Die mutmaßlichen Taten von Silvio S.
21.07.2016 um 01:36Vorab muss ich sagen, das dies der erste Täter ist bei dem ich mich gezielt informiert und sogar den Prozess intensiv verfolgt habe, ja mich sogar hier im Forum angemeldet habe um mich über ihn und seine Taten auszutauschen. Silvio S. ist glaube ich, schon eine andere Dimension in der Brutalität und Niedertracht der Taten, und auch die Berichterstattung hat in diesem Fall eine neue Ebene erreicht. Live Ticker aus der Hauptverhandlung von drei unterschiedlichen Zeitungen? Gab es vorher nicht, oder?
Wenn jemand Interesse an einer wesentlich weniger reisserischen und reflektierteren Aufarbeitung des Falls hat, kann ich hier die rbb - 'Alles so Normal' Serie zum Fall empfehlen. Besonders Folge 5, zu der Rolle der Medien und warum uns das so nah geht, hat mir in einigen Bereichen die Augen geöffnet: http://www.inforadio.de/podcast/feeds/alles-so-normal--warum-starben-elias-und-mohamed-/alles-so-normal--warum-starben-elias-und-mohamed-.html (Archiv-Version vom 31.10.2016)
Dieser Fall geht mir persönlich extrem nah. Ich habe selber ein Kind, wohne nicht weit entfernt, und kann mich selber als kleiner Junge in allem was man über Elias weiss wieder erkennen (ohne dabei die Tat an Mohamed jetzt hier niedriger bewerten zu wollen).
Ein paar Gedanken von mir zu dem Stand der aktuellen Diskussion.
Schweigerecht. So frustrierend es auch in diesem Fall ist, es ist ein hohes Gut in unserem Rechtssystem (und auch in vielen anderen der Welt). Es schützt uns vor Willkür und Übergriffen ideologisch motivierter Institutionen oder Einzelner. Man braucht in der Deutschen Geschichte nicht weit zurückblicken, um zu sehen wie Gerichtsverhandlungen auch anders aussehen können.
Wird das Schweigen dem Angeklagten in diesem Fall von Nutzen sein? Ich bezweifele das stark. Die Indizien sind erdrückend, Mord hat er sicher. 2x Mord ist auch 'nur' Lebenslang, Schwere der Schuld, vermute ich, nach der Brutalität und Qual die bei Elias laut Gutachten impliziert ist, auch. Letztendlich hätten wahrscheinlich die 'gotterbärmlichen, niederträchtigen Szenen', wie der Staatsanwalt die Handyaufnahmen von Mohamed nennt auch schon gereicht. Grausamkeit, Heimtücke, Verdeckungsabsicht reichen hier schon aus, die anderen Tatbestände kommen noch hinzu.
Die Anwälte. Pflichtbewusste Profis oder nicht? Meiner Meinung haben sie dem Angeklagten und vor allem den Opfern und Angehörigen geradezu Schaden zugefügt. Noll hatte ja schon zu Anfang der Presse gegenüber zugegeben das er die Tragweite der Taten noch nicht kannte als er das Mandat annahm. Nach Studium der Aktenlage musste den Beiden klar sein, das sie hier höchstens um die Sicherungsverwahrung streiten würden. Ihr Verhalten im Prozess war dann teils erratisch, teils dilletantisch und zumindest im Plädoyer empörend. Hier nur ein paar Beispiele. Vollmunding in der Presse das Gutachten des Gerichtsmediziners Tsokos anzweifeln, dann in der Verhandlung klein beizugeben mit der Entschuldigung man 'sei ja Jurist und kein Mediziner' und es nicht für nötig zu erachten eine Gegenexpertise anzubringen. Peinlich. Tsokos war zu Recht sichtlich konsterniert. Im Plädoyer zu sagen 'ob es denn überhaupt eine Rolle spiele ob Elias die Maske tragen musste oder nicht.' Das ist nicht nur pietätslos, verunglimpft das Opfer, verletzt die Angehörigen und ist auch im Sinne der Wahrheitsfindung einfach eine Frechheit. Natürlich spielt es eine Rolle. Gibt es für Strafverteidiger eigentlich eine Ethikkommission o.ä.? Ich finde, dafür hätte Springborn mindestens eine Rüge verdient. Letztendlich haben sie dem Angeklagten seine einzige Chance genommen signifikant Einfluß auf seine jetzt bevorstehende Zukunft zu nehmen. Ich denke Silvio S. wollte sich mitteilen, er hätte den Angehörigen Gewissheit gegeben und es hätte eventuell Entlastendes eingebracht werden können. Ich glaube auch nicht, das Silvio S. komplett ohne Reue ist. Seine vorgelesene Entschuldigung jedenfalls klingt hohl, profan und ist letztendlich auch nicht glaubwürdig. Wenn er wirklich bereut und ungeschehen machen wollte, dann hätte er mit voller Geständigkeit sicher mehr Menschlichkeit und Resozialisierungspotential glaubhaft beweisen können. Das wurde ihm verwehrt.
Silvio S. Hat er Mitleid verdient? Sicherlich hat er das. Er ist ein Mensch. Aber nach seinen Taten hält sich das in Grenzen. Ich denke Silvio S. ist bei weitem nicht ausgelotet. Gutachter Lammel hatte nur 2x5 Stunden mit ihm, unter schwierigen Bedingungen und dem Knebel der Anwälte. Ich denke niemand von uns kann ihn kennen. Seine Familie nicht. Sein Umfeld nicht. Lammel schon gar nicht. Vielleicht sogar er selber nicht. Für mich steht aber fest, das Silvio S. ein extrem geübter Schauspieler ist. Er hat sein ganzes Leben gelernt über eine Maske zu tragen um nicht verletzt zu werden, oder seinen Egoismus, seine Antriebslosigkeit und mangelnde Initiative zu kaschieren. Masken sind sein Thema, sein Wesen. Der nette Onkel. Der langsame, freundliche Berti von nebenan. Er hat nie Verantwortung für sich selbst übernommen. Lebt eigentlich noch als Kind. Wünscht sich 'jemanden der ihm sagt wo es langgeht'. Sexualität nur aus Pornos gelernt. Wahrscheinlich kaum Liebe erfahren, ok, aber hat er sie woanders gesucht? Vor allem ist er ein Lügner. 'Prostituierte, nein, man muss sich ja vorher kennenlernen'. Übersetzung: Die kosten Geld. Ich habe Angst zu versagen. Selbst der bin ich unterlegen. Vorher kennenlernen musste er Elias und Mohamed dann aber auch nicht. Weil er sie gar nicht als Menschen gesehen hat, sondern nur als Objekte an denen er endlich mal Macht erleben durfte. Das Quälen eines wehrlosen, Schutzbedürftigen und das Wegschmeissen zweier Leben weil man ja nicht zu spät zur Arbeit kommen möchte offenbaren den unmaskierten Silvio S. Ehrlich war er nur in seinen '15 Minutes of Fame', dem Erstverhör.
Sicherungsverwahrung Ja? Nein? Ich denke, zumindest unter Vorbehalt. Silvio S. ist ja noch nichteinmal jetzt mit 32 Jahren adequat sozialisiert. Jetzt wird er für 15-20 Jahre institutionalisiert. Er hat sich vorher gedrückt Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, und hat dadurch ständig in Ohnmacht gelebt. Jetzt wird ihm jegliche Entscheidung abgenommen. Wann es Essen gibt, wann es auf den Hof geht, wann das Licht ausgeht. Noch mehr ausgeliefert als er jetzt waren nur Elias und Mohamed. Allein schon durch die Langeweile wird er sich seinen Fantasien hingeben. Die beiden Filme wieder ablaufen lassen. Es hat ihm gefallen. Sehr gut sogar. Er war dabei zu eskalieren. Er wird sich Neues ausdenken und davon träumen es eines Tages wieder tun zu können. Wenn er rauskommt ist er 50+ und hat eine Hälfte seines Lebens in Ohnmacht gelebt, die andere Hälfte institutionalisiert. Sein einziger Höhepunkt waren die 2-3 jahre die zumindest die beiden Taten beinhalten und seine einzigen Momente in denen er der Protagonist war ... wenn es denn schon Alles war.
Ich bin frustriert, unendlich traurig und wütend. Aber zumindest zwei Lichtblicke gibt es hier doch. Den Staatsanwalt Petersen, der mit seiner Erfahrung, Professionalität und menschlichen Format dem Prozess die Form gegeben hat die er in unserem Rechtsstaat haben muss. Und das ich im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema gelernt habe, das Missbrauch und Gewalt an Kindern in Deutschland rückläufig ist, zumindest bei den angezeigten Taten. Entabuisierung, Opferzuwendung und Prävention scheinen Früchte zu tragen. Das gibt mir Hoffnung. Versöhnt mich ein wenig. Hier dürfen wir nicht locker lassen.
Ein paar Monate bevor Silvio S. seine Taten begangen hat, liefen hier in der Region (und bestimmt Deutschlandweit) die 'Kein Täter werden' Spots. Er hat sie bestimmt auch gesehen. Ich frage mich was er dann wohl gedacht hat. Ich habe die Hoffnung, das andere Gefährdete in seiner Situation Hilfe suchen, oder sie von einem aufmerksamen Umfeld dazu gebracht werden.
Entschuldigung für die Länge, aber man wird dem Thema mit 1-2 Sätzen in meinen Augen einfach nicht gerecht.
Wenn jemand Interesse an einer wesentlich weniger reisserischen und reflektierteren Aufarbeitung des Falls hat, kann ich hier die rbb - 'Alles so Normal' Serie zum Fall empfehlen. Besonders Folge 5, zu der Rolle der Medien und warum uns das so nah geht, hat mir in einigen Bereichen die Augen geöffnet: http://www.inforadio.de/podcast/feeds/alles-so-normal--warum-starben-elias-und-mohamed-/alles-so-normal--warum-starben-elias-und-mohamed-.html (Archiv-Version vom 31.10.2016)
Dieser Fall geht mir persönlich extrem nah. Ich habe selber ein Kind, wohne nicht weit entfernt, und kann mich selber als kleiner Junge in allem was man über Elias weiss wieder erkennen (ohne dabei die Tat an Mohamed jetzt hier niedriger bewerten zu wollen).
Ein paar Gedanken von mir zu dem Stand der aktuellen Diskussion.
Schweigerecht. So frustrierend es auch in diesem Fall ist, es ist ein hohes Gut in unserem Rechtssystem (und auch in vielen anderen der Welt). Es schützt uns vor Willkür und Übergriffen ideologisch motivierter Institutionen oder Einzelner. Man braucht in der Deutschen Geschichte nicht weit zurückblicken, um zu sehen wie Gerichtsverhandlungen auch anders aussehen können.
Wird das Schweigen dem Angeklagten in diesem Fall von Nutzen sein? Ich bezweifele das stark. Die Indizien sind erdrückend, Mord hat er sicher. 2x Mord ist auch 'nur' Lebenslang, Schwere der Schuld, vermute ich, nach der Brutalität und Qual die bei Elias laut Gutachten impliziert ist, auch. Letztendlich hätten wahrscheinlich die 'gotterbärmlichen, niederträchtigen Szenen', wie der Staatsanwalt die Handyaufnahmen von Mohamed nennt auch schon gereicht. Grausamkeit, Heimtücke, Verdeckungsabsicht reichen hier schon aus, die anderen Tatbestände kommen noch hinzu.
Die Anwälte. Pflichtbewusste Profis oder nicht? Meiner Meinung haben sie dem Angeklagten und vor allem den Opfern und Angehörigen geradezu Schaden zugefügt. Noll hatte ja schon zu Anfang der Presse gegenüber zugegeben das er die Tragweite der Taten noch nicht kannte als er das Mandat annahm. Nach Studium der Aktenlage musste den Beiden klar sein, das sie hier höchstens um die Sicherungsverwahrung streiten würden. Ihr Verhalten im Prozess war dann teils erratisch, teils dilletantisch und zumindest im Plädoyer empörend. Hier nur ein paar Beispiele. Vollmunding in der Presse das Gutachten des Gerichtsmediziners Tsokos anzweifeln, dann in der Verhandlung klein beizugeben mit der Entschuldigung man 'sei ja Jurist und kein Mediziner' und es nicht für nötig zu erachten eine Gegenexpertise anzubringen. Peinlich. Tsokos war zu Recht sichtlich konsterniert. Im Plädoyer zu sagen 'ob es denn überhaupt eine Rolle spiele ob Elias die Maske tragen musste oder nicht.' Das ist nicht nur pietätslos, verunglimpft das Opfer, verletzt die Angehörigen und ist auch im Sinne der Wahrheitsfindung einfach eine Frechheit. Natürlich spielt es eine Rolle. Gibt es für Strafverteidiger eigentlich eine Ethikkommission o.ä.? Ich finde, dafür hätte Springborn mindestens eine Rüge verdient. Letztendlich haben sie dem Angeklagten seine einzige Chance genommen signifikant Einfluß auf seine jetzt bevorstehende Zukunft zu nehmen. Ich denke Silvio S. wollte sich mitteilen, er hätte den Angehörigen Gewissheit gegeben und es hätte eventuell Entlastendes eingebracht werden können. Ich glaube auch nicht, das Silvio S. komplett ohne Reue ist. Seine vorgelesene Entschuldigung jedenfalls klingt hohl, profan und ist letztendlich auch nicht glaubwürdig. Wenn er wirklich bereut und ungeschehen machen wollte, dann hätte er mit voller Geständigkeit sicher mehr Menschlichkeit und Resozialisierungspotential glaubhaft beweisen können. Das wurde ihm verwehrt.
Silvio S. Hat er Mitleid verdient? Sicherlich hat er das. Er ist ein Mensch. Aber nach seinen Taten hält sich das in Grenzen. Ich denke Silvio S. ist bei weitem nicht ausgelotet. Gutachter Lammel hatte nur 2x5 Stunden mit ihm, unter schwierigen Bedingungen und dem Knebel der Anwälte. Ich denke niemand von uns kann ihn kennen. Seine Familie nicht. Sein Umfeld nicht. Lammel schon gar nicht. Vielleicht sogar er selber nicht. Für mich steht aber fest, das Silvio S. ein extrem geübter Schauspieler ist. Er hat sein ganzes Leben gelernt über eine Maske zu tragen um nicht verletzt zu werden, oder seinen Egoismus, seine Antriebslosigkeit und mangelnde Initiative zu kaschieren. Masken sind sein Thema, sein Wesen. Der nette Onkel. Der langsame, freundliche Berti von nebenan. Er hat nie Verantwortung für sich selbst übernommen. Lebt eigentlich noch als Kind. Wünscht sich 'jemanden der ihm sagt wo es langgeht'. Sexualität nur aus Pornos gelernt. Wahrscheinlich kaum Liebe erfahren, ok, aber hat er sie woanders gesucht? Vor allem ist er ein Lügner. 'Prostituierte, nein, man muss sich ja vorher kennenlernen'. Übersetzung: Die kosten Geld. Ich habe Angst zu versagen. Selbst der bin ich unterlegen. Vorher kennenlernen musste er Elias und Mohamed dann aber auch nicht. Weil er sie gar nicht als Menschen gesehen hat, sondern nur als Objekte an denen er endlich mal Macht erleben durfte. Das Quälen eines wehrlosen, Schutzbedürftigen und das Wegschmeissen zweier Leben weil man ja nicht zu spät zur Arbeit kommen möchte offenbaren den unmaskierten Silvio S. Ehrlich war er nur in seinen '15 Minutes of Fame', dem Erstverhör.
Sicherungsverwahrung Ja? Nein? Ich denke, zumindest unter Vorbehalt. Silvio S. ist ja noch nichteinmal jetzt mit 32 Jahren adequat sozialisiert. Jetzt wird er für 15-20 Jahre institutionalisiert. Er hat sich vorher gedrückt Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, und hat dadurch ständig in Ohnmacht gelebt. Jetzt wird ihm jegliche Entscheidung abgenommen. Wann es Essen gibt, wann es auf den Hof geht, wann das Licht ausgeht. Noch mehr ausgeliefert als er jetzt waren nur Elias und Mohamed. Allein schon durch die Langeweile wird er sich seinen Fantasien hingeben. Die beiden Filme wieder ablaufen lassen. Es hat ihm gefallen. Sehr gut sogar. Er war dabei zu eskalieren. Er wird sich Neues ausdenken und davon träumen es eines Tages wieder tun zu können. Wenn er rauskommt ist er 50+ und hat eine Hälfte seines Lebens in Ohnmacht gelebt, die andere Hälfte institutionalisiert. Sein einziger Höhepunkt waren die 2-3 jahre die zumindest die beiden Taten beinhalten und seine einzigen Momente in denen er der Protagonist war ... wenn es denn schon Alles war.
Ich bin frustriert, unendlich traurig und wütend. Aber zumindest zwei Lichtblicke gibt es hier doch. Den Staatsanwalt Petersen, der mit seiner Erfahrung, Professionalität und menschlichen Format dem Prozess die Form gegeben hat die er in unserem Rechtsstaat haben muss. Und das ich im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema gelernt habe, das Missbrauch und Gewalt an Kindern in Deutschland rückläufig ist, zumindest bei den angezeigten Taten. Entabuisierung, Opferzuwendung und Prävention scheinen Früchte zu tragen. Das gibt mir Hoffnung. Versöhnt mich ein wenig. Hier dürfen wir nicht locker lassen.
Ein paar Monate bevor Silvio S. seine Taten begangen hat, liefen hier in der Region (und bestimmt Deutschlandweit) die 'Kein Täter werden' Spots. Er hat sie bestimmt auch gesehen. Ich frage mich was er dann wohl gedacht hat. Ich habe die Hoffnung, das andere Gefährdete in seiner Situation Hilfe suchen, oder sie von einem aufmerksamen Umfeld dazu gebracht werden.
Entschuldigung für die Länge, aber man wird dem Thema mit 1-2 Sätzen in meinen Augen einfach nicht gerecht.