@LIncoln_rhyMEZuerst einmal: Ich glaube der Mutter. Nenn mich naiv, aber ich gehe nicht davon aus, dass sie eine frei erfundene Story erzählte, um Lars mit Hilfe der Polizei zu finden. Dafür hätte sie auch gleich auf einen Privatdetektiv setzen können. Auf mich wirkt es so, als habe sie die nächtlichen Anrufe und die darin vermittelte vage Bedrohung als glaubhaft eingeschätzt (warum sollte sie auch an den Worten ihres Sohnes zweifeln) und erst später nach Lars Verschwinden gemerkt, dass trotz intensiver Bemühungen der Detektei keinerlei Hinweise auf eine reale Bedrohung vorlagen. Dann blieb ihr nichts anderes übrig, als die Ängste ihres Sohnes neu zu bewerten – das wird sie aber vermutlich genauso zögernd und ungern getan haben, wie manche Foristen hier. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie innerhalb kürzester Zeit ein frei erfundenes Bedrohungsszenario entwickelt, aufgeschrieben und verbreitet hat, und das alles unter großem Druck und vor dem Hintergrund, dass ihr Sohn dabei gut darstehen sollte.
Aber zu deiner berechtigten Frage, was für eine Psychose spricht.
Zunächst einmal:
@marco23523 hat fleißig Infos zu Psychoseseiten im Netz zusammengetragen. Ich finde, da kann man selbst einiges an Parallelen finden.
@Nebelzauberer hat schon relativ früh sehr detailliert erklärt, wie man die Ängste aus medizinischer Sicht einordnen könnte, der Link darauf findet sich auch auf Stebos Profil.
Aber ich kann vielleicht nochmal zusamenfassen. Zunächst einmal ist es wichtig, dass „Psychose“ nicht eine einzelne Diagnose ist sondern ein Überbegriff, der in etwa so spezifisch ist wie die Diagnose „Infekt“. Psychosen können substanzinduziert oder durch organische Erkrankungen bedingt sein - oder eben endogen, also „nur“ durch Stress und eine angeborene Vulnerabilität ausbrechen. Sie können schleichend beginnen - dann ist die Prodromalsymptomatik aber so unspezifisch, dass noch nich einmal Fachleute sich sicher sein können, ob das mit Sicherheit auf eine Psychose rausläuft. Und sie können sehr plötzlich einsetzen. In welche diagnostische Schublade man einen speziellen Fall sinnvollerweise genau einordnet, ist bei so wenigen Informationen einfach nicht möglich. Auch die endogenen Psychosen unterteilen sich dann noch weiter. So reicht ein Wahn ganz alleine aus für die Diagnose einer wahnhaften Störung. Oder, um es anders zu sagen: Um die Verdachtsdiagnose einer Psychose (Psychose als Überbegriff!) zu rechtfertigen, benötigt man nur den Verdacht, dass ein Mensch an einem Wahn leidet, beispielsweise einem Verfolgungs-, Größen-, Eifersuchts-, Liebes- oder hypochondrischen Wahn. Keine Angst, ich behaupte nicht, dass Lars an einer wahnhaften Störung leidet, er erfüllt das Zeitkriterium nicht – dennoch macht es Sinn, den Überbergriff der Psychose weiter zu verwenden. Einen nicht bizarren Wahn von der Realität zu unterscheiden, ist im Einzelfall recht schwierig. Natürlich kann jemand real bedroht werden, real über große Fähigkeiten verfügen, real betrogen werden, real wiedergeliebt werden und real an einer schlimmen körperlichen Erkrankung erkrankt sein. Darum bleibt in Lars Fall ja beispielsweise ein Rest Zweifel, ob er nicht tatsächlich real verfolgt wurde. Auffällig ist jedoch, dass die Bedrohungsvorwürfe sich zunächst sehr diffus und vage anhören: „irgend etwas“ stimmt nicht, „jemand“ könnte es auf ihn abgesehen haben. Das passt zum Begriff der „Wahnstimmung: Alarmstimmung, alles so unheimlich, bedrohlich, sonderbar, "es liegt etwas in der Luft", aber was? Folge: Angst, Argwohn, Misstrauen, Verunsicherung, Ratlosigkeit, Schreck, Bedrohungsgefühle usw. Vielleicht aber auch Gehobenheit, Beseligung, Zuversicht. Kurz: Es ist etwas los. Meist im Vorfeld wahnhaften Erlebens.“ (zitiert nach der Seite
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/seele/wahn.html). Erst später kommt es dann zu einer Phase, in der alles plötzlich Sinn ergibt, zusammenpasst, erklärbar wird und der Wahn nicht mehr in Frage gestellt wird. Dann werden beispielsweise auch Angehörige, die den Wahn hinterfragen, mit ins Bedrohungsszenario eingebaut, stecken mit den Verschwörern und den Ärzten unter einer Decke. Sollte Lars an einer Psychose leider UND noch leben UND sich nicht bei seinem Umfeld melden, ist davon auszugehen, dass sich der Wahn inzwischen gefestigt und systematisiert hat.
Wahn kommt nicht nur im Rahmen einer Psychose vor, trotzdem ist es nicht abwegig, diese Verdachtsdiagnose zu verwenden, da beispielsweise demenzielle Erkrankungen auf Grund des Alters wenig wahrscheinlich sind. Irgend Jemand meinte einmal, Lars sei doch ein junger, gesunder Mann, da könne er doch keine Psychose entwickeln. Doch! Für einen Mann sind 28 Jahre statistisch gesehen sogar schon relativ spät für eine Ersterkrankung, der Erkrankungsgipfel bei Männern liegt früher.
Von daher kann ich @KonradTönz nur zustimmen: Natürlich kann niemand gesichert von einer Psychose ausgehen, es wäre jedoch ein stimmiges Szenario, das alle bekannten Details unter einen Hut bekäme und ohne Zusatzannahmen (wie Lars hat gelogen, die Mutter hat gelogen, uns werden Informationen vorenthalten, Lars war in zwielichtige Geschäfte verwickelt) auskommt.
Ach ja, bis ich hier Zeit gefunden habe, meine Antwort zu formulieren, hat
@Kodama es längst auf den Punkte gebracht :-)