Komplementärmedizin als Pflichtfach im Medizinstudium
07.11.2012 um 18:55
Sorry dass ich hier so reinplatze, aber manches kann man nicht einfach durchgehen lassen.
Kurz zu mir: Ich bin (angehender) Statistiker, zwar aus dem Bereich Ökonometrie/Empirische Wirtschaftsforschung, aber ich denke, ich darf mir auch hier eine gewisse Methodenkompetenz bescheinigen, da ich beruflich durchaus auch mit medizinischen Studien zu tun habe.
Vor diesem Hintergrund muss ich ganz klar sagen: Die hier zuletzt verlinkte Studie wäre selbst als Bachelor-Arbeit wohl kaum durchgekommen, da hier gleich mehrere Fehler gemacht wurde: Mehrere schwere Fehler in der reinen Methodik und daraus folgend ein massiver Fehler i.d. Interpretation.
Folgende Sachverhalte haben mich dazu bewegt, hier meinen Senf dazuzugeben:
1.) Sepsis ist in der Regel ein sehr akut verlaufendes Krankheitsbild; für die Beurteilung einer Heilwirkung wäre es deshalb massiv angeraten, im Modell für die Veränderung des klinischen Zustands der Patienten ab Einlieferung über relativ kurze Zeiträume zu kontrollieren, um so festzustellen, ob die Medis anschlagen. Wenn ich den Effekt einer sekundären, unterstützenden Behandlung feststellen will, muss ich zumindest die Fälle, in denen die primäre Behandlung versagt oder Komplikationen verursacht, so herausrechenen (sofern ich davon ausgehe,dass kein Zusammenhang mit der Sekundärbehandlung besteht, z.b. Blockadewirkung zweier Medikamente). Dazu aber gleich nochmal mehr.
2.) Der verwendete Test ist von zweifelhafter Eignung für das, was hier getestet werden soll, zumal sich aus dem Paper nicht erschließt, was da genau getestet ist. Somit fehl auch automatisch das Kriterium der Reproduzierbarkeit, was die Studie in ein sehr schlechtes Licht rückt.
3.) Der eigentliche Klopper: Was mich stutzig gemacht hat, war, dass die Mortalität nach 30 Tagen selbst bei p=0.15 insignifikant war, aber Mortalität nach 180 Tagen bei p=0.05 signifikant. Gerade bei akuten Krankheiten wie der Sepsis sollte das genaue Gegenteil zu erwarten sein: Hohe Signifikanzen für eine Sofortwirkung der effektiveren Medikation, und niedrigere Signifikanzen für die Langzeitwirkung.
Wie kommt das? Meiner Meinung nach liegt der Fehler darin, dass doch eine wesentlich größere Heterogenität zwischen den Gruppen besteht, als angenommen, und diese unbeobachtete Heterogenität den scheinbaren Vorteil der Homöopathie erklärt.
Weshalb? Nun, das Modell kontrolliert für Vorerkrankungen, was auch absolut wichtig und richtig ist. Allerdings werden die Vorerkrankungen nur grob in 5 Gruppen aufgeteilt (was der niedrigen Fallzahl von N=67 verwertbaren Probanden geschuldet sei dürfte). Was mich daran stört: "Cancer", also Krebs, wird bei etwa 1/3 der Patienten in der Treatment- und der Kontrollgruppe als Vorerkrankung angegeben; leider ist Krebs jedoch kein einheitliches Krankheitsbild, sondern ein Sammelbegriff für verschiedenstes Erkrankungen.
Diese Erkrankungen unterscheiden sich MASSIV in ihrer Mortalität; so ist bei einigen Krebsarten (Pankreas, manche Haut- und Gefäßkrebsarten, wenn ich mich nicht irre) die langfristige Überlebenschance selbst bei intensivster Behandlung nahe 0, und die mittlere Überlebenszeit beträgt weniger als 2 Jahre, während andere Krebsarten (Hoden, manche Hirtumore) nahezu 100%ige Heilungsaussicht besteht.
Führen wir uns vor Augen, was das heißt: Bei der vorliegenden Studie sind je Gruppe ca. 11-12 Krebspatienten enthalten; sollten jetzt zufällig mehrere (nur 2-3) Patienten mit aggressiveren Krebsarten in die Kontrollgruppe oder besonders viele Patienten mit "harmloseren" Tumoren in die Treatmentgruppe eingeteilt worden sein, so würde bereits die gesamte Gruppenvergleichbarkeit gestört und die Studie somit hinfällig sein, insbesondere, da die Fallzahl so niedrig ist.
Hinweis: Ich beschuldige den Ersteller der Studie explizit NICHT dies bewusst herbeigeführt zu haben; dem Paper ist zu entnehmen, dass die Gruppen per Computer zugewiesen wurden, um möglichst ähnliche Verteilungen zu erzeugen (absolute Standard-Vorgehensweise). Das hierbei versäumt wurde, die Krebserkrankungen differenzierter zu betrachten, ist ein unverständlicher, aber nachvollziehbarer Fehler, der aber erst nach der Auswertung behoben werden könnte, in diesem Falle wäre allerdings die dopplete Verblindung zerstört und die Studie ebenfalls hinfällig.
Insgesamt kann man also sagen, dass diese Studie als Beweis leider untauglich ist, da zwei oder mehr schwere Fehler gemacht wurden, wovon jeder für sich bereits ausgereicht hätte, die Studie zu entwerten. In Verbindung mit der niedrigen Probandenzahl ist die Schlussfolgerung, man hätte hiermit die Wirksamkeit der homöopathie bewiesen, absolut unverständlich.
Grüße,
Statman