Vermisstenfall Lars Mittank
01.10.2014 um 16:51
Nachdem ich mir nun einiges hier durchgelesen habe, mal meine Theorie zum Ablauf (Vorsicht lang!).
Aus meiner Sicht deutet bei Lars’ Verhalten alles auf Drogenkonsum hin. Und damit meine ich nicht irgendwelche psychoaktiven Pilze, LSD oder gar Chrystal Meth, sondern schlicht und einfach das, was man an jeder Partymeile der Welt und sogar fast in jedem Club an jeder Ecke angeboten bekommt: Amphetamine (a.k.a Speed) oder sonstige aufputschende Substanzen. Nach Angaben von Freunden ging LM ja auch daheim gerne mal feiern und trank dabei seine Bierchen, wurde dabei jedoch nie auffällig oder suchte Stress. Auf Amphetaminen fühlt sich jedoch auch das introvertierteste Duckmäuschen (das ist jetzt natürlich NICHT direkt auf LM bezogen) auf einmal wie Superman. Manche entwickeln ein völlig übersteigertes Selbstbewusstsein, ein Gefühl von völliger Unantastbarkeit (andere wiederum tanzen einfach nur ein gesamtes Wochenende durch – ist halt wesensabhängig) nach dem Motto: „Mir kann keiner was, heute habe ich hier das Sagen“. Das würde dazu passen, dass LM auf einmal, in einem fremden Land völlig aus dem Nichts beginnt, andere Leute anzupöbeln. Ich gehe davon aus, dass er bereits relativ zu Beginn der Woche Speed o.Ä. angeboten bekam und da auch zuschlug. Oftmals geht’s dann bei derartigen Geschäften auch nicht um eine einzelne Pille, sondern das läuft schon eher nach folgendem Schema ab: „Wie lange bist du denn hier? Dann verkaufe ich dir gleich die richtige Ration und du bekommst natürlich Mengenrabatt“. Dass die Freunde davon erstmal nix bemerkt haben, ist auch nicht weiter verwunderlich, spielen sich diese Deals doch meistens in unmittelbarer Umgebung der Toiletten ab. Vielleicht hat er sich einfach gedacht: „Ach was soll’s, so nen Urlaub gab’s vorher nicht, so nen Urlaub wird’s vermutlich nachher nicht mehr geben, diese eine Woche lass’ ich’s halt mal ordentlich krachen“.
Begonnen hat die ganze Misere m.M.n. mit der Auseinandersetzung rund um den Schlag. LM ging nicht mit seinen Freunden essen, auf Amphetaminen auch kein besonders auffälliges Verhalten. Die Leute werden oftmals extrem egozentrisch und machen nur genau das, was sie wollen: „Ich hab keinen Bock auf Essen, also gehe ich halt alleine weiter“. Dann wurde halt wieder etwas gepöbelt und es kam, was kommen musste, er ist an die Falschen geraten. „Bayernfans“, andere Leute aus dem süddeutschen Raum, Österreicher, egal, der jeweilige gesprochene Dialekt/Akzent hört sich gerade für einen Norddeutschen sehr ähnlich an. Dass jemand für die Ohrfeige bezahlt wurde, glaube ich nicht. Ich hab mal erlebt, dass sich zwei vor nem Lokal gestritten haben, ein völlig unbeteiligter Dritter ist plötzlich dazugekommen und hat mit den Worten „Ruhe jetzt mal hier“ beiden „Streithähnen“ eine geknallt. Durchaus möglich, dass sich ein umstehender Russe/Bulgare auch hier bemüßigt gefühlt hat, „maßregelnd“ einzugreifen. Das kann für LM erstmal ein „Schock“ gewesen sein, daher auch das Nicht-Reagieren auf seine Freunde.
Die weiteren Vorgänge bis zum Hotel Color sind dann weniger spannend. Dass man Angst bekommt, wenn das Hörvermögen immer schlechter wird, kann ich nachvollziehen, die ganzen Arztbesuche wohl etwas übertrieben, aber da ist halt auch jeder anders.
Im Color spitzt sich die Lage dann zu. Lars’ Freunde sind weg, er ist alleine, hört schlecht, hat Schmerzen und ist generell angepisst. Um das alles etwas erträglicher zu machen, KÖNNTE er in dieser Situation noch eine übriggebliebene „Partypille“ eingeworfen haben. Niemand, der Erfahrungen mit Amphetaminen hat, würde das in dieser Situation machen, ich gehe daher davon aus, dass LM eben keine Drogenerfahrung hatte und sich auch gar nicht wirklich bewusst war, was das für Pillen sind, er kannte einfach nur die Wirkung beim Feiern. Nachdem er nun aber nicht mehr von seinen Freunden und tausenden Partywütigen umgeben war, war auch die Wirkung eine andere. Statt großem Selbstvertrauen und Euphorie stellt sich Nervosität und Aufgekratztheit ein. Dazu wird er sensibilisiert für Geräusche und Vorgänge in Nebenzimmern und dem Hotelflur („mit diesem Hotel stimmt doch irgendwas nicht“). An Schlaf oder „zur Ruhe kommen“ ist nach Einnahme der Pille ohnehin nicht mehr zu denken, also verlässt er um 4 Uhr das Hotel. Manche Menschen entwickeln auf Amphetaminen einen ungeheuren Bewegungsdrang, sodass ihm einfach mal loslaufen in der Situation um einiges erstrebenswerter erschienen sein könnte, als mit dem Taxi zu fahren. Während er nun auf Droge durch dunkle, menschenleere Straßen läuft, könnten sich leichte Paranoia eingestellt haben. Er hört irgendwo ein paar Touris auf Deutsch grölen, denkt sich, das könnten wieder die „Bayern“ sein und begibt sich auf irgendeinen Verschlag, um nach ihnen Ausschau zu halten bzw. sich überhaupt mal zu orientieren (Telefonat mit der Mutter bzgl. etwas „Hohem“ und der Verfolgung durch die „Bayern“). Auch weiß er nicht, warum es ihm geht, wie es ihm geht. Woher diese Nervosität und Aufgekratztheit? Daher womöglich die Frage an die Mutter bzgl. des Medikaments (falls er es bei einem der Ärzte eingenommen hat). Schließlich wird er vom Taxi mitgenommen, ist natürlich noch immer etwas „drauf“ und hat daher erweiterte Pupillen, die von der Sozialarbeiterin bemerkt werden.
Am Flughafen normalisiert sich das Ganze dann erstmal. Die Wirkung der Pille lässt nach, er hat’s „zum Flughafen geschafft“, merkt aber, dass er nach der nächtlichen Wanderung ziemlich verschwitzt („schmuddelig“) ist und möchte sich daher etwas frisch machen. Soweit ist dann mal alles gut, er ist auf „sicherem Terrain“, fühlt sich daher ganz gut und wirkt normal.
Im Laufe des Vormittags bis zum Arztbesuch setzen nun aber die Symptome des „Runterkommens“ von den Amphetaminen ein. Diese können sich u.a. in Form von depressiver Verstimmung, Ängstlichkeit, zitternden, kalt schweißigen Händen und leicht paranoiden Gedanken äußern. Lars sitzt nun also beim Arzt. Zuerst geht’s mal um sein Ohr; der Arzt, aufgrund sicher zahlreicher Fälle schon sensibilisiert, was das Thema Drogen angeht, erkennt aber an LMs Verhalten, dass da sonst noch etwas nicht stimmt („ist nervös, reibt sich die Hände“) und irgendwann fällt das Wort „drugs“. Damit überschlagen sich die Ereignisse. LM fühlt sich ertappt, sieht sich bereits mit einem Drogentest und Polizei-Gewahrsam konfrontiert. Zudem fühlt er sich hundeelend, sein Herz rast, er hat Angst und murmelt etwas wie „verdammt, ich will nicht sterben“. Mit dem zufällig eintretenden Security-Mann bestätigen sich nun vermeintlich Lars’ Befürchtungen und in dieser Situation kann es für ihn nur mehr einen Ausweg geben: Flucht ohne wenn und aber. Gerade auf eher kleinen Flughäfen stehen vor dem Eingang immer irgendwo zwei Polizisten vor ihrem Wagen, rauchen, trinken Kaffee und unterhalten sich. Diese sieht er beim Verlassen des Gebäudes, verlangsamt seinen Sprint und erkennt, dass der einzige „Ausweg“ über den Zaun und das dahinter liegende Feld führt. Er läuft bis zur Autobahn, ich denke jedoch nicht, dass er dort in ein Auto steigt. In Lars’ Gedankenwelt muss er davon ausgehen, dass er mittlerweile von der Polizei gesucht wird, also wird er sicher nicht nach Varna zurück wollen, wo er ständig damit rechnen muss, von der Polizei aufgelesen zu werden. Auch die andere Richtung halte ich eher für unwahrscheinlich. Erstens weiß er wohl gar nicht, wo es da hingeht und zweitens muss er auch in einem Nachbarort mit der Polizei rechnen.
Ich vermute, er ist einfach relativ blindlings weitergelaufen, eben soweit ihn seine Beine trugen. Nachdem LM ja grundsätzlich in sehr guter körperlicher Verfassung ist, kann das schon noch ein Stück weit gewesen sein. Allerdings sind nach Amphetamin-Konsum die körperlichen Akkus ziemlich leer. Ein Bekannter hat mal gesagt: „Mit Speed leihst du dir vom Körper für ein bis zwei Nächte die Energie von zwei bis drei Tagen“. Ich befürchte daher, er wird irgendwann mal vor Erschöpfung und Dehydrierung zusammengebrochen sein. Da jedoch niemand weiß, wo das passiert sein könnte (schließlich weiß man nicht, wie lange er noch und in welche Richtung er gelaufen ist), hat man ihn bislang noch nicht gefunden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! ;)
P.S.: Was es mit den 500 Euro von WU auf sich hat, habe ich auch keine Ahnung.