Magier Jan Rouven in Las Vegas: Verurteilt - das Ende einer Karriere
15.11.2016 um 09:22
Man höre und staune, der Prozess hat tatsächlich begonnen. Und da Rouven ja auf eine Jury verzichtet hat, gibt es logischerweise auch keine Juryauswahl, d.h. es konnte sofort mit dem Eingangsstatement der Anklage begonnen werden.
In Deutschland nennt man das "Verlesung der Anklageschrift," in den USA ist das ein wenig anders, hat aber das gleiche Ziel: der Bundesanwalt referiert hier frei und verliest nicht, er fasst in seinem statement den Fall zusammen und spricht in der Regel die Beweispunkte an, die er dem Gericht beweisen will.
Anders als in Deutschland hat auch der Angeklagte Gelegenheit, ein solches "opening statement" abzugeben - bzw. der Verteidiger. Er kann dieses Recht aber auch zurückstellen, bis die Beweisaufnahme der Anklage beendet ist.
Das hat Marchese hier getan. Die Anklage wird also zunächst ihre Beweisaufnahme durchführen und dann wird Marchese sein opening statement abgeben, bevor er seinerseits in die Beweisaufnahme eintritt.
Der Anklagevertretung obliegt es also nun, den Fall so darzustellen, dass sie stichhaltige Beweise liefert, dass Rouven die zur Last gelegten Taten begangen hat.
Sie kann das durch Beweismittel und Zeugen tun. Dabei gilt der Grundsatz, dass der Bundesanwalt nichts behaupten darf, was er nicht durch Beweismittel oder Zeugen belegen kann.
Bei beiden gilt: sie müssen relevant für den Prozess sein und dürfen den Angeklagten nicht unfair in ein falsches Licht stellen. Ich hatte das weiter oben schon einmal erklärt.
Beweismittel müssen authentiziert werden (authenticated), das heisst, man muss nachweisen, dass es sich um die Dinge handelt, die man vorgibt, und dass sie nicht irgendwie verändert werden konnten. Auch alle weiterführenden Zeugen oder Beweismittel müssen auf der authenication aufbauen:
Zum Beispiel ein KP-Video, angeblich gefunden auf der Festplatte des MacBooks im Poolhaus. Die Anklage muss nun Zeugen bringen, die bestätigen, dass
a) das MacBook dort gefunden wurde
b) Die untersuchte Festplatte die dieses Macbooks ist
c) Das KP-Video von dieser Festplatte stammt
d) die "chain of custody" eingehalten wurde, das heisst, dass das Beweismaterial seit der Sicherstellung nicht Unbefugten zugänglich gewesen ist.
Das muss mit jedem einzelnen Beweisstück gemacht werden. Dem Zuschauer -oder dem Jurymitglied- kann es dabei schnell grottenlangweilig werden, aber das ist ein zentraler Bestandteil des amerikanischen Verfahrens. Die Verteidigung kann allerdings das ab und zu abkürzen durch eine "stipulation," das heisst sie erklärt, keinen Widerspruch zu der Behauptung einzulegen und dadurch wird die langwierige authentication überflüssig.
Wenn das Beweismittel authentiziert ist, wird es in das Protokoll als "exhibt" mit einer Nummer eingetragen, das liest sich dann so: "People's exhibt no.1" usw... (Beweismittel der Anklage Nr. 1...)
Bei Zeugen ist das genauso: sie müssen darlegen, dass sie mit eigenen Augen gesehen haben, wovon sie berichten.
Experten dagegen dürfen auch Schlussfolgerungen ziehen, die nicht augenscheinlich sind. Um als Experte zugelassen zu werden muss man jedoch nachweisen, dass man Experte ist. Man muss darstellen, welche Bildung, Ausbildung, und Erfahrung einen zum Experten macht. Das wurde im Vorverfahren geklärt.
Die Beweisaufnahme liegt, ganz anders als in Deutschland, in der Hand der Parteien. Im Rahmen des oben Gesagten ist es dem Bundesanwalt nun allein anheimgestellt, was er der Richterin hier präsentiert. Im Gegensatz zum deutschen Verfahren, wo der Richter 99% der Fragen stellt, wird sie hier gar keine Fragen stellen.
Sie wird nur in die Präsentation eingreifen, wenn die Verteidigung gegen eine Formulierung, eine Frage, eine Darstellung usw. der Anklage "Einspruch" (objection) erhebt, weil diese rechtswidrig sei.
In so einem Fall wird sie evtl. der Bundesanwaltschaft Gelegenheit geben zu erklären, warum diese der Meinung ist, die Frage etc. sei zulässig, und dann sofort entscheiden.
Die Verteidigung darf keine Zwischenfragen stellen, aber sie hat das Recht jeden Zeugen ins sogenannte "Kreuzverhör" zu nehmen (cross examination), wenn die Befragung durch den Anklagevertreter beendet ist. Dieser darf wiederum darauf den Zeugen vernehmen um etwas klarzustellen (rebuttal) und die Verteidigung darf auch darauf noch einmal den Zeugen ansprechen (re-cross). Das heisst, eine Zeugenbefragung geht in etwa nach folgendem Schema vor:
1) Staatsanwalt befragt den Zeugen. Am Ende der Befragung "übergibt" er den Zeugen an die Verteidigung: "your witness"
2) Verteidiger befragt den Zeugen zu Punkten, zu welchen er eben ausgesagt hat, bzw. zu seiner allgemeinen Glaubwürdigkeit. Am Ende sagt er zum Richter: "No more questions, Your Honor." Der Richter wendet sich dann an den Staatsanwalt: "Rebut?"
3) Will der Staatsanwalt eine Aussage des Zeugen von eben klären, kann er das jetzt tun. Anschliessend kann der Verteidiger noch einmal darauf eingehen. Dann ist der Zeuge fertig und wird entlassen. Beide Seite können aber beantragen, dass der Zeuge später noch einmal zu etwas anderem vernommen wird.
Hier mal ein kurzes einfaches Beispiel eines solchen Kreuzverhörs:
FS=Frage Staatsanwalt A: Antwort des Zeugen FV: Frage des Verteidigers
1) Direct: FS: Was haben Sie um ein Uhr an dem Dienstag von ihrem Fenster aus gesehen?
A: Ich habe gesehen dass der Angeklagte das Opfer von hinten mit einem Hammer erschlagen hat. Er kam direkt von der A-Strasse und lief auf das Opfer zu. Das stand in dem Moment an der Ampel und wartete die B-Strasse zu überqueren.
FS: Wo waren Sie genau?
A: An meinem Fenster das genau auf die Kreuzung A-Strasse und B-Strasse blickt.
FS: Danke. Keine weiteren Fragen.
2) Cross: FV: Tragen Sie eine Brille?
A: Ja, ich bin kurzsichtig.
FV: Haben Sie um ein Uhr, als sie aus dem Fenster sagen Ihre Brille aufgehabt?
A: Äh nein...
FV: Danke. Keine weitere Frage.
3) Rebuttal: FS: Tragen Sie manchmal Kontaktlinsen?
A: Ja
FS: Trugen Sie Ihre Kontaktlinsen um ein Uhr am Dienstag?
A: Ja.
4) Recross: FV: Entsprechen Ihre Kontaktlinsen der Sehschärfe, die Sie benötigen?
A: Äh... nein
FV: Haben Sie den Mann unten auf der Strasse ganz scharf und deutlich erkennen können, mit Kontaktlinsen, die nicht Ihrer Sehschärfe entsprechen?
A: Na ja, eigentlich nicht, ich meine, ich habe da einen Mann gesehen...
FV: Danke!
Dieses Hin und Her kann es also mit allen Zeugen geben, Augenzeugen und Experten. Das kann tagelang so gehen und alle Beteiligten frustrieren, es geht aber darum, ganz klar die Wahrheit herauszukristallisieren.
Am Ende der Beweisaufnahme der Anklage wird diese dann verkünden, dass sie die Beweisaufnahme abgeschlossen hat: The people rest.
Dann wird Marchese sein opening statement abgeben und dann beginnt die Beweisaufnahme der Verteidigung. Dann kann er seine Zeugen und Beweismittel vorbringen. Die Bundesanwaltschaft hat dann das Recht auf Kreuzverhör.
Marchese kann allerdings vorher beantragen, den Prozess zu beenden, weil es "offensichtlich ist, dass die Anklage ihre Beweispflicht nicht erfüllt habe." Stimmt die Richterin zu, ist der Prozess hier schon zu Ende und Rouven wird freigesprochen.
Das kommt aber so gut wie nie vor. Es wirft aber noch einmal deutlich das Licht auf den ehernen Grundsatz amerikanischen Rechts: die Anklage muss die Taten jenseits jedes vernünftigen Zweifels nachweisen ("beyond any reasonable doubt"). Der Angeklagte braucht weder selbst aussagen noch Zeugen oder Beweise vorbringen.
Und letztens: Rouven braucht generell nicht aussagen. Tut er das aber, und Marchese hat ja angedeutet, dass er das tun wird, dann ist er dem oben beschriebenen Kreuzverhör ausgesetzt. Nur in diesem Fall also kann der Bundesanwalt ihm direkt Fragen stellen, die er dann auch beantworten muss.
Leider habe ich selbst diese Woche Prozesstermine, so dass ich befürchte, nicht diesem Prozess beiwohnen zu können. Vielleicht klappt es aber. Dann werde ich natürlich direkt berichten.