Erdbeben durch Gasförderung
21.03.2006 um 18:46URL: [autourl (http://www.spiegel.de/wissenschaft/erde/0,1518,407061,00.html[/autourl]]Link: URL: www.spiegel.de (extern))
SPIEGEL ONLINE - 21. März 2006, 13:11
Brisante Daten
Gasförderung sollErdbeben in Deutschland ausgelöst haben
Von Axel Bojanowski
Die beidenErdbeben, die Norddeutschland im Herbst 2004 und Sommer 2005 erschüttert haben, wurdenmöglicherweise von der Erdgas-Förderung verursacht. Neue Daten, die SPIEGEL ONLINEvorliegen, weisen auf die bisher nur unter Experten bekannte Gefahr hin.
Am 20.Oktober 2004 um 8.59 Uhr geschah in Norddeutschland, was nach wissenschaftlichem Ermessendort eigentlich kaum passieren kann - die Erde bebte mit der Stärke 4,5 auf derRichterskala. Hochhäuser schwankten, Zimmerwände rissen auf, Menschen liefen aus Angstins Freie. Solch ein Ruckeln wurde in der Gegend noch nie registriert. Norddeutschlandgilt als nahezu aseismisch, selbst schwache Vibrationen der Erde sind selten. Am 15. Juli2005 aber folgte der nächste Schlag: Erschütterungen der Stärke 3,8 verursachten einenlauten Knall und ließen Gebäude erzittern.
Schnell schien die Ursache beiderErdbeben gefunden: Uralte Schwächezonen im Gestein in mehr als acht Kilometer Tiefe seienaufgerissen, erklärten Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGRin Hannover.
Doch neue Untersuchungen kommen nach Informationen von SPIEGELONLINE zu einem weitaus heikleren Ergebnis. Demnach könnte die Gasförderung für die Bebenverantwortlich sein und Norddeutschland künftig regelmäßig erzittern lassen. Die Erdstößekönnten auch die geplanten unterirdischen Atomendlager Gorleben und Konrad gefährden.Zudem würde ein Beben nahe einer Großstadt wohl beträchtliche Schäden anrichten, denn inder Region gibt es keine entsprechende Baunorm. Und die Förderfirmen kennen die Bedrohungseit langem.
Ungewöhnliche Beben im Norden
Norddeutschland wird aufErdbebenkarten dunkelgrün dargestellt: Fernab von Erdplattengrenzen besteht dorteigentlich keine Gefahr. Alle paar Jahre vibriert der Untergrund kaum merklich. In denvergangenen Jahren jedoch schlagen die Messgeräte häufiger aus, was bisher daraufzurückgeführt wurde, dass ein empfindlicheres Sensorennetz als früher in Betrieb ist.
Das Beben im Oktober 2004 jedoch war außergewöhnlich. Es ereignete sich naheRotenburg auf halbem Weg zwischen Hamburg und Bremen direkt in einem Gasfördergebiet.Erste Auswertungen der Erdbebenwellen brachten ein brisantes Resultat: Voneinanderunabhängige Untersuchungen von Forschern der Universität Hamburg, der BGR und desGeoforschungszentrums Potsdam ergaben, dass sich das Beben in fünf bis sieben KilometerTiefe ereignet hatte - direkt neben Erdgaslagerstätten.
Auch einwirtschaftlicher Aspekt gab zu denken: Im Herbst 2004 stiegen die Gaspreise rasant an,die Förderung wurde weltweit angekurbelt. Die These, eine gesteigerte Gasentnahme könntedas Beben ausgelöst haben, diskutierten die Forscher allerdings nur untereinander, nichtöffentlich.
Mangel an Bebensensoren
Niemand traute sich, dieGasförderung für das Beben verantwortlich zu machen. Denn der letzte Beweis fehlte, dieMessergebnisse der Bebentiefe waren angreifbar. Der Grund für die Unsicherheit: InNorddeutschland stehen zu wenige Erdbebensensoren. Mit dem Gerätenetz lässt sich zwar dieStärke eines Erdstoßes, nicht jedoch seine Tiefe präzise bestimmen. Nur sie verrätallerdings, warum es gebebt hat. In Norddeutschland gilt die Faustregel: Unterhalb vonacht Kilometern liegt Festgestein, darüber Gaslagerstätten.
Um die Tiefe desBebens besser zu bestimmen, griffen Forscher um Günter Leydecker und Diethelm Kaiser vonder BGR zu einer bewährten Methode: Sie befragten die Bevölkerung, welche Folgen dieErschütterungen in ihrem Umfeld hatten. Nach Aufrufen in Zeitungen und im Internetbekamen sie mehr als 1100 Antworten. Die Berichte wurden gemäß der Intensitäten-Skalagewichtet.
Je weiter der Umkreis der Erschütterungen und je schwächer dieAuswirkungen der Stöße, desto tiefer muss sein Herd gelegen haben. Das Prinzip ist dasgleiche wie bei einer Taschenlampe, die eine Tischplatte von unten her beleuchtet: Jetiefer die Lampe steht, desto breiter erscheint ihr Lichtkegel auf der Platte - und umsoschwächer wird das Licht. Leydecker und Kaiser ermittelten nach diesem Prinzip eineBebentiefe von mehr als acht Kilometern. Die Gasförderung schien endgültig alsBebenursache ausgeschieden zu sein, als Leydecker und Kaiser auch für das Beben imvergangenen Juli eine Tiefe von ungefähr elf Kilometern berechneten.
Zweifelnagen an Experten
Eine Forschergruppe um Klaus-Dieter Klinge von der BGR jedochschaute sich die Aufzeichnungen der Erdbebensensoren genauer an. Die Seismologen wertetennicht nur die vom Bebenherd direkt zu den Messgeräten gelaufenen Druckwellen aus, sondernauch jene Wellen, die an der Erdoberfläche reflektiert wurden. Die Forscher ließen einComputermodell virtuelle Erdbeben errechnen, die theoretisch in der Region auftretenkönnten. Die Daten dieser künstlichen Erdstöße verglichen sie mit den realen Messungender Erdbebengeräte.
Ihr Ergebnis, das bisher nur einem engen Expertenzirkelpräsentiert wurde und SPIEGEL ONLINE vorliegt, zeigt, dass sich beide Beben in etwa fünfbis sieben Kilometer Tiefe ereignet haben. "Eine gute Auswertungsmethode", bestätigtGünter Leydecker - und unterstreicht das Dilemma, in dem sich die Fachwelt nun befindet:"Wir können kein Ergebnis vorziehen, beide Analysen sind robust."
Viele seinerKollegen jedoch tendieren nun dazu, die Gasförderung als Auslöser der Erdbeben anzusehen."Sie spielt vermutlich eine Rolle", sagt etwa Manfred Henger von der BGR. Möglicherweisehabe die Förderung die Spannung einer unter der Gaslagerstätte gelegenen Gesteinsspalteerhöht, die daraufhin gebrochen sei. Ein weiteres Indiz für den Einfluss der Gasförderunghat sein Kollege Torsten Dahm von der Universität Hamburg ausgemacht: Natürliche Erdbebenkommen nicht allein, im betreffenden Gestein ereignet sich in den Jahren zuvor und danacheine Vielzahl schwächerer Beben. Kontinuierliche seismische Aktivität wurde jedoch nichtfestgestellt.
Industrie spricht von Spekulationen
Allen Indizien zumTrotz wollen die Förderfirmen nichts von einer möglichen Verantwortung wissen. "Anwissenschaftlichen Spekulationen beteiligen wir uns nicht", sagt Hartmut Pick vomWirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG). Dabei hätte die Industrie füreindeutige Resultate selbst sorgen können. Seit Jahren drängen Forscher darauf, essollten mehr Messgeräte stationiert werden, um die Erdbeben besser lokalisieren zukönnen.
Auch Daten über die Förderaktivitäten könnten vermutlich schnellaufklären, ob es einen Zusammenhang zwischen der Gasförderung und den Beben gibt.Beispielsweise pumpen Firmen Wasser in den Boden, um das Gas besser aus dem Untergrundtreiben zu können. Der Wasserdruck kann die Erde gelegentlich erzittern lassen. DochAnfragen der Wissenschaftler nach entsprechenden Informationen wurden nicht beantwortet.
In den Niederlanden hingegen, wo mehr Gas gefördert wird als hierzulande, wirddie Gasförderung seit Jahren genau überwacht. Auch Deutschland kann auf eigenes Erdgasnicht verzichten: Ein Siebtel des deutschen Bedarfs stammt aus heimischer Produktion -eine wichtige Reserve in Zeiten steigender Gaspreise. Die Förderung findet fastausschließlich im Nordwesten zwischen Magdeburg und Emden statt.
Doch dasSchweigen der Industrie stößt bei vielen Forschern seit langem auf Unmut. Die WEGpräsentiere sogar falsche Fakten, berichten Wissenschaftler. So betone die Vereinigung,dass sich das zweistärkste in Norddeutschland gemessene Beben im Jahr 1977 vor dem Beginnder Gasförderung ereignet habe. Die Förderung in der unmittelbaren Umgebung desEpizentrums begann indes nicht nach, sondern zwei Jahre vor dem Beben, wie Dokumente desniedersächsischen Landesamts für Bodenforschung (heute Landesamt für Bergbau, Energie undGeologie) besagen. Die WEG blieb auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE dennoch bei ihrerAuffassung.
Größe der Gefahr unbekannt
Dass die Förderung von Erdgasden Boden wackeln lässt, ist nicht ungewöhnlich. In den Niederlanden lassen nichtspürbare Stöße der Stärke 1 bis 2 den Untergrund regelmäßig vibrieren. Nach derGasentnahme gibt der Boden nach, obwohl meist Grundwasser die mikroskopisch kleinen Porenim Gestein füllt, in denen das Gas gespeichert war.
Das übliche Zittern der Erdebei der Gasförderung ist rund 20.000 Mal schwächer als das jener beiden Beben in denletzten anderthalb Jahren. Doch auch derart starke Stöße können bei der Förderungentstehen, wie ein Erdbeben im Nordsee-Ölfeld Ekofisk im Jahr 2001 zeigte. Dort hattengroße Mengen Wasser, die in den Boden gepresst wurden, die Stöße ausgelöst. In Usbekistanhat die Gasförderung gar schwere Beben der Stärke 7 verursacht, wie die amerikanischeBehörde US Geological Survey in einer Studie feststellte.
Solche potentiellenKatastrophen sind in Deutschland nach Meinung der Seismologen nicht zu befürchten, dennhierzulande sind die Gasfelder und die Erdbebenzonen kleiner. Gleichwohl ist unklar, wiestark die Gasfelder in Norddeutschland in Bewegung geraten können.
DieUngewissheit ist heikel, denn in der Nähe der Gaslagerstätten liegen in einem Salzstockund einem Erzbergwerk die geplanten Atomendlager Gorleben und Konrad. Die Gefahr vonförderungsbedingten Erdbeben für die Endlager wurde bisher noch nie untersucht.
Auch die Gebäude im Norden sind im Gegensatz zu denen in süddeutschenErdbebengebieten nicht auf Erschütterungen ausgelegt. Sollte sich ein Stoß der Stärke 4,5nahe einer Großstadt ereignen, wären die Schäden möglicherweise beträchtlich: Mauernkönnten Risse bekommen, Giebel und Zwischenwände sogar einstürzen.
Wenn das sostimmt, dann ist Gorleben als Atommüllendlager unsicher.
Lg
Re
Die beste Tarnung
ist die Wahrheit -
die glaubt einem keiner!
(Max Frisch)
SPIEGEL ONLINE - 21. März 2006, 13:11
Brisante Daten
Gasförderung sollErdbeben in Deutschland ausgelöst haben
Von Axel Bojanowski
Die beidenErdbeben, die Norddeutschland im Herbst 2004 und Sommer 2005 erschüttert haben, wurdenmöglicherweise von der Erdgas-Förderung verursacht. Neue Daten, die SPIEGEL ONLINEvorliegen, weisen auf die bisher nur unter Experten bekannte Gefahr hin.
Am 20.Oktober 2004 um 8.59 Uhr geschah in Norddeutschland, was nach wissenschaftlichem Ermessendort eigentlich kaum passieren kann - die Erde bebte mit der Stärke 4,5 auf derRichterskala. Hochhäuser schwankten, Zimmerwände rissen auf, Menschen liefen aus Angstins Freie. Solch ein Ruckeln wurde in der Gegend noch nie registriert. Norddeutschlandgilt als nahezu aseismisch, selbst schwache Vibrationen der Erde sind selten. Am 15. Juli2005 aber folgte der nächste Schlag: Erschütterungen der Stärke 3,8 verursachten einenlauten Knall und ließen Gebäude erzittern.
Schnell schien die Ursache beiderErdbeben gefunden: Uralte Schwächezonen im Gestein in mehr als acht Kilometer Tiefe seienaufgerissen, erklärten Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGRin Hannover.
Doch neue Untersuchungen kommen nach Informationen von SPIEGELONLINE zu einem weitaus heikleren Ergebnis. Demnach könnte die Gasförderung für die Bebenverantwortlich sein und Norddeutschland künftig regelmäßig erzittern lassen. Die Erdstößekönnten auch die geplanten unterirdischen Atomendlager Gorleben und Konrad gefährden.Zudem würde ein Beben nahe einer Großstadt wohl beträchtliche Schäden anrichten, denn inder Region gibt es keine entsprechende Baunorm. Und die Förderfirmen kennen die Bedrohungseit langem.
Ungewöhnliche Beben im Norden
Norddeutschland wird aufErdbebenkarten dunkelgrün dargestellt: Fernab von Erdplattengrenzen besteht dorteigentlich keine Gefahr. Alle paar Jahre vibriert der Untergrund kaum merklich. In denvergangenen Jahren jedoch schlagen die Messgeräte häufiger aus, was bisher daraufzurückgeführt wurde, dass ein empfindlicheres Sensorennetz als früher in Betrieb ist.
Das Beben im Oktober 2004 jedoch war außergewöhnlich. Es ereignete sich naheRotenburg auf halbem Weg zwischen Hamburg und Bremen direkt in einem Gasfördergebiet.Erste Auswertungen der Erdbebenwellen brachten ein brisantes Resultat: Voneinanderunabhängige Untersuchungen von Forschern der Universität Hamburg, der BGR und desGeoforschungszentrums Potsdam ergaben, dass sich das Beben in fünf bis sieben KilometerTiefe ereignet hatte - direkt neben Erdgaslagerstätten.
Auch einwirtschaftlicher Aspekt gab zu denken: Im Herbst 2004 stiegen die Gaspreise rasant an,die Förderung wurde weltweit angekurbelt. Die These, eine gesteigerte Gasentnahme könntedas Beben ausgelöst haben, diskutierten die Forscher allerdings nur untereinander, nichtöffentlich.
Mangel an Bebensensoren
Niemand traute sich, dieGasförderung für das Beben verantwortlich zu machen. Denn der letzte Beweis fehlte, dieMessergebnisse der Bebentiefe waren angreifbar. Der Grund für die Unsicherheit: InNorddeutschland stehen zu wenige Erdbebensensoren. Mit dem Gerätenetz lässt sich zwar dieStärke eines Erdstoßes, nicht jedoch seine Tiefe präzise bestimmen. Nur sie verrätallerdings, warum es gebebt hat. In Norddeutschland gilt die Faustregel: Unterhalb vonacht Kilometern liegt Festgestein, darüber Gaslagerstätten.
Um die Tiefe desBebens besser zu bestimmen, griffen Forscher um Günter Leydecker und Diethelm Kaiser vonder BGR zu einer bewährten Methode: Sie befragten die Bevölkerung, welche Folgen dieErschütterungen in ihrem Umfeld hatten. Nach Aufrufen in Zeitungen und im Internetbekamen sie mehr als 1100 Antworten. Die Berichte wurden gemäß der Intensitäten-Skalagewichtet.
Je weiter der Umkreis der Erschütterungen und je schwächer dieAuswirkungen der Stöße, desto tiefer muss sein Herd gelegen haben. Das Prinzip ist dasgleiche wie bei einer Taschenlampe, die eine Tischplatte von unten her beleuchtet: Jetiefer die Lampe steht, desto breiter erscheint ihr Lichtkegel auf der Platte - und umsoschwächer wird das Licht. Leydecker und Kaiser ermittelten nach diesem Prinzip eineBebentiefe von mehr als acht Kilometern. Die Gasförderung schien endgültig alsBebenursache ausgeschieden zu sein, als Leydecker und Kaiser auch für das Beben imvergangenen Juli eine Tiefe von ungefähr elf Kilometern berechneten.
Zweifelnagen an Experten
Eine Forschergruppe um Klaus-Dieter Klinge von der BGR jedochschaute sich die Aufzeichnungen der Erdbebensensoren genauer an. Die Seismologen wertetennicht nur die vom Bebenherd direkt zu den Messgeräten gelaufenen Druckwellen aus, sondernauch jene Wellen, die an der Erdoberfläche reflektiert wurden. Die Forscher ließen einComputermodell virtuelle Erdbeben errechnen, die theoretisch in der Region auftretenkönnten. Die Daten dieser künstlichen Erdstöße verglichen sie mit den realen Messungender Erdbebengeräte.
Ihr Ergebnis, das bisher nur einem engen Expertenzirkelpräsentiert wurde und SPIEGEL ONLINE vorliegt, zeigt, dass sich beide Beben in etwa fünfbis sieben Kilometer Tiefe ereignet haben. "Eine gute Auswertungsmethode", bestätigtGünter Leydecker - und unterstreicht das Dilemma, in dem sich die Fachwelt nun befindet:"Wir können kein Ergebnis vorziehen, beide Analysen sind robust."
Viele seinerKollegen jedoch tendieren nun dazu, die Gasförderung als Auslöser der Erdbeben anzusehen."Sie spielt vermutlich eine Rolle", sagt etwa Manfred Henger von der BGR. Möglicherweisehabe die Förderung die Spannung einer unter der Gaslagerstätte gelegenen Gesteinsspalteerhöht, die daraufhin gebrochen sei. Ein weiteres Indiz für den Einfluss der Gasförderunghat sein Kollege Torsten Dahm von der Universität Hamburg ausgemacht: Natürliche Erdbebenkommen nicht allein, im betreffenden Gestein ereignet sich in den Jahren zuvor und danacheine Vielzahl schwächerer Beben. Kontinuierliche seismische Aktivität wurde jedoch nichtfestgestellt.
Industrie spricht von Spekulationen
Allen Indizien zumTrotz wollen die Förderfirmen nichts von einer möglichen Verantwortung wissen. "Anwissenschaftlichen Spekulationen beteiligen wir uns nicht", sagt Hartmut Pick vomWirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG). Dabei hätte die Industrie füreindeutige Resultate selbst sorgen können. Seit Jahren drängen Forscher darauf, essollten mehr Messgeräte stationiert werden, um die Erdbeben besser lokalisieren zukönnen.
Auch Daten über die Förderaktivitäten könnten vermutlich schnellaufklären, ob es einen Zusammenhang zwischen der Gasförderung und den Beben gibt.Beispielsweise pumpen Firmen Wasser in den Boden, um das Gas besser aus dem Untergrundtreiben zu können. Der Wasserdruck kann die Erde gelegentlich erzittern lassen. DochAnfragen der Wissenschaftler nach entsprechenden Informationen wurden nicht beantwortet.
In den Niederlanden hingegen, wo mehr Gas gefördert wird als hierzulande, wirddie Gasförderung seit Jahren genau überwacht. Auch Deutschland kann auf eigenes Erdgasnicht verzichten: Ein Siebtel des deutschen Bedarfs stammt aus heimischer Produktion -eine wichtige Reserve in Zeiten steigender Gaspreise. Die Förderung findet fastausschließlich im Nordwesten zwischen Magdeburg und Emden statt.
Doch dasSchweigen der Industrie stößt bei vielen Forschern seit langem auf Unmut. Die WEGpräsentiere sogar falsche Fakten, berichten Wissenschaftler. So betone die Vereinigung,dass sich das zweistärkste in Norddeutschland gemessene Beben im Jahr 1977 vor dem Beginnder Gasförderung ereignet habe. Die Förderung in der unmittelbaren Umgebung desEpizentrums begann indes nicht nach, sondern zwei Jahre vor dem Beben, wie Dokumente desniedersächsischen Landesamts für Bodenforschung (heute Landesamt für Bergbau, Energie undGeologie) besagen. Die WEG blieb auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE dennoch bei ihrerAuffassung.
Größe der Gefahr unbekannt
Dass die Förderung von Erdgasden Boden wackeln lässt, ist nicht ungewöhnlich. In den Niederlanden lassen nichtspürbare Stöße der Stärke 1 bis 2 den Untergrund regelmäßig vibrieren. Nach derGasentnahme gibt der Boden nach, obwohl meist Grundwasser die mikroskopisch kleinen Porenim Gestein füllt, in denen das Gas gespeichert war.
Das übliche Zittern der Erdebei der Gasförderung ist rund 20.000 Mal schwächer als das jener beiden Beben in denletzten anderthalb Jahren. Doch auch derart starke Stöße können bei der Förderungentstehen, wie ein Erdbeben im Nordsee-Ölfeld Ekofisk im Jahr 2001 zeigte. Dort hattengroße Mengen Wasser, die in den Boden gepresst wurden, die Stöße ausgelöst. In Usbekistanhat die Gasförderung gar schwere Beben der Stärke 7 verursacht, wie die amerikanischeBehörde US Geological Survey in einer Studie feststellte.
Solche potentiellenKatastrophen sind in Deutschland nach Meinung der Seismologen nicht zu befürchten, dennhierzulande sind die Gasfelder und die Erdbebenzonen kleiner. Gleichwohl ist unklar, wiestark die Gasfelder in Norddeutschland in Bewegung geraten können.
DieUngewissheit ist heikel, denn in der Nähe der Gaslagerstätten liegen in einem Salzstockund einem Erzbergwerk die geplanten Atomendlager Gorleben und Konrad. Die Gefahr vonförderungsbedingten Erdbeben für die Endlager wurde bisher noch nie untersucht.
Auch die Gebäude im Norden sind im Gegensatz zu denen in süddeutschenErdbebengebieten nicht auf Erschütterungen ausgelegt. Sollte sich ein Stoß der Stärke 4,5nahe einer Großstadt ereignen, wären die Schäden möglicherweise beträchtlich: Mauernkönnten Risse bekommen, Giebel und Zwischenwände sogar einstürzen.
Wenn das sostimmt, dann ist Gorleben als Atommüllendlager unsicher.
Lg
Re
Die beste Tarnung
ist die Wahrheit -
die glaubt einem keiner!
(Max Frisch)