@yasumi Das ist eine gute Frage. Zuerst einmal: richtig, die Juroren werden weder von der Aussage hören, noch davon, dass Alfter generell die Aussage verweigert, und sie werden auch die Anklageschrift nie sehen.
Gehen wir nun mal davon aus, dass alle Juroren noch nichts von dem Fall gehört haben, und Rouven auch nicht kennen, und also gar nicht wissen, dass er verheiratet - und vor allem dass er schwul ist. Ob diese Vorstellung realistisch ist, ist eine andere Frage, aber tun wir mal so.
Dann käme es zunächst darauf an, wie relevant die Tatsachen sind, also, dass Rouven verheiratet ist, mit wem er verheiratet ist, dass er schwul ist etc.
Und zweitens, welche Seite welches Interesse daran hat, dass die Jury davon erfährt oder nicht.
In den USA ist die allererste Frage in der Beweisaufnahme immer die nach der Relevanz. Eine Frage (bei einer Zeugenvernehmung, bzw. ein Beweisstück, bei einem Sachbeweis) muss eine Relevanz zu den grundsätzlichen Fragen haben: mit anderen Worten, muss geeignet sein, eine Antwort auf die Schuldfrage zu geben. Ist die Relevanz nicht gegeben, wird der Richter die Frage, den ganzen Zeugen, oder den Sachbeweis nicht zulassen.
Beispiel: Erinnern wir uns an Theodor, den Masskrugschläger. Der Staatsanwalt stellt nun die Frage: Sind sie Bayern München Fan? Die Frage ist komplett irrelevant für die Frage, ob er Oskar den Masskrug über den Kopf gehauen hat. Natürlich stellt ein Anwalt normalerweise solche Fragen gar nicht erst. Aber nehmen wir mal an, dass der Fall in München spielt, nahezu alle Juroren Bayern fans sind und Theodor Anhänger von 1860 ist. Der Staatsanwalt hofft, Theoder in den Augen der Jury ein wenig unsympathisch zu machen. Der Richter wird die Frage nicht zulassen.
Nun kommt es allerdings weitaus häufiger vor, dass eine Frage durchaus relevant sein kann, aber die Frage noch weitaus mehr geeignet ist, in der Jury ein falsches Bild vom Angeklagten hervorzurufen: hier wird es komplizierter:
Nehmen wir mal an, der Staatsanwalt fragt Theodor: Schlagen Sie eigentlich immer noch ihre Frau?
Klar ist, eigentlich hat das nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun. Andererseits: ein Täter, der bekannt dafür ist, dass er seine Frau immer mal schlägt, neigt offensichtlich zu Gewalt, und daher könnte das relevant sein für die Frage, wer den armen Oskar niedergeschlagen hat. Also, soll der Richter die Frage zulassen?
Keineswegs, wird der Verteidiger sagen: ja, sie mag relevant sein, aber noch viel mehr wird die Frage und ihre Antwort die Jury aus 6 Frauen, 3 männlichen Softies mit feministischer Grundeinstellung und 3 konservativen Christen, die sich erinnern, dass Paulus verlangt, die Ehefrau immer zu respektieren, gegen Theodor aufbringen. Wie wird der Richter entscheiden?
Er wird die Frage nicht zulassen, da eine direkte Relevanz nicht gegeben ist, nur eine indirekte, und die Frage geeignet ist, die Jury voreingenommen zu machen.
So. Soweit, so gut.
Nun zu Rouven. Versuchen wir mal die Fragen dem gleichen Masstab zu unterwerfen:
Frage der Staatsanwaltschaft: Sind Sie verheiratet? Mit wem?
Soll die Verteidigung protestieren? Ist die Frage relevant? Jein - für die Staatsanwaltschaft eigentlich weniger. Sie will ja Rouven überführen, eigentlich stört dabei die mögliche Anwesenheit einer weiteren Person mit möglichem Zugang zu den Computern im Haus.
Andererseits, selbst im liberalen Las Vegas könnte es sein, dass die Jury Vorurteile gegen Schwule hat: "sind nicht die meisten Kinderschänder schwul?"
(Übrigens: die Diskussion zwischen den Anwälten und dem Richter, ob eine Frage erlaubt ist, findet immer ausser Hörweite der Jury statt, sonst hätte das ja keinen Sinn).
Man könnte also davon ausgehen, die Verteidigung will verhindern, dass die Jury überhaupt erfährt, dass Rouven mit Alfter verheiratet ist.
Aaaaber: die Sache könnte ja auch umgekehrt von Vorteil sein: Wird die Jury nicht denken, dass ein verheirateter Mann weniger Interessen und Gelegenheit hat, von zu Hause KP im Internet zu schauen? Und, kann man die Jury nicht eventuell dazu bringen, den Ehemann als potentiellen Verdächtigen zu sehen?
In diesem Fall kann ich mir gut vorstellen, dass die Verteidigung sagt: Nein, die Jury soll das ruhig wissen! Und dass die Staatsanwältin denkt: ich bringe das Thema lieber gar nicht erst auf.
Dann kann passieren, dass die Verteidigung die ersten sind, die das Thema mittels einer Frage aufbringen. Dann kann die Staatsanwältin protestieren: Irrelevant!
Allerdings wird sie damit kaum eine Chance haben, denn die Verteidigung kann dann leicht darlegen, dass es darum geht zu zeigen, dass noch jemand ganz legal und dauerhaft Zugang zum Anwesen hatte.
Und hier sieht man: die Frage ist pauschal so gar nicht zu klären: sie gehört in die Gesamtstrategie jeder Seite. Jede Seite, Anklage und Verteidigung, muss sich vor Beginn des Prozesses eine Strategie überlegen und klären, wie sie auf bestimmte Fragen, Zeugen etc. der anderen Seite reagieren will.
Wenn zum Beispiel völlig klar ist, dass Alfter an den relevanten Tagen ein Alibi hat, weil er z.B. in Europa war, dann hat die Verteidigung keinen Vorteil davon, ihn in das Verfahren einzubringen, aber es könnte nachteilig für Rouven sein (Stichwort schwul etc.). Dann wird die Verteidigung versuchen ihn draussen zu lassen.
Umgekehrt: wenn die Jury eine recht coole, liberale Jury ist, und Alfter keinerlei Alibi hat, dann will die Staatsanwältin ihn vielleicht lieber draussen lassen, damit die Jury nicht auf "falsche Ideen" kommt.
Und hier sieht man jetzt auch schon, warum ein Prozess eine sehr anstrengende Sache ist und Anwälte oft das Geld Wert sind, das sie verdienen. Man vergleicht einen Prozess oft mit einem Schachspiel: du musst mindestens drei, vier Züge im Voraus denken. Was mag die andere Seite tun, wenn ich die und die Frage stelle, den und den Zeugen benenne, usw.
In unserem Fall hier kommt noch eine Frage dazu: was, wenn die Jury weiss, dass er mit einem Mann verheiratet ist? Welches Signal sende ich, wenn ich nicht offen die Sache im Prozess anspreche? Welches Risiko gehe ich ein, wenn ich es tue... usw.
Daher gibt es leider keine klare und kurze Antwort auf Deine Fragen,
@yasumi