Hallo
@John_Brook Ja, Atlantis ist schon faszinierend, nicht wahr? Es wurden wahnsinnig viele Bücher darüber geschrieben, Aufsätze veröffentlicht, Forschungsreisen unternommen, Symposien veranstaltet, Lösungen vorgeschlagen. Mehr als zu etlichen anderen bedeutsamen Dingen.
Die Bezugnahme zu Shangri La / Shamballa / Agharti ist dabei nichts Neues. Doch sind dies zunächst erst einmal separate Phänomene. Diese in Beziehung zueinander oder gar gleich ineins zu setzen halte ich für nicht gerechtfertigt. Man kann sie natürlich vergleichen, sollte es auch. Schon aus kulturanthropologischer Sicht. Aber daß sie "historisch" miteinander zu tun haben, ist allenfalls eine Überlegung, eine Arbeitshypothese.
Die Griechen sprachen durchaus von weiteren Phänomenen, etwa von den Atlantioi des westlichen Nordafrika. Doch auch hier kann nicht mal eben eine Gleichsetzung angenommen werden.Diodors Atlantioi sind nicht Platons Atlantides, ihre Bezeichnung, so ähnlich sie uns auch klingt, führt sich auf einen anderen Ursprung zurück. Atlantioi besteht aus der Wortwurzel *atlant- und der Endung *-oi für den Nominativ Plural, ergänzt um ein Füll-i. Das *atlant- ist der Wortstamm jener Vokabel, die wir als "Atlas" kennen. Selbst beim Beugen dieses Fremdwortes im Deutschen taucht der Stamm wie im Griechischen außerhalb des Nominativ Singular wieder auf "des Atlanten", "Die Atlanten". Auch das Wort "Atlantis" ist eine Wortbildung, die auf "Atlas" basiert. Die Atlantides des Platon hingegen sind zusammengesetzt aus der Wortwurzel *atlanti und der Endung *-es, was eine andere Form des Nominativ Plural ist, diesmal angereichert um einen Füllkonsonanten, das D. *Atlanti- nun ist der Wortstamm von Atlantis.
Das ist ungefähr so, als würden wir Slawen und Sklaven gleichsetzen. Die Vokabel für "Sklave" ist im germanischen Bereich tatsächlich von der Vokabel "Slawe" abgeleitet, weil Sklaven oft Slawen waren (vgl. englisch slave für Sklave und dänisch sklave für Slawe). Aber nur wegen der sprachlichen gemeinsamen Herkunft der Vokabel sind beide so bezeichneten Gruppen nicht identisch. Auch Inder und Indianer nicht (beides englisch indians).
Hinzu kommt, wenn wir Platos Bericht ernst nehmen, dann
wissen wir, daß so gut wie alle atlant(id)ischen Bezeichnungen nicht authentisch sind. Plato läßt seinen Gewährsmann berichten, daß die Ägypter sämtliche Orts-, Personen- und sonstige Namen aus der Ursprungssprache ins Altägyptische übersetzt haben, und diese Namen wurden dann im nächsten Übersetzungsgang ins Griechische übertragen. Das ist, als würde jemand ein russisches Märchen vom tolpatschigen Bogomir ins Deutsche übersetzen und den Helden Gottfried nennen. Ist die korrekte Übersetzung von Bogomir.
Du mußt also erst einmal herausfinden, wie man das griechische Atlantis ins Altägyptische rückübertragen kann, dann die wahrscheinlichste altägyptische Form auswählen, die dann tatsächlich ins Griechische als Atlantis übertragen wurde. Dann mußt Du die Sprache von Atlantis kennen und nochmals das selbe vom Altägyptischen in diese Sprache tun. Die Wahrscheinlichkeit, daß dabei irgendetwas herauskommt, das wie "Atlantis" klingt, ist doch sehr unwahrscheinlich. Wieso also sollten diese was mit den nordafrikanischen Atlantioi zu tun haben, welche die Griechen so nannten, weil sie am Fuße eines Gebirges lebten, welches von den Griechen "Atlas" genannt wurde?
Atlas ist in der griechischen Mythologie ein Titan, der dazu verdammt wurde, die Himmelskuppel zu tragen. Dazu steht er am westlichen Ende der Welt. Herakles soll ihn mal aufgesucht haben und durch einen Trick des Atlas dazu überlistet worden sein, statt seiner den Himmel zu tragen. Herakles konnte ihn zurücküberlisten, und so steht nun wieder Atlas am Westende der Welt. In früheren Zeiten, als die Griechen noch nicht viel von der Welt kannten, stand Atlas irgendwo auf dem Breitengrad Italiens oder Siziliens, da hörte für die Griechen die Welt im Westen auf. Später kamen sie weiter rum, und so verschob sich auch das Westende der Welt bis nach Gibraltar. Dorthin verlagerten sie dann auch Atlas (das titanische Gebirge in Nordafrika) sowie Herakles, der zur Himmelsstützung die beiden Säulen schuf ("Säulen des Herakles", Gibraltar und Ceuta). Und als die Griechen begriffen, daß der weltumfließende Okeanos kein schmaler Mahlstrom ist, der die Welt kreisförmig umfließt, teilten sie das weltumspannende Meer, das sie weiterhin annahmen, sprachlich auf in das westliche und das östliche, das "atlantische Meer" und das "indische Meer". Wir kennen es heute noch als den Atlantischen Ozean und den Indischen Ozean. Oder um die griechische Endung zu nehmen: den Atlantik(os pelagos) und den Indik(os pelagos).
Plato läßt nun seinen Gewährsmann sagen, daß die Griechen das Atlantische Meer bereits unter diesem Namen kennen, aber nicht wissen, daß diese Bezeichnung gar nicht vom Titanen Atlas herrühre, der das Westende der Welt markiert, sondern tatsächlich käme diese Bezeichnung davon, daß hier einst Atlantis gelegen habe, und der Name daher rühre. Man fragt sich doch, wie die Griechen auf die Idee gekommen sein sollen, den westlichen Ozean nach etwas zu benennen, an das sie sich nicht erinnern können. Und wieso nannten die Griechen das Meer dann nach einem griechischen Wort und nicht nach dem Namen der Insel? Die, wie wir ja wissen, einen landestypischen Namen trug, der nur in zweifacher Übersetzung zu "Atlantis" wurde.
Ich wills mal so sagen: Wir haben hier Plato beim Lügen erwischt. Selbstverständlich benannten die Griechen den Atlantik nach dem Atlas und nicht nach einer Insel, die sie nicht kannten, und deren Namen garantiert nicht Atlantis war. (Zum Vergleich: das Tyrrhenische Meer nannten die Griechen nach dem dort lebenden Volk der Tyrrhener bzw. der dort liegenden nach diesem Volk benannten Landschaft Tyrrhenien, wobei diese Bezeichnung von den Tyrrhenern selbst stammt und keine griechische Übersetzung dieser Bezeichnung ist.) Wäre der Atlantik nach Atlantis benannt worden, wäre es nicht das Atlantische Meer (atlantikos pelagos), sondern das Atlantidische Meer (atlantidikos pelagos) geworden.
Wenn wir also nun wissen, daß Plato es erfunden hat, daß der ägyptische Priester dem Solon erklärt hat, daß der Atlantik seine Bezeichnung von Atlantis hat, dann fragen wir mal, was sonst noch alles von Plato in den Mund seines Gewährsmannes gelegt wurde.
Auch die Weise, bei der Übersetzung von Geschichten die Namen ebenfalls zu übersetzen, klingt nicht glaubwürdig (wenn Ägypter ferne Ortschaften und Personen wiedergaben, dann in Umschrift der landesüblichen Bezeichnung). Dafür aber wäre es ein toller Schachzug für jemanden, der sich ne tolle Geschichte ausdenken will, aber lieber darauf verzichten möchte, sich Namen für Orte, Personen usw. in einer Phantasiesprache auszudenken. Ist zwar keine eindeutige Sache wie das mit Platons Lüge, aber nachdem wir diese Lüge gefunden haben, sollte dies immerhin als Hinweis gelten.
Ein weiteres Verdachtsmoment ist dies: Wenn ich mir ein bedeutsames Großreich ausdenke, welches ich dann in unsere reale Vergangenheit stecke, dann muß ich zweierlei tun: Ich muß erklären, wieso das Großreich spurlos verschwunden ist, sodaß wir heute nichts mehr davon sehen. Und ich muß auch erklären, wieso wir nicht einmal mehr Erinnerungen daran haben. Genau dies hat Plato ausführlich mitgeteilt. Das gesamte Reich, eine riesige Insel, ist im Meer versunken und unter Schlamm begraben. Und die Griechen wie alle übrige Welt haben dies durch nachfolgende Kataklysmen vollständig vergessen (mit Ausnahme der Ägypter, die aus physikalisch nicht zutreffenden Gründen von diesen Kataklysmen verschont geblieben sein sollen, sodaß sie sich erinnern konnten).
Was haben wir? Wir haben einen Beweis, daß Plato etwas, das der Verifizierung der Existenz von Atlantis dienen soll, erfunden hat. Und wir haben davon ausgehend zwei Dinge beobachtet, die geradezu danach schreien, literarische Verschleierung der Fingierung zu sein. Und selbst wenn wir weiterhin davon ausgehen, daß Plato hier was Historisches aufgegriffen hat und es nur halt ein wenig "überarbeitete", so wissen wir, daß das Reich nicht Atlantis hieß und seine Einwohner nicht Atlant(id)ier.
Damit sollte jegliche Bezugnahme auf Diodors Atlantioi udgl. endgültig hinfällig sein.
Pertti