig den Peugot 108, in dem sie zu Tode kommen wird. Ein Zweitschlüssel verbleibt bei der Leasing-Firma. Daphne stellt den Wagen vorwiegend in einer zu ihrem Haus gehörenden Garage ab, ihr Sohn Matthew hingegen, der den Wagen ebenfalls ab und an nutzt, stellt ihn zumeist vor der Haustür ab.
August 2017:
Das "Sender-Handy" und die "Bomben-SIM" gehen gemeinsam für einige Stunden ans Netz und tauschen SMSs aus. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die "Bomben-SIM" bereits in einem GSM-Modul, das üblicherweise für Fernsteuerungen benutzt wird. Danach werden die beiden SIM-Karten bis zum Tattag nicht mehr benutzt.
16. - 25. September 2017:
Daphnes Wagen befindet sich aufgrund eines kleineren Unfalls nebst Blechschaden in einer Werkstatt. Dabei kommt es wiederholt zu Verwechselungen mit dem Schlüsseln. Es gibt jedoch keine Anzeichen für eine gezielte Manipulation mit den Schlüsseln oder die Fertigung von Kopien.
07., 08., 09., 11., 12., 13., 14. Oktober 2017:
Die privaten Handys von Alfred und Vincent befinden sich über jeweils längere Zeiträume im Bereich des Mobilfunksenders von Bidnija, also dem Ort, in dem Daphne wohnte. An den meisten Tagen ist zeitgleich auch das "Nachrichten-Handy" dort eingeloggt. Am 09. Oktober ist auch das Handy von George dort eingeloggt.
Um diese Zeit fällt Anwohnern wiederholt ein weißer Kleinwagen, vermutlich ebenfalls ein Peugot 108 auf, der nördlich von Mosta vor der tat-Tarġa Battery abgestellt ist. Die Battery ist eine verfallene Artillerie-Stellung vom Ende des 19. Jahrhunderts, von der aus nie Schuss abgegeben wurde (
Wikipedia: Tarġa Battery ). Von dort hat man einen weiten Blick auf Daphnes Haus und die Straße von Mosta nach Bidnija, an der der Tatort liegt.
Original anzeigen (1,2 MB)15. Oktober 2017, der Tag vor der Tat:
George erzählt einem Freund, er beabsichtige am kommenden Tag zum Angeln mit seinem Boot herauszufahren.
Die Handys von Alfred und Vincent sind neuerlich im Bereich des Sendemasts von Bidnija eingeloggt.
Daphne fährt mit ihrem Wagen zu einem Cafe in die Ortschaft Naxxar, wo sie sich später mit ihrem Mann und ihrem Sohn Matthew trifft. Während die Eheleute im Wagen des Mannes weiterfahren, fährt ihr Sohn mit Daphnes wagen zum Schwimmen. Er stellt ihn abends vor dem Haus ab.
16. Oktober 2017, ein Montag, der Tattag:
01:41 Uhr:
Im Bereich des Mobilfunk-Sendemasts von Bidnija geht die "Bomben-SIM" ans Netz. Weniger Minuten später wird dort auch das "Nachrichten-Handy" eingeschaltet. In den gleichen Masten sind auch die privaten Handys von Alfred und Vincent eingeloggt.
04:00 Uhr:
Das Handy von Alfred geht in Bidnija vom Netz.
kurz vor 08:00 Uhr:
Das "Sender-Handy" geht im westlichen Bereich des Grand Harbour unterhalb von Valletta ins Netz (
Wikipedia: Grand Harbour ). Dort befindet sich das Lagerhaus, das die Brüder angemietet haben. Dort ist auch der Liegeplatz ihrer beiden Motor-Boote, der Maya und der Ducu. Das Handy bewegt sich dann in Richtung Hafenausfahrt.
Original anzeigen (1,4 MB)08:00 Uhr:
Eine Überwachungskamera erfasst die Maya als sie aus dem Hafen ausläuft und dann nach Norden abdreht. Die Maya, eine Wellcraft Martinique 200 (
https://www.google.de/search?q=Wellcraft+Martinique&tbm=isch&tbo=u&source=univ ), ist auf George registriert.
In den folgenden acht Stunden bewegt sich das "Sender-Handy" kreisförmig, gegen den Uhrzeigersinn, durch den Bereich diverser küstennaher Sendemasten entlang der gesamten Insel und umrundet diese etwa einmal pro Stunde.
Vodafone beginnt mit Wartungsarbeiten an mehreren Sendemasten, darunter auch dem in Bidnija. Er bleibt bis 16:00 Uhr abgeschaltet. Dies hätte Daphne für diesen Tag das Leben retten können. Der Sendemast im nahen Mosta ist jedoch (leider) leistungsfähig genug, um auch die Versorgung von Bidnija zu übernehmen.
Vormittags:
Einem Anwohner fällt ein weiteres Mal der weiße Kleinwagen vor der tat-Tarġa Battery auf.
Nachmittags:
George ruft von seinem privaten Handy aus bei einem Freund an und bittet diesen, dringend einen Guthabenbetrag auf das "Sender-Handy" aufzuladen. Dieses und weitere Telefonate werden vom maltesischen Secret Service mitgeschnitten. Wie lange und warum sein Telefon angezapft wurde, bleibt im Dunkeln. Die Verteidigung opponiert nicht; offenbar liegt der notwendige richterliche Beschluss vor.
Georges Bekannter kann ihm nicht helfen, gibt ihm aber einen Tipp, wie er eine Art "Notfallaufladung" veranlassen kann (offenbar ein Handy-zu-Handy Guthabenübertrag oder dergl.). George ruft daraufhin einen weiteren Bekannten an und bitte ihn, diese Form der Aufladung durchzuführen. Eine Minute später werden dem "Sender-Handy" 5,- € gutgeschrieben.
14:30 Uhr:
Daphne führt ihr letztes Telefonat mit ihrem Handy.
14:52 Uhr:
Die Maya wird von einer Überwachungskamera an einem küstennahen Denkmal in Valletta, der Great Siege Bell, erfasst. (
http://mymalta.guide/other-landmarks/siege-bell-war-memorial ) Und zwar neuerlich im Bereich der Einfahrt zum Grand Harbour. Der Bereich wird von einem Mobilfunk-Sendemast nahe dem YMCA-Hostel in Valletta abgedeckt.
14:55 Uhr:
Daphne verlässt zum ersten Mal an diesem Tag ihr Haus und geht zu ihrem Wagen.
Von dem "Nachrichten-Handy" wird über den Sendemast in Mosta eine Sprechverbindung zu dem Handy von George aufgebaut. Dieses ist - ebenso, wie das "Sender-Handy" - in den Mast beim YMCA-Hostel eingeloggt. Das Gespräch dauert 44 Sekunden.
Die Maya stoppt auf.
Daphne kehrt um und geht zurück ins Haus, da sie das Scheckbuch ihres Mannes vergessen hat.
14:57 Uhr:
Daphne verlässt neuerlich ihr Haus, steigt in ihren Wagen und fährt los.
Von dem "Nachrichten-Handy" wird wiederum eine Sprachverbindung zu dem Handy von George aufgebaut, diesmal für 107 Sekunden.
14:58 Uhr:
Noch während die Sprachverbindung besteht, wird von dem "Sender-Handy" eine SMS an die SIM-Karte in der Bombe gesendet.
Ein Autofahrer der auf der Straße von Mosta nach Bidnija Daphne entgegen kommt, hört einen Knall und beobachtet, wie explosionsartig weißer Qualm unter ihrem Fahrzeug aufsteigt. Danach beschleunigt ihr Wagen stark. Der Zeuge glaubt auch eine Panik-Reaktion bei der Fahrerin zu sehen. Im gleichen Moment erfolgt eine zweite Explosion. Der Wagen schießt über den Straßenrand und kommt brennend in einem Feld zu stehen.
Ein weiterer Augenzeuge, der mit seine Wagen ein Stück hinter ihr fuhr, bestätigt, dass einer großen Explosion im Fahrzeug eine vergleichsweise kleinere voranging. Auch wollen mehrere "Ohrenzeugen" zwei Explosionsgeräusche hintereinander gehört haben.
Im Moment der Explosion geht die "Bomben-SIM" vom Netz.
Die Sprechverbindung wird getrennt.
15:00 Uhr:
Das "Nichtrichten-Handy" geht (dauerhaft) vom Netz.
Die Maya nimmt wieder Fahrt auf und umrundet ein weiteres Mal die Insel.
Ein Zeuge beobachtet etwas abseits des Tatorts einen weißen Kleinwagen, dessen Fahrer interessiert die Szene beobachtet und dann davon fährt.
15:20 Uhr:
Das Handy von Alfred geht in einer Ortschaft im Westen von Malta, einige Kilometer vom Tatort entfernt, wieder ans Netz.
15:30 Uhr:
George sende von seinem privaten Handy eine SMS an seine Freundin: "Mach mir eine Flasche Wein auf, Baby". Kurz darauf sendet er eine weitere SMS an einen Freund und berichtet, er habe zwei große Fische geangelt.
16:00 Uhr:
Die Maya wird von einer Überwachungskamera an der Hafeneinfahrt erfasst, als sie wieder in den Grand Harbour einläuft. Im Fahrstand ist deutlich George zu erkennen.
nach 16:00 Uhr:
Das "Sender-Handy" geht (dauerhaft) vom Netz. Es befindet sich zum Zeitpunkt des Abschaltens im Bereich eines Sendemasts, der das Lagerhaus der Brüder und den üblichen Liegeplatz der Maya abdeckt.
17. Oktober 2017:
Ein Spurensicherungs-Team der niederländischen Polizei trifft auf Malta ein und beginnt noch am gleichen Tag mit Tatortarbeit.
Nach Abschluss der Spurensicherung am Tatort wird auch die tat-Tarġa Battery nach Spuren abgesucht. Dabei wird eine Zigaretten-Kippe gefunden, an der eindeutig Alfreds DNA nachgewiesen werden kann.
19. Oktober 2017:
Ein Team vom FBI trifft auf Malta ein und beginnt mit der Auswertung der Funkzellen-Daten.
21. Oktober 2017:
Die maltesische Regierung setzt auf die Ergreifung der Täter eine Belohnung von 1 Million Euro aus.
Ende Oktober 2017:
Die Ermittler zerlegen einen Peugot 108 - baugleich zu dem Wagen, den Daphne fuhr - in seine Einzelteile um bestimmen zu können, welches der kleinen und kleinsten Trümmer- und Splitterteilen zum Fahrzeug und welches zur Bombe gehört.
Die Experten sind sich einig, dass die Bombe im Inneren des Fahrzeugs und zwar unter dem Fahrersitz deponiert war.
Teile mit Sprengstoffrückständen werden zur Analyse an ein oder mehrere, namentlich bisher nicht genannte, Kriminallabors in der EU verschickt. Es handelt sich um einen "organischen" Sprengstoff (zur Unterscheidung von anorganischen Sprengstoffen wie z.B. Schwarzpulver). Zum genauen Typ und der Herkunft macht die Polizei keine Angaben in der Verhandlung.
Es werden die Aufzeichnungen von zahlreichen privaten Überwachungskameras beschlagnahmt, die ggf. Daphne Wagen in den Tagen vor der Tat aufgezeichnet haben und/oder Aufschluss über den verdächtigen weißen Kleinwagen geben können. Bzgl. Daphne Wagen erklärt die Polizei man habe ihn an in Übereinstimmung mit den Angaben der Familie auf dem Videomaterial von verschiedenen Orten identifizieren können. In keiner der Aufzeichnungen sind verdächtige Annäherungen oder drgl. zu sehen. Bzgl. des weißen Kleinwagens herrscht Schweigen.
04. Dezember 2017:
Zehn Verdächtige, darunter Alfred, George und Vincent, werden festgenommen. Bei der Durchsuchung des Lagerhauses der Brüder werden insgesamt acht Handys gefunden. Darunter ist auch ein teilweise geöffnetes Nokia 105. Neben dem Gerät liegen der Akku und die "Nachrichten-SIM".
Im Hafenbecken vor dem Lagerhaus werden drei weitere Handys gefunden. Eines lässt sich Vincent, zwei George zuordnen. Das "Sender-Handy" und das zuletzt von George privat genutzte Handy bleiben jedoch vorläufig verschwunden.
In Alfreds Wohnung werden € 4.800,- in bar gefunden.
Quellen:
http://www.maltatoday.com.mt/news/court_and_police/83237/daphne_caruana_galizia_murder_compilation_evidence_20171221https://www.timesofmalta.com/articles/view/20171221/local/live-caruana-galizia-murder-third-day-of-evidence.666190?utm_source=tom&utm_campaign=top5&utm_medium=widgethttp://www.independent.com.mt/articles/2017-12-21/local-news/Live-Compilation-of-evidence-in-Daphne-Caruana-Galizia-murder-trial-continues-6736182864Innerhalb der drei vorstehend verlinkten Artikel finden sich auch jeweils Links auf die Berichte zu den Verhandlungen an den Vortagen.