@Zulu7Zulu7 schrieb:Du kennst Dich anscheinend auch im amerikanischen Justizwesen aus
Ich hoffe doch, denn damit verdiene ich mein Geld
:)Du berührst hier ein ganz heisses Eisen, nicht nur in den USA, sondern überall in der Welt. Überall geht das System davon aus, dass es keine Fehler macht, also braucht eigentilch auch niemand entschädigt werden. In einigen Staaten hat man inzwischen eingesehen, dass das System eben nicht unfehlbar ist, und dort gibt es Gesetze zur Entschädigung, die ist aber im Prinzip überall wo es sie gibt, lächerlich im Vergleich zu dem, was der Unschuldige verloren hat. In Deutschland z.B. kann er mit 25 Euro pro Tag rechnen. In den meisten Ländern aber gibt es weniger oder gar nichts.
Dann kommt das Problem, dass die Gesetze manchmal so geschrieben wurden, dass sie nur von Strafhaft ausgehen, die Untersuchungshaft aber ausklammern. Das heisst, selbst dort, wo Menschen unschuldig verurteilt wurden und entschädigt werden, geht der unschuldig in Untersuchungshaft sitzende Mensch leer aus.
In den USA kann man nicht einheitlich von Regeln reden, da das Strafjustizsystem meistens Sache der Bundesstaaten ist und dazu noch ein paralleles Bundesstrafsystem existiert. Es kann also sein, dass jemand ganz unterschiedlich behandelt wird, je nach dem ob er in Arizona, in Californien oder in einem Bundesgefängnis gesessen hat.
Weiterhin gibt es verschiedene Anspruchgrundlagen, die in wenigen Fällen auch eine Haftbarkeit des Staates begründen, aber Deine Frage geht ja hier vom Normalfall aus: der Verdächtige war in Untersuchungshaft, im Verfahren kann seine Schuld nicht bewiesen werden, er wird freigesprochen.
In dem Fall, muss man leider sagen, geht er in den meisten Gegenden und Fällen leer aus. Was die Anwaltskosten angeht, so gibt es in den USA überall Pflichtverteidiger, die einen mittellosen Beschuldigten kostenlos verteidigen. Es gibt auch, vor allem im Bundessystem, Regelungen, dass man in bestimmten Fällen bei gewonnenem Verfahren eigene Anwaltskosten vom Staat zumindest teilweise ersetzt bekommt.
Aber das war's dann auch in den meisten Fällen. Ein Untersuchungshäftling kann locker mal ein oder gar zwei Jahre in U-Haft sitzen, z.B. in einem Mordfall. In der Zeit hat er normalerweise kein Einkommen mehr, der Arbeitgeber wird kaum auf ihn warten, er verliert also Job und Einkommen. Wenn sein Haus nicht abbezahlt war oder er auf Miete wohnte, verliert er sein Dach über dem Kopf. Hat er sonstige Verpflichtungen gehabt, z.B. Ratenzahlverträge, kann sein Eigentum gepfändet werden.
Hat er keine Familie und keine Ersparnisse, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er obdachlos ist, sehr gross, wenn er das Gefängnis verlässt, zumindest dann, wenn die Untersuchungshaft eben doch länger als nur wenige Monate dauerte.
In den USA gilt generell die Regel, dass wer vorsorgen kann, tunlichst vorsorgen -also sparen- sollte, um bei Jobverlust, Krankheit oder sonstigem Unglück mindestens ein halbes Jahr Lebenshaltungskosten auf der hohen Kante hat.
Die wenigsten verfügen aber über solche Mittel, oder müssen dafür eben ihre Rentenversicherungsbeiträge aufbrauchen oder eine Hypothek auf ihr vorher einmal abbezahltes Haus aufnehmen.
Wenn dann das Gefühl entsteht, das Ganze war unrechtmässig, weil man ja immer wusste, dass man unschuldig war, dann ist das tatsächlich sehr sehr schlimm.
Seit Jahren wird in der Politik darüber diskutiert, das wenigstens rudimentär einmal zu ändern, aber da der Staat ja immer Pleite ist, scheuen sich Politiker Gesetze zu erlassen, die am Ende zu mehr Schulden oder höheren Steuern führen würden.
Vielleicht wird das in Zukunft einmal besser, denn das Thema "unschuldig verurteilt" ist gerade jetzt ein brisantes Thema geworden. In der Vergangenheit hat es leider kaum jemanden interessiert. Da ich mich sehr in diesem Bereich engagiere, hoffe ich, dass ich da nicht zu optimistisch bin, aber ich habe das Gefühl, es kommt immerhin eine Diskussion auf.
Eine ganz andere Basis für die Diskussion wäre noch, dass die einzelnen Bestimmungen für die unabdingbare Untersuchungshaft erstens verfassungsrechtlich zweifelhaft sein sollten und zweitens in der Anwendung unfair sind, da meistens entweder die sowieso schon armen Beschuldigten getroffen werden, oder die, die von vornherein im System stigmatisiert sind: z.B. diejenigen, die einer sexuellen Straftat an Kindern beschuldigt wurden.
Es führt hier zu weit, das alles zu diskutieren, aber ich finde es erstaunlich, dass Dir die Problematik überhaupt aufgefallen ist. Die meisten Menschen denken da gar nicht dran.