@Dr.Precht Dr.Precht schrieb:Durch Expansion wird also der Raum erst geschaffen?
Jeder Raum den wir kennen, existiert in einem anderen, größeren Raum.
Mit dem Universum soll diese Regel also ein Ende nehmen?
Warum erscheint es den meisten Menschen dann so unlogisch - der Gewohnheit der Regel wegen?
Das ist ein evolutionär bedingtes Problem.
In der Entwicklung unsere Hirns spiegelt sich neben unserer Physis auch unsere Alltagserfahrung wieder (evolutionsbiologisch betrachtet, wohlgemerkt). Wenn wir denken, dann tun wir das mit den Mitteln, die unserer Sinne uns vorgeben. Wir denken bspw. in Worten, wir denken in Bildern, in Gerüchen oder Kinästhetisch. Selbst Emotionen - sie müssen nur stark genug sein - habe solche körperliche Entsprechungen.
Das selbe gilt für ein paar ganz grundlegende Dinge. So denken wir beispielsweise räumlich dreidimensional. Nicht vierdimensional, aber eben auch nicht zweidimensional.
Hier wird häufig zum Verglich für die Krümmung des Universums ein zweidimensionales Lebewesen benutzt (ich werde es gleich auch einmal ansprechen, aber dazu später). Wenn man sich so ein Strichmännchen vorstellt, dann hat man automatisch die Perspektive vor Augen, die man hat, wenn man auf ein Blatt schaut, auf dem besagte zweidimensionale Formen gezeichnet sind. Für das Strichmännchen aber müsste die Perspektive völlig anders sein. Es hat keine dritte Dimension, von der aus es auf das Blatt herunterschauen könnte. Demnach wäre eine Linie für das Strichmännchen wie für uns eine Mauer. Und ein Kreis wäre wie eine hohle Kugel für uns - das Strichmännchen könnte nicht hineinsehen. Wenn man sie erklärt bekommt, erscheinen einem diese Zusammenhänge offensichtlich, aber es ist einfach nicht das, woran man denkt, wenn man sich vorstellt, wie wohl die Erfahrungswelt eines solchen Strichmännchens sein könnte. Sie widerspricht einfach unserer Alltagserfahrung. Und diese Alltagserfahrungen wiederum, wie gesagt, bestimmen, wie unser Hirn grundlegend funktioniert.
Zurück zum Universum: Es ist in der Darstellung der klassischen Kosmologie vierdimensional räumlich gekrümmt. Das widersetzt sich leider unserer Alltagserfahrung. Nur wenige Menschen, wenn überhaupt, können sich vierdimensionale Räume vorstellen. Natürlich könnte man einen Querschnitt eines solchen Objekts betrachten (ein Foto bspw. ist ja auch nur ein zweidimensionaler Querschnitt eines dreidimensionalen Raums), aber wirklich hilfreich ist das nicht. Ich kann Dir gerne einen solchen Querschnitt zeigen, wenn Du magst, es wird uns an dieser Stelle aber garantiert nicht weiterbringen.
Nun stellt sich die Frage, wie man belegen kann, das der Raum die genannte Krümmung aufweist. Das ist vierdimensional schwer zu erklären, also muss ich jetzt, wie angekündigt, auf die Analogie mit dem Strichmännchen zurückgreifen.
Unser Strichmännchen lebt, denkt und sieht nur zweidimensional, mit allem, was das so mit sich bringt. Es lebt allerdings in einem dreidimensionalen Raum, das aber kann es nicht wahrnehmen. Dieser dreidimensionale Raum ist eine Kugel.
Das Strichmännchen erforscht also das Universum, in dem es lebt. Dabei stellt es etwas äußerst verblüffendes fest. Bekanntermaßen ist in einem zweidimensionalen Raum die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten einfach eine Linie, die sie verbindet. In einem drei- oder mehrdimensionalen Raum ist das aber nicht mehr der Fall. Stell Dir unsere Globus vor, und einen Punkt in Deutschland und einen am Nordpol. Ich markiere jetzt den Punkt in Deutschland und ziehe eine direkte Linie nach Norden. Dann habe ich die kürzeste Verbindung.
Aber: Ich kann auch eine Linie nach Süden ziehen. Ist zwar ein Umweg, aber es ist auch eine Linie, und auch sie führt letztlich zum Nordpol. Zeichen wir beide Linien ein, erhalten wir einen Kreis. Da wir dreidimensional denken, ist das nicht sonderlich verblüffend.
Das besagte Strichmännchen aber weiß nichts davon. Es findet noch andere seltsame Dinge heraus. Zum Beispiel, das ein Dreieck, wenn man es nur groß genug zeichnet, keine 180 ° hat. Das bei großen Kreisen die Zahl Pi sich ändert. Es entdeckt kurz und gut, das es sich in einem nicht-euklidischen Raum befindet. Was wir natürlich wissen, schließlich können wir aus der dritten Dimension prima von oben darauf herunterschauen.
Da das Strichmännchen nun aber weiß, das in einem euklidischen Raum ein Dreieck 180 ° hat, kann es, wenn das Dreieck nur groß genug ist, auf Basis der Abweichung von diesen 180 ° berechnen, wie sehr der zweidinensionale Raum, den es sehen kann, in eine dritte Dimension hineingekrümmt ist.
Und genau das können wir auch, wenn wir unseren dreidimensionalen Raum betrachten und versuchen zu ermitteln, inwieweit er in eine vierte Dimension gekrümmt ist.
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OK, bis an diesen Punkt sollte alles nachvollziehbar sein. Allerdings beantwortet es nicht direkt die Frage, die Du gestellt hast, nämlich, in welchem Raum sich unser Universum befindet. Jedenfalls beantwortet sie es nicht direkt: Diese Frage basiert auf unserer Alltagsvorstellung davon, was Raum eigentlich ist. Raum selbst nimmt keinen Platz ein; er
ist der Platz. Blöderweise lässt sich das schwer mit Strichmännchen-Beispielen erläutern. Denn auch die Kugel, über die wir das Strichmännchen wandern lassen, nimmt letztlich einen Platz in einen existenten Raum ein. Das Problem ist, das wir uns das Konzept "Raum" nicht vorstellen können. So wenig, wie das Strichmännchen sich den Raum vorstellen kann, und schon mal gar nicht mit einer zusätzlichen Dimension. Aber, und da ist der Knackpunkt, wir können ihn berechnen und wir können ihn messen. Betrachtet man alle zur Verfügung stehenden Messungen und die Berechnungen, die daraus folgen, ist die klassische Kosmologie die derzeit beste Erklärung, die wir haben.
Muss die deshalb zwingend richtig sein? Nein! Natürlich nicht. Nur sieht es so aus: Entweder man arrangiert sich mit der klassischen Kosmologie und akzeptiert die Beschränkung eines in sich selbst geschlossenen, in sich selbst expandierenden Raums. Es mag den Alltagsbeobachtungen widersprechen, aber man befindet sich in der luxoriösen Position, das man das, was man beobachten kann, prima erklären kann.
Alternativ kann man natürlich andere Konzepte in Betracht ziehen. Meistens schlagen die Menschen aber dabei einen sehr irritierenden Weg ein. Es wird nicht gefragt, welche Konzepte existieren, und abgeglichen, welche Vor- und Nachteile es gegenüber dem bestehenden Konzept hat. Sondern, man stellt einfach fest, das die klassische Kosmologie in diesem oder jenen Punkt unserer Alltagserfahrung widerspricht, und verwirft dann diesen einen Punkt. Das Resultat sind logisch inkonsistent Vorstellungen davon, wie unser Universum funktioniert, basierend darauf, das man sich als Strichmännchen einfach nicht vorstellen kann, das es zusätzliche Räume gibt. Dreiecke haben keine 180 °? Na, dann ist bestimmt die Mathematik nicht in Ordnung. Das klingt weniger lächerlich als eine dritte, nicht wahrnehmbare Raumdimension, die die zwei vorhandenen so krümmt, das der zweidimensionale Raum in sich selbst geschlossen ist.
Sehr gerne wird dabei vergessen, das die klassische Kosmologie nicht in sich geschlossen ist. Sie korreliert mit anderen Wissenschaften, die unseren Alltagserfahrungen ebenso widersprechen, wie beispielsweise der Quantenphysik. Der Quantenphysik zu widersprechen ist aber gelinde gesagt ein wenig naiv. Die Quantenphysik ist zwar offen für Interpretationen, aber die ändern nichts an sehr seltsamen Ergebnissen. Und das die real sind, wissen wir, weil wir ohne die Quantenphysik nicht die Computer hätten, mit denen wir heute arbeiten.
Ich halte einfach mal fest, das unsere Alltagserfahrung ein schlechter Ratgeber ist, wenn wir in Dimensionen denken, die in unserer Alltagserfahrung keine Entsprechung haben.