-Alexa- schrieb:Bitte nicht den Fehler machen und das eine gegen das andere aufrechnen. Traumatisch ist die Gesamtsituation, das Erleben der Gewalt, der Unsicherheit und Hilflosigkeit.
Ich arbeite u.a. beruflich mit dieser "Zielgruppe" und ich kann dir aus eigener Erfahrung (und nein, ich bin nicht beim Jugendamt) versichern, dass da nichts "aufgerechnet" wird. Und ja ... es gilt für das Jugendamt oft das kleinere Übel zu wählen - das Trauma zu Hause oder das Trauma der Fremdunterbringung.
Es ist oft so, dass der "Zugriff" in der Schule erfolgt. Da kommt also das Jugendamt in die Schule und nimmt das Kind unmittelbar aus dem Unterricht mit. Für das Kind ist der Alltag nun ein komplett anderer, und das, ohne dass eine Vorwarnung (für das Kind ist das, was er erlebt hat, ja erst einmal "normal", so grausam dieser "normale Alltag für uns sein mag) für das Kind erfolgt, oder ein Abschied.
Dann folgt die Fremdunterbringung. Je nach Geschwisterkonstellation etc. oft auch getrennt von den Geschwistern. Das "Klientel" in solchen Unterbringungseinrichtungen ist oft entsprechend, es gibt Bezugspersonen, die jedoch im 3-Schicht-System anwesend sind, auch mal Urlaub haben, krank sind und damit einfach ausfallen. Wenn man mit Problemen von Elternseite rechnet, erfolgt oft auch ein Schulwechsel und eine Unterbringung, die verhindert, dass sich Eltern und Kind sehen, d.h. entfernt von der normalen Umgebung - und das, ohne dass es zwischen den beiden Rücksprachen gibt, da die Eltern natürlich oft in dem Moment versuchen, das Kind zu instrumentalisieren oder moralisch unter Druck zu setzen "wenn du sagst, es war nicht schlimm, muss der Papa nicht ins Gefängnis, dann wird alles wunderschön". Glaub mir, solche Kinder leiden ganz extrem und kommen in sehr extreme Konflikte, da sie manipuliert werden, ihr Zuhause vermissen, die Freunde, die Schule. Es ist nicht die Trägheit des Jugendamtes, es ist für jeden Sachbearbeiter ein ernstes Abwägen der Umstände ...
Dann gibt es noch andere Fälle - Freunden (die als Pflegefamilie arbeiten passiert) - sie bekommen ein verstörtes, entwicklungsverzögertes Kind praktisch vor die Haustür gesetzt. Mit unendlich viel Liebe und Zeit fördern sie das Kind und führen es in ein bürgerliches Leben ein, mit bunten Geburtstagsparties, Ausflügen in den Tierpark, "Geschwistern" (die Kinder unserer Freunde), gemeinsame Mahlzeiten, Flötenstunde, Hobbys, altersgerechte Spielsachen ... Die Mutter des Kindes setzt alles daran, ihr Kind wieder zu bekommen, trennt sich vom gewaltätigen Vater, mietet eine eigene Wohnung ... den Standard, den die Pflegefamilie bietet, kann und wird sie nicht erreichen. Dennoch erreicht sie einen Standard, dass das Kind zurückgeführt wird ... das Kind fühlt sich emotional jedoch schon in der Pflegefamilie daheim, nennt die Pflegemutter Mama, hat die Vergangenheit eher verdrängt ... auch dieses Kind leidet wahnsinnig, da es nun ein anderes Leben kennengelernt hat.
Was es bei uns auch schon gab war, dass die Eltern die Fremdunterbringung als Erleichterung ansahen, sich emotional sehr schnell von den Kindern verabschiedet haben, kein Interesse daran hatten, Auflagen zu erfüllen, feiern gingen, Termine verpassten, die Mutter schnell wieder schwanger wurde ... auch das gibt es. Da hat die Fremdunterbringung die Familienstruktur einfach zerstört. Klar kann man nun argumentieren, dass es in dem Fall sicher für das Kind doch das Beste war ... es ist aber so, dass das Kind das so nie sehen wird, für das Kind ist dann die Fremdunterbringung Schuld, nicht die Eltern, und das Kind beginnt die Einrichtung, in der es nun viele Jahre verbringen wird, zu hassen und der Abstieg kommt sehr viel schneller als er in der "normalen Umgebung" erfolgt wäre.
Natürlich ist die Fremdunterbringung oft wichtig und richtig. Es ist jedoch so, dass es sich hierbei und kleine Menschen mit Gefühlen, Bindungen und Emotionen handelt, die man nicht wie einen Erdbeerableger einpflanzen kann und es geht gut. Hinterher ist es immer so, dass du sagst "war doch klar". Der Sachbearbeiter hat bis zu 60 Fälle, von denen keiner "normal" ist, zu bearbeiten, abzuwägen, zu entscheiden, auf der Grundlage der Dinge, die ihm vorliegen. Hier lag dem Jugendamt wohl noch nicht mal etwas vor.