Leben auf Silizium-Basis
09.05.2006 um 21:25
Gut Cjoe78, aufgrund Deines Beitrages relativiert sich so einiges für mich und kannnun adäquater Deinen Standpunkt nachvollziehen. Wenn ich nun Deinen ersten Abschnitt mirdurch den Bauch und Kopf gehen lasse, so fallen mir einige Dinge auf, die ich Dir gernemitteilen möchte.
Du erzählst wie Dich alle Theorien nicht zufrieden stellenkönnen, weil sie keine Antworten auf die fundamentale Frage: „was war davor“ bietenkönnen und Du es daher als „nahe liegend“ oder als „Einzige“ Konsequenz betrachtest, dieFrage auf den Glauben zu verlegen und folglich es ohne einen Gott nicht gehen könne unddies sei Deine persönliche Meinung. Bekräftigen tust Du diese Annahme auch, mit DeinemWissen um der Unmöglichkeit, dass es der Wissenschaft jemals gelingen würde, diesenGrenzbereich erfassen zu können. Wie bereits erwähnt CJoe78, stellt sich für mich, DeineMeinung und Position, in keiner Weise ein Problem dar und möchte auch nicht den Eindruckerwecken, dass ich daran herum kritisieren möchte, nein, vielmehr sind es Gedanken undFragen die bei mir auftauchen, welche eventuell von Interesse für uns sein könnten, imSinne eines weiterführenden Diskurses.
Wie ja auch aus Deinen weiteren Absätzenzu entnehmen ist, zeigst Du ja auf, dass Leben an und für sich, eigentlich einWunder bedeuted, in Anbetracht der schier unendlichen Dimensionen, derLebensfeindlichkeit derselben usw. usf.. Ein Wunder also, dass es im Universum Lebengibt, dies ohne Zweifel...
Aus meiner Sicht stellt sich nun die nahe liegendeFrage der Relation. Die Relation eines menschlichen Daseins und den natürlichenErkenntniskräften, wie sie eben und gerade aus wissenschaftlichen Betrachtungenresultieren, aber z.B. auch Betrachtungen aus alter fernöstlicher Überlieferungen unddergleichen. Wie schaut nun eine solche Relation aus? Auf der einen Seite haben wir dasdenkende Ich, ein menschliches Wesen inmitten eines unendlich scheinenden Kosmos, derenUrgrund wir nicht zu durchschauen vermögen und die Sinnfrage des Daseins nichtüberzeugend beantworten können.
Nehmen wir einmal an, dass wenn wir dieseRelation uns bildlich, abstrakt oder sonst wie es einem gerade möglich ist, unsvorzustellen versuchen, welches Bild würden wir erhalten können?
Wäre es zumBeispiel eine Möglichkeit, wenn wir z.B. einmal die Grössenverhältnisse uns versuchen zuvergegenwärtigen, dass ein einzelner Mensch mit samt der gesamten Menschheit und derenHabitat, den Planeten Erde im Verhältnis zum Kosmos, keine massgebende Rolle spielenkönnte, abgesehen davon, dass es sich hier um „Leben“ handelt, welches sich selbstwahrnehmen kann, aber im Verhältnis zum Kosmos es schlicht nicht einmal einen Billionsteleines Brotkrümmels ausmachen würde und demnach es keine erwähnenswerte Rolle für denKosmos spielen würde, ob es die Menschen mit ihren Geschichten, Vorstellungen, ja mitallem drum und dran, dem nicht wissen wie es (das Leben funktioniert) überhaupt gebenwürde oder nicht?
Wie verträgt sich eine solche Vorstellung für ein denkendesIch und was für Konsequenzen könnte eine solche Vorstellung für ein denkendes Ich darausfolgen?
Könnte es sein, dass ein denkendes und fühlendes Ich, sich nicht einfachdamit zufrieden geben könnte und stattdessen unbedingt nach einem Ersatz (Gott,Wiedergeburt, ewiges Leben usw. usf.) sich umsehen möchte, damit seiner winzigstenWinzigkeit, doch noch eine gewisse Grösse erlangen kann, auch wenn sie nur eingebildetwäre?
In diesem Kontext fällt mir gerade ein Mann ein, aus dem 6.Jahrhundert v. Chr. Sein Name ist Laotse, dessen persönliches Leben im Dunklen vonLegenden liegt. Bei ihm gab es keine Schule und auch keine Jünger, wie etwa bei seinemLandsmann und zeitgenossen Kungfutse. Selbst sein Name ist ein Kunstprodukt, steht erdoch für „Verfasser des Tao-de-Jing, des Buches vom Weg der Sittlichkeit“. Dessen5000 Worte soll Laotse einem Grenzposten übergeben haben, als er seine Heimat, diechinesische Provinz Tschou, verlässt, um in die Einsamkeit zu gehen. „Sein Strebenwar, sich selbst zu verbergen und ohne Namen zu bleiben“, erzählt ein chinesischerGeschichteschreiber. Niemand weiss, wo Laotse nach seinem Abschied geblieben undschliesslich gestorben ist.
Im unterschied zum Konfuzianismus (Kungfutse) findetLaotse mit seinem System in China nur wenige Anhänger, und die meisten von ihnen sindzunächst Einsiedler, die sich lieber acht Aufgüsse aus grünem Tee zubereiten, alspolitisch oder gesellschaftlich aktiv zu werden. In jüngerer zeit allerdings findet derTaoismus immer mehr Anhänger in esoterischen Kreisen des Abendlandes- wobei es oft zuargen Verfälschungen der ursprünglichen Lehre kommt.
Laotse istMetaphysiker, er beschäftigt sich also mit Dingen, die nicht von dieser Welt sind undsich nur wenigen Menschen nach tiefen In-sich-Gehen erschliessen. Dies hat den Vorteil,dass man mit „normalen weltlichen Menschen“ nur wenig aneckt. Laotse und sein Systemhaben daher nur wenige echte Feinde.
Die Frau als konkretes Lebewesen spielt imTaoismus keine Rolle, wohl aber das „Ewige- Weibliche“. Und das steht in hohem Ansehenals „Ausgangspforte und Wurzel von Himmel und Erde“: „Endlos drängt sich’s und ist dochwie beharrend, in seinem Wirken bleibt es mühelos.“ Laotse antizipiert hier schondeutlich die (zwei Jahrhunderte nach ihm entstandene) Philosophie des Tai Chi, in der demmännlichen Yang das Ying gegenübersteht, als weibliches Prinzip von Beharrlichkeit undmühelosen Wirken, das weniger ein Tun als ein effektives Nicht- Tun ist. Weiblichkeitalso als Passivität- ein Gleichnis, das in der Philosophie immer wieder anzutreffen ist.Für Loatse ist jedoch das effektive Handeln durch nicht- Tun von zentraler Bedeutung fürdie Entwicklung des Menschen hin zur Vollkommenheit und deswegen kann man ihn getrost alsden ersten Feministen der Weltgeschichte bezeichnen.
Laotses Kernbegriff ist dasTao, der unfassbare Urgrund der Welt. Unfassbar heisst: Mann kann es nicht inWorte fassen, weil es nicht aus anderen Dingen ableitbar und mit nichts anderemvergleichbar ist. „Das ewige Tao hat keinen Namen“, erklärt Laotse, und: „Ich weissseinen Namen nicht, nenne es aber Tao.“ Insofern nun das Tao [b]unbegreiflich ist,ist [b]„Erkennen des Nichterkennens“ das [b]Höchste, was wir an Erkenntnisgewinnen können. Ein Satz, der uns in ähnlicher Form später auch noch bei [b]Sokratesbegegnen wird...
Doch er hinterlässt natürlich einen schalen Beigeschmack. Dennwenn wir wissen, dass wir vom Tao nichts wissen und nie etwas wissen werden- was solldass das ganze überhaupt?
Laotses Antwort: Wir müssen das Tao erfühlen. Und zwardadurch, dass wir uns von allem befreien, was uns vom Weg des Tao ablenkt. Was nichtheissen soll, dass wir uns in radikaler Askese von der Welt abwenden, sondern wir sollensehr wohl mitten in der Welt stehen und wirken, aber so, dass wir gleichsam „nicht vondieser Welt“ sind. Wir sollen also reden, handeln, Geld verdienen und auch lieben, aberohne von den Dingen und Menschen Besitz nehmen. Also reinfühlen anstatt Reindenken in dieWelt und sie nicht mit allen Mitteln beherrschen wollen, sondern sie sanft auf unseinpendeln lassen. Das klingt nicht unbedingt hart und männlich, sondern eher weich undweiblich. Doch Laotse hat damit keine Probleme: „Denn auch das Wasser ist weich undschwach und doch ist es dem Starken und Harten an Wirkung weit überlegen.“
Ersterzählt uns Laotse, dass da ein [b]Urgrund des Daseins ist, nämlich das Tao. Dannerzählt er uns, dass wir dieses Tao nicht erkennen oder auch nur besprechen, sondern nurerfühlen können. Und damit nimmt er natürlich allen Kritiken den Wind aus den Segeln,denn deren Kritik kann ja nur über Worte erfolgen. Jetzt könnten wir natürlich einwenden,dass wir uns alle Mühe gegeben hätten, das Tao zu erfühlen und am Ende doch wieder nichtsgefühlt hätten. Was wird uns Laotse darauf antworten?
Er wird uns sagen: DasTao findet man nicht über Mühen, sondern nur über Mühelosigkeit und ihr werdet finden.Und wir werden schamvoll den Kopf senken und uns den Kopf martern, wie man denn umHimmelswillen Mühelosigkeit trainieren kann. So ist eben Laotse. Da gibt es kein Aha-Erlebnisse, sondern geistige Kopfnüsse. An ihm prallt die abendländisch- intellektuelleAnmache ab wie der Ping- Pong- Ball am Schläger eines chinesischenTischtennisweltmeisters. Und das hat schon irgendwie Klasse…
Laotse zeigt unsdie Grenzen des Verstandes und er bezaubert uns mit der These, dass sich das Wesen desDaseins weniger über rationale Erkenntnis als über das Einfühlen und die rechteLebenseinstellung erschliessen lässt. Schade nur, dass er immer mehr von Esoterikern inBeschlag genommen wird. Denn die halten sich schon für [b]taoistische Meister imEinfühlen und intuitiven Erfassen des Wahren, nur weil es ihnen drastisch an Verstand undUrteilskraft fehlt. Dabei will Laotse diese beiden Stützpfeiler des Denkenskeineswegs auflösen, er plädiert sogar dafür, sie immer wieder zu trainieren. Denn:„Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück.“
Fazit:
[b]Nichtwissen will gelernt sein. :)[/b2][/b1][/b0][/b][/b][/b][/b]