Das mysteriöse Leben des Dr. Krombach aus Lindau am Bodensee
13.10.2016 um 21:38
Zunächst die Review der lokalen Presse:
13.10.2016 BERICHT-LINDAUER ZEITUNG von Yvonne Roither
Lindauer leiden mit dem Verzweifelten
„Im Namen meiner Tochter. Der Fall Kalinka“ - Bei Kinopreview der Lindauer Zeitung überzeugt der Film.
Rege Diskussion nach der Lindauer Vorpremiere des Films „Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka“ mit dem deutschen Koproduzenten Philipp Kreuzer im Lindauer Parktheater.
Als der Abspann läuft, ist es still. Die Kinobesucher verharren regungslos in ihren Sitzen. Wenig später gibt es lang anhaltenden Applaus. Dem Lindauer Publikum ist der Film „Im Namen meiner Tochter. Der Fall Kalinka“, zu dessen Preview die Lindauer Zeitung ins Parktheater geladen hatte, unter die Haut gegangen. „Das ist eine Geschichte, die jeden berührt“, fasste ein Zuschauer die Meinung vieler Kinobesucher zusammen.
Koproduzent Philipp Kreuzer wirkt erleichtert. Der Film ist zwar in Frankreich bereits im Frühjahr erfolgreich in den Kinos gelaufen und hat auch hierzulande vorab hervorragende Kritiken bekommen. Doch es scheint, als wäre dem Filmemacher, der extra aus München angereist ist, das Urteil der Lindauer wichtig. Schließlich ist die Geschichte, die Lindau seit fast drei Jahrzehnten beschäftigt, „kein einfaches Thema“, wie er sagt. Dieses in 90 Minuten zusammenzufassen und doch die Chronologie der Ereignisse einzuhalten, sei eine echte Herausforderung gewesen.
Der Film „Im Namen meiner Tochter“, der ab 20. Oktober in rund hundert Kinos deutschlandweit anlaufen wird, handelt von Kalinka, Stieftochter des Lindauer Arztes Dieter Krombach. Als das französische Mädchen im Juli 1982 in Lindau zu Urlaub ist, stirbt es überraschend. Die Begleitumstände ihres Todes erscheinen bald suspekt: Das Verhalten von Krombach, aber auch die Autopsie lassen viele Fragen offen. Der leibliche Vater André Bamberski ist von der Schuld Krombachs überzeugt. Er kennt nur noch ein Ziel: Krombach zu überführen. Mehr als 27 Jahre lang.
Der Film will „nicht urteilen und nicht werten“
Den Filmemachern war bewusst: Die Geschichte von Kalinkas Tod ist auch ein Stück Lindauer Geschichte. Hier leben Menschen, die Krombach gekannt haben, ehemalige Patienten, Kollegen, aber auch Angehörige. „Da weiß man nicht, wie man empfangen wird“, räumt Kreuzer eine Sorge ein, die das Team bereits bei den zweiwöchigen Dreharbeiten in Lindau hatte. „Unser Schwerpunkt lag auf dem menschlichen Drama“, erklärt der Produzent, auf Bamberskis Kampf um „gefühlte Gerechtigkeit.“ Auch wenn der Film aus seiner Perspektive erzählt werde, wolle er „nicht urteilen und nicht werten“. Und er halte sich an die juristischen Fakten, betonte Kreuzer. Dazu gehöre auch anzuerkennen, dass es nicht erwiesen ist, dass eine Vergewaltigung Kalinkas Tod vorangegangen ist – auch wenn dies aus der Sicht Bamberskis eine plausible Schlussfolgerung sei.
Für die Zuschauer ist es das auch. Sie empören sich nach dem Film über die vielen Ungereimtheiten und fragen sich: Wie kann es sein, dass Krombach bei der Obduktion des Mädchens dabei sein durfte? Warum sind die Genitalien verschwunden? Warum wurden viele Zeugen nicht gehört? Fragen, auf die der Film keine Antworten gegeben hat - weil es bis heute keine Erklärungen dafür gibt.
„Der Film hat mich sehr aufgewühlt“, sagt Waltraud Mayer. Sie arbeitete damals beim Rettungsdienst und war als Ersthelferin bei Kalinka. Noch heute wundert sie sich darüber, wie ruhig Krombach nach dieser Tragödie war. „Der Stiefvater war nicht nervös“, sagt sie. Doch die Polizei habe ihr erster Eindruck nicht interessiert. „Ich wurde nie befragt“, sagt sie. In Frankreich hat sie dagegen zwei mal als Zeugin ausgesagt.
Charmanter und attraktiver Gott in Weiß
Renate Zückert hat zwei Jahre für Dr. Krombach gearbeitet – und ihren ehemaligen Chef im Film „gut wiedererkannt“. Sie beschreibt ihn als einen Mann, der sich „ selbst völlig überschätzt“ und als Gott in Weiß „jedes Maß an Rechtssinn verloren“ habe. Aber eben auch als einen sehr attraktiven Mann, den viele Frauen angehimmelt haben. Das kommt für Ulrike Lorenz-Meyer, damals Patientin bei Krombach und heute selbst Ärztin, nicht deutlich genug im Film rüber. „Krombach war charmant und attraktiv“, sagt sie. Man wusste, dass er sich an Frauen ranmacht, aber dass er dazu Gewalt anwendet, das habe damals zunächst niemand geglaubt. Bis er sich an einer jungen Patientin in Narkose vergangen hat. Dass er dafür nur zwei Jahre auf Bewährung bekommen hat, sei für sie der eigentliche „Justizskandal“.
„Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass Bamberski so handelt. Er hat sich von der deutschen Justiz nicht ernst genommen gefühlt“, sagt Zückert. Die Sympathien des Lindauer Kinopublikums gehören André Bamberski, der verzweifelt um Gerechtigkeit kämpft, auch wenn er dabei zum Besessenen wird. „Ich bin schockiert von der deutschen Justiz“, sagt eine junge Frau nach dem Film.
Manche Zuschauer hätten sich noch mehr Details, mehr Fakten gewünscht. Hier kommt der Film, der kein Dokudrama sein sollte, an seine Grenzen. Dass Regisseur Vincent Garenq auf reißerische Effekte verzichtet und ganz auf das hervorragende Spiel seiner Darsteller vertraut, wird vom Lindauer Kinopublikum honoriert. Ein Mann, selbst Vater einer Tochter, bringt das – an die Adresse der Filmemacher gerichtet – auf den Punkt: „Vielen Dank, dass sie vieles offen lassen. Der Film ist auch so sehr berührend.“