wagner schrieb:Hinterlässt bei mir im Gefühl den Eindruck, da ist jemand, der verzweifelt versucht Zweifel zu säen und Notfalls auch den Nachbarshund in den Zeugenstand rufen würde.
Was dann wiederum zu der Frage führt, ich kanns gar nicht richtig erklären, aber wenn er doch unschuldig ist, warum dann diese verschiedenen Kisten aufmachen, wenn doch eine reichen würde.
Nun, man könnte argumentieren, dass zu einen Wiederaufnahmeverfahren (ich benutze einfach mal diesen deutschen Begriff, weil er allen geläufig ist) reicht, so der Supreme Court, wenn man das "Vertrauen in das bisherige Urteil erschüttern kann." Je mehr Unstimmigkeiten man aufzählt, desto weniger Vertrauen - kann man meinen.
Problematisch wird das aber in einem neuen Verfahren: hier wird jede Jury insgeheim sagen: nun tu mal Butter bei die Fische und sage uns, wer denn nun der Täter sein soll. Das soll sie zwar nicht, aber es ist wahrscheinlich, dass sie es tun wird.
Schaut man sich nun Averys/Zellners Thesen an, so merkt eigentlich jeder, dass hier etwas nicht stimmt:
falstaff schrieb:Insbesondere sind beide Hypothesen nur in Kombination zu haben: Wenn man davon ausgeht dass Bob Dassey der Täter war, muss man gleichzeitig auch noch von der ganz großen Polizei- und Justizverschwörung ausgehen. Denn die Indizien die zu Averys Verurteilung geführt haben bleiben ja erhalten und selbst die fantasiebegabtesten Avery-Groupies dürften Schwierigkeiten haben sich vorzustellen, dass Dassey die vermeintlichen Fehlspuren gelegt haben könnte.
wagner schrieb:Das stimmt und ist auch immer wieder mein Knackpunkt.
Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass auch Bobby Dassey die Möglichkeit hatte Beweise zu platzieren.
Andererseits kann ich mir nur wenig vorstellen, dass sein Intellekt für ein solches Unterfangen ausreich
Genau so ist es. Zellner hat akribisch angebliche Fehler zusammengetragen, die nun wirklich eine Unzahl von Polizisten mit finsteren Absichten braucht. Nicht nur werden da Leichenteile durch die Gegend getragen, da werden auch Bluttropfen mühsam im Waschbecken zusammengekratzt um sie dann im Auto als getrocknete Blutteilchen wieder zu verteilen, flüssiges Blut wird ans Zündschloss getropft - aber nirgends sonst hin, und dann wird wieder in einer schon geheimdienstlich wirkenden Aktion einer MTA ein Wattestäbchen entwendet, das DNA Spuren Averys enthält, die dann unter die Motorhaube platziert werden. Und so weiter.
Diese story ist schon jetzt m.E. in ihrer Gesamtheit völlig unglaubwürdig, unter anderem deshalb, weil viel zu viele Akteure in viel zu vielen Schritten beteiligt sind. Es wird auch die Notwendigkeit eines solchen Maneuvers nicht sichtbar: wenn man Avery fälschlich belasten wollte, dann hätte man als Polizist das viel einfacher tun können. Ausgerechnet DNA unter die Motorhaube zu schmieren, wenn man nicht einmal Blut im Innenraum des Fahrzeugs verteilt...- warum sollte man es so kompliziert machen?
So, und da nun komplett hanebüchen ist, anzunehmen die Polizei habe mit dem eigentlichen Täter, Bobby D. oder Hillegas wissentlich und willentlich kooperiert, muss man also, wenn man einen von beide als Täter annimmt, denken, dass dieser all diese falschen Spuren legt. Und das ist, wenn man sich diese Typen ansieht, kaum vorstellbar.
Selbst wenn man annimmt, dass einer der beiden der echte Täter sei, und die Polizei in Unkenntnis dieser Tatsache falsche Spuren gelegt hat, weil sie eh dachte, Avery sei der Täter - dann müsste man mit Erstaunen feststellen, dass der Täter diese Tat vollbracht hat ohne auch nur eine einzige Spur zu hinterlassen. Je nach dem ob es Bobby oder Hillegas war, er hätte sich jeweils nur durch eine einzige Aussage verdächtig gemacht. Und Avery, dessen Verhalten auch ohne betrachtung der forensischen Indizien verdächtig war, wäre einer der grössten Pechvögel aller Zeiten.
Die Staatsanwaltschaft aber kann ganz einfach noch einmal ihre Indizien einer neue Jury vorlegen und sagen: sehr her, ganz ohne Verschwörungstheorien ergibt sich hier ein schlüssiges Bild.
Das ist Zellners Problem. Ein neues Verfahren zu erreichen ist schwer genug. Das neue Verfahren, wenn es denn kommt, zu gewinnen, wird noch schwerer werden.
falstaff schrieb:Entscheidend ist am Ende weniger die Anzahl der Fehler (von der sich viele scheinbar besonders beeindrucken lassen) , sondern eher deren Relevanz für das Urteil.
Das ist richtig. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Juristisch ist oft irrelevant, dass Fehler gemacht wurden, wenn diese nicht das Urteil beeinflusst haben könnten. Das gilt nicht für alle Fehler, aber viele. Wir amerikanischen Juristen sprechen da manchmal von "harmless error" und "reversible error." Harmlose Fehler" werden als genau das betrachtet: bedauerlich, aber sie ändern nichts am Urteil, so braucht das auch nicht aufgehoben werden.
wagner schrieb:Nun gut, hat Bobby Dassey Teresa Halbach, nicht nur ihr Auto, tatsächlich vom Grundstück fahren sehen, würde es den Tatablauf, wie von der Anklage angenommen, durchaus erschüttern.
Hiesse aber nicht automatisch im Umkehrschluss, dass Avery unschuldig ist.
Genau. Aber hat er das? Das müsste erst festgestellt werden. Vielleicht ist ja auch Avery im Auto gesessen... Daher muss man bei allem, was Zellner hier so anbringt, immer extrem skeptisch sein.